08/03/2019

Von Frankfurt über Moskau und Istanbul nach Wien

Rezension von Lukas Vejnik zu Wilhelm Schütte Architekt, die erste Monografie über den Architekten Wilhelm Schütte, Ehemann von Margarete Schütte-Lihotzky, herausgegeben von der ÖGFA, Österreichische Gesellschaft für Architektur, erschienen bei Park Books 2019.

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08/03/2019

Wilhelm Schütte, Freiluftschule Floridsdorf, 1961, Klasse mit geöffneter Faltwand. Foto: Privatsammlung

Cover

©: ÖGFA - Österreichische Gesellschaft für Architektur

Eigentlich hätte es ein schmaler Band zum fünfzigsten Todestag von Wilhelm Schütte werden sollen. Dass es dabei nicht blieb, so Ute Waditschatka von der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) bei der Buchpräsentation im Wiener Depot, sei dem Engagement der AutorInnen zu verdanken, die allesamt mehr Material lieferten als anfänglich erwartet und damit den Umfang der Publikation deutlich ausweiten konnten.

Es war ein humanistischer Kern, der, laut Fritz Webers Nachruf aus dem Jahr 1968, Grundlage für Wilhelm Schüttes politische Auffassungen war und blieb. Die nun vorliegende erste Monografie wickelt den roten Lebensfaden einer bewegten Biografie ab. Dass dieser, im Vergleich zu jenem seiner langjährigen Frau und Wegbegleiterin Margarete Schütte-Lihotzky, vergleichsweise früh gerissen ist, dürfte mit ein Grund sein, warum die Arbeiten des in Heißen im Ruhrgebiet geborenen Architekten in der Öffentlichkeit weitgehend in Vergessenheit geraten sind.

Der Name ist wohl all jenen positiv in Erinnerung geblieben, die mit dem Wilhelm Schütte Stipendium ab 1971 Forschungsreisen in sozialistische Länder unternahmen. Ein Jahr vor der Jahrtausendwende wurde die Förderung zum vorübergehend letzten Mal ausgeschrieben, damals unter dem Thema urbaner Unschärfen. Im Vorwort der Neuerscheinung lässt Elise Feiersinger Gedanken über eine Neuaufstellung anklingen. In Anbetracht der aktuellen Herausforderungen, die sich einer gemeinwohlorientierten Planungskultur stellen, wäre die zeitgemäße Wiederaufnahme eine spannende Ansage. Das vorliegende Buch ist aber weit mehr als ein Themenaufriss für zukünftige Forschungsprojekte.

Von Frankfurt über Moskau und Istanbul nach Wien begleiten die neun AutorInnen Wilhelm Schütte auf dessen Lebensweg, machen Halt an wichtigen Wirkungsstätten, durchmessen Bauwerke und Schriften. David Baum begibt sich an die Anfänge des Sohnes eines evangelischen Pfarrers, der in Frankfurt bereits 1925, im Alter von 25 Jahren, zum Leiter der Abteilung für Schulbau aufsteigt. Freiluftklassen und flexibles Mobiliar prägen sein Bauen und Forschen während der kurzen Phase des Aufbruchs zwischen den Weltkriegen. Von der bereits im Niedergang befindlichen Weimarer Republik geht es bereits fünf Jahre später weiter in die Sowjetunion. Im Schlafwaggon fährt die Gruppe um Ernst May von Frankfurt nach Moskau. Am Bahnhof erwartet Bruno Taut die Ankommenden, berichtet Thomas Flierl, der in seinem Beitrag dem Wirken der Frankfurter Planungsabteilung im Moskau der 1930er Jahre nachgeht. Dort tritt Wilhelm Schütte bereits als ausgewiesener Schulbauexperte auf, Margarete Schütte-Lihotzky ist offiziell für die Planung von Kindergärten verantwortlich; bei nicht unwesentlichen Gehaltsunterschieden zugunsten ihres Partners, wie die Publikation offenlegt.

Maja Lorbek geht in einem eigenen Kapitel auf den Reformschulbau ein, der Wilhelm Schütte ein Leben lang begleiten sollte. Die Freiluftschule in Floridsdorf ist ein spätes Zeugnis dafür, das – trotz Überformungen – nicht hoffnungslos verloren scheint! Burcu Dogramaci verschafft Einblicke in die Zeit im anschließenden Istanbuler Exil, wo Schütte ab 1939 vor allem als Lehrender an der Kunstakademie und Verfasser von Artikeln Einfluss auf die heranwachsende Generation von ArchitektInnen hat. Zur unbeugsamen Haltung des Ehepaars hält Dogramaci fest: „Sowohl in Frankfurt als auch in der Sowjetunion hatten sie aus einer prinzipiellen gesellschaftlichen Verantwortung heraus agiert; ihre Planungen entstanden in Auseinandersetzung mit den spezifischen Herausforderungen ihrer jeweiligen Aufenthaltsorte. Ihre Architektur stand nicht außerhalb eines sozialen Gefüges, sondern sollte dessen integraler Bestandteil sein. Dabei griffen sie auf frühere Ansätze zurück und übertrugen nun ihre reformatorischen Ziele auf die Türkei.“ Margarete Schütte-Lihotzky wird 1941 bei einem Botendienst für die KPÖ in Wien festgenommen und inhaftiert. Gegen Ende des Krieges wird Wilhelm Schütte in Ostanatolien interniert. Erst nach Jahren der gewaltsamen Trennung sehen sie einander wieder.

David Baum schließt wiederum die biografische Klammer mit einer Dokumentation des Nachkriegswirkens Schüttes in Wien, geprägt durch Mitarbeit bei CIAM-Austria, UNESCO und ÖGFA, sowie einigen Aufträgen für die KPÖ. Gabriele Kaiser erzählt in ihrem Beitrag über den Globus-Verlagssitz die Geschichte der größten Bauaufgabe, die Wilhelm Schütte gemeinsam mit Margarete Schütte-Lihotzky, Fritz Weber und Karl Franz Eder nach 1945 realisieren konnte. Kurz nach der Fertigstellung 1956 war die markante Scheibe mit den rot- umrandeten Fenstern am Höchstädtplatz ein Kontrapunkt zu einer anderen prominenten Landmarke der 1950er Jahre. Dazu Gabriele Kaiser: „Verglichen mit dem etwa zeitgleich errichteten Wiener Ringturm von Erich Boltenstern nimmt der neue Firmensitz des Globus Verlags eine ideologische Gegenposition ein, um als Musterbetrieb für die ‚Einheit der Arbeiterklasse‘ den Symbolen des kapitalistischen Westens architektonisch auf Augenhöhe die Stirn zu bieten. Schon aufgrund dieser deutlichen Positionierung eines kommunistischen Unternehmens im kulturpolitisch bewegten Klima des Kalten Krieges hat der Globus Verlag eine große Bedeutung in der Architekturgeschichte der Nachkriegszeit.“ Während der Ringturm mit Ausstellungen bespielt und mit Kunst umwickelt wird, stehen die ausgebandelten Überreste des Globus Verlags weitgehend ungenutzt da, als stummer Ausdruck einer Alternativlosigkeit, die sich seit dem Ende der 1980er Jahre auch in Wien negativ auf den Gebäudebestand der teils visionären Nachkriegsbauten niedergeschlagen hat. Heute stützt sich das Brückengebäude der Fachhochschule Technikum Wien direkt vor dem ehemaligen Globus-Eingang ab und zeigt der feingliedrig komponierten Fassade die kalte Feuermauer-Schulter. Wie der für die damaligen Verhältnisse von technischer Raffinesse zeugende Komplex sowie dessen Umgebung zur Blütezeit des Verlages ausgesehen hat, lässt sich Anhand des Beitrags wunderbar nachvollziehen.

Wilhelm Schütte Architekt regt zum Nachdenken über die Potenziale eines Bauens jenseits von kurzsichtigen Verwertungsinteressen an. Die abwechslungsreiche Sammlung von Textbeiträgen und in mühevoller Kleinstarbeit zusammengetragener Archivalien evoziert, dass Architektur mehr sein kann als das bloße Spiel der Baukörper im gleißenden Licht des Spätkapitalismus. Ein schönes Detail am Rande: Der rote Faden zieht sich nicht nur inhaltlich, sondern auch in Form der Bindung durch die Kapitel.

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Wilhelm Schütte Architekt
Frankfurt – Moskau – Istanbul – Wien
Herausgegeben von der ÖGFA, Ute Waditschatka
Buchgestaltung: Gerda Wimmer
Park Books, Zürich 2019
Broschiert, 176 Seiten, 2 farbige und 160 sw Abbildungen, 17 x 24 cm
ISBN 978-3-03860-140-1

Mit Beiträgen von
David Baum, Burcu Dogramaci, Thomas Flierl, Gabriele Kaiser, Maja Lorbek, Andreas Vass, Susanne Veit-Aschenbrenner, Ute Waditschatka

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