14/03/2007
14/03/2007

Wolfgang Zinggl, Peter Pakesch, Armin Thurnher, Konrad Paul Liessmann, Claudia Schmied (v. li)

… studiert man Universalgeschichte?“ Unter diesem Titel hielt Friedrich Schiller 1789 die Antrittsrede zu seinen historischen Vorlesungen in Jena. „Was heißt und zu welchem Ende betreibt man Kulturpolitik?“ fragte dagegen am 14. März 07 die Stadtzeitung Falter und hatte dazu die Ministerin für Unterricht und Kultur, Claudia Schmied, den Philosophen Konrad Paul Liessmann, den Kultursprecher der Grünen, Wolfgang Zinggl, und den Intendanten des Landesmuseums Joanneum, Peter Pakesch, zur Diskussion ins Büro der Erinnerungen eingeladen. Als Moderator fungierte Chefredakteur Armin Thurnher, der eingangs eine „gewisse Verlegenheit“ erwähnte, die er bemerkt, wenn man von Kunstpolitik spricht – mit „Kulturpolitik“ im Titel wäre ihm übrigens ein Lapsus passiert, gemeint war „Kunstpolitik“. Ursache jener Verlegenheit sei eine „Schwäche der Politik gegenüber der Wirtschaft, die in den letzten zehn Jahren zugenommen hat“ – nicht nur Künstler, sondern auch Politiker fühlten sich gegenüber Sponsoren als Bittsteller. In Betrachtung der jüngsten Vergangenheit sei es vor allem die ÖVP gewesen, die Creative Industries als Modell propagierte, das zwar nicht klar definiert war, jedenfalls aber die Kunst zunehmend nach Kriterien der Wirtschaftlichkeit beurteilte beziehungsweise förderte, was schließlich in ein „eventpolitisches Denken“ mündete, neben dem Burgtheater, Staatsoper und Wiener Philharmoniker das Geschehen dominieren. Bringen eine neue Regierung und eine neue Ministerin nun auch neue Konzepte?

Solche müssen jedenfalls erarbeitet werden, antwortet Ministerin Claudia Schmied. Allerdings, lenkt sie gleich ein, „glaube ich nicht, dass es mir gelingen wird, die Gelder so zu verteilen, dass alle zufrieden sind“. In den nächsten Jahren wird nicht genug Geld vorhanden sein, das entsprechend ihrem Verständnis für Kunst und Kultur aufgewendet werden müsste. Die Schwäche der Politik gegenüber der Wirtschaft besteht allerdings. Davon betroffen sind aber nicht allein Kultur und Kunst. Neben dem Bekenntnis für die Bundeseinrichtungen – Theater und Museen – müssen neue und deutliche Akzente für die zeitgenössische Kunst, Literatur und Verlagswesen, Film und spartenübergreifende Formen gesetzt werden. Schmied versichert, sich für finanzielle Rahmenbedingungen, und jetzt vorrangig, für gesetzliche stark zu machen. Letzteres betrifft die Künstlersozialversicherung, mit deren Novellierung unter anderem die Einkommensuntergrenze und die Klientel der Bezugsberechtigten – von derzeit ausschließlich KünstlerInnen in Richtung Kulturschaffende – neu geregelt werden sollen. Eine Lösung für die derzeit etwa 1200 „Härtefälle“, die Rückzahlungen für die Zeit zwischen 2001 und 2005 erstatten müssten, soll ebenfalls gefunden werden. Schmied möchte neue Finanzierungsquellen für den Bereich Kunst und Kultur erschließen; ein Stichwort ist die Kontentabgabe, nach der „Verwerter“ einen Anteil zur Sozialversicherung leisten sollen. Ihr politisches Ziel ist ein Budgetanteil für Kunst und Kultur in Höhe von einem Prozent des BiP, derzeit liegt dieser Wert bei 0,6 Prozent. Gesetzliche Änderungen sollen auch für den Bereich der Bundestheater und Bundesmuseen vorgenommen werden, „die zu klareren Verantwortungen und besseren Steuerungen führen“.

Diesbezüglich bemängelt Peter Pakesch die „inhaltlichen Themenverfehlungen“ und Überschneidungen in der Wiener (Bundes-) Museenlandschaft, die er auf „persönliche Steckenpferde“ der Museumsleitungen und den bestehenden Quotendruck zurückführt. Natürlich sei die Souveränität der LeiterInnen hoch zu halten, auffallend aber, dass die Auseinandersetzung mit dem Kunstgewerbe im MAK oft zu kurz käme oder eine Baselitz-Ausstellung in der Albertina ohne – gleichermaßen für die Institution wie das Werk des Künstlers – wichtige Druckgrafik gezeigt werde.

Die unreflektierte Verwendung der Begriffe Kunst und Kultur spricht Wolfgang Zinggl an. Das Ministerium auf Agenden für Kunst zu beschränken wäre von Nachteil. Er präferiert einen „erweiterten Kulturbegriff“, nach dem auch die Diskussion des Migrationsthemas nicht allein auf kunstspezifisch „ästhetischer“ Ebene im Ministerium für Kunst und Kultur geführt werden sollte.

Und jetzt Liessmann: Der Hinweis auf Schillers Antrittsvorlesung stammt natürlich von ihm, der für diese Diskussion die Premiere von „Julius Caesar“ am Burgtheater sausen gelassen hatte (– womit Seitenblicke hier auch schon wieder beendet wären). Wovon die Rede ist grenzt Liessmann ein und kontert: „Während Zinggl seit 20, 30 Jahren für einen erweiterten Kulturbegriff kämpft, kämpfe ich für einen verengten Kunstbegriff. In der Tat, denke ich, ist Kunst präzise zu definieren. Sie ist eine Form der Äußerung von Menschen mit Ansprüchen ästhetischer, sinnlicher, reflexiver, kontemplativer, engagierter Natur, die es rechtfertigt, sich damit auseinander zu setzen und die damit zu einer öffentlichen, also Angelegenheit einer Gesamtheit einer Gemeinschaft wird. Kultur dagegen ist ein Ersatzbegriff für diejenigen, die es aus irgendwelchen Gründen nicht wagen oder es nicht schick finden, Ethnie oder Religion zu sagen. Kulturen differenzieren also ihre Lebensstile, ihre Gebräuche, Sprachen, ihre religiösen Bekenntnisse.“ Eine zentrale politische Frage in Gesellschaften mit starkem Migrationsaufkommen ist es, Menschen nach solchen Kriterien zu beurteilen, zu kategorisieren und damit Integration zu befördern oder gerade dadurch zu verhindern. Jedenfalls besteht ein Unterschied zu der Frage, welche Kunst zu fördern sei. Anstatt von Kulturpolitik, empfiehlt Liessmann von Kunstpolitik zu sprechen und meint damit auch die Agenden des Ministeriums. Die Kunst-, nicht die Kulturausgaben seien im Sinn der Ministerin auf ein Prozent des BiP anzuheben. „Der Genfer Autosalon ist in diesem Sinn ein Kulturereignis, exakt durchkonzipiert und hochartifiziell. Trotzdem ist er eine Werbeveranstaltung der Autoindustrie und muss nicht aus Kunstbudgets gefördert werden. Eine ästhetische Reflexion über Mobilität und Verkehr aber, im Sinn einer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Phänomen, hat einen anderen Stellenwert und ist keine Frage der Kulturisierung unserer Mobilität, sondern ist gute oder schlechte, aber Kunst.“ Die Kunstpolitik einer demokratischen Gesellschaft muss gegenwärtig mit dem Problem des Erbes einer spätfeudalen Repräsentations-Kultur umgehen, die in eine neue Form der Repräsentationskultur des „neuen“ Frühkapitalismus überzugehen scheint, siehe Schwäche der Politik gegenüber der Wirtschaft.

Wie soll was gefördert werden? Claudia Schmied hält das Beiratssystem für sinnvoll. Darüber hinaus zeigte sie sich „sehr erstaunt“, dass es in ihren Sektionen Unterricht, Kunst und Kultur keine Grundlagenabteilung gibt, die sie deshalb aufbauen möchte. Hier sollen Perspektiven entwickelt und internationale Modelle verglichen werden. Außerdem will Sie zu regelmäßigen Dialogen im Ministerium und in den Bundesländern einladen.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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