14/05/2020

Was ist los in der Steiermark?

Eine Frage, die sich ArchitektInnen wie Petra Kickenweitz immer öfter stellen.

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14/05/2020

"Das Recht hat der Politik zu folgen und nicht die Politik dem Recht", diese „grundehrliche“ Aussage tätigte der ehemalige Innenminister Herbert Kickl im ORF-Interview am 23.01.2019 und gab damit einen tiefen Einblick in ein grundsätzliches Rechtsverständnis der heimischen Politik. Denn genau das dringt über die Medien in der Steiermark in unterschiedlichen Facetten immer wieder zum Vorschein.

Beispiele gefällig?

Beispiel eins, die Posse um Shoppingcenters. Nicht nur beim Shoppingcenter Seiersberg, sondern auch bei der Arena in Fohnsdorf wurde das steiermärkische Raumordnungsgesetz und Baugesetz großzüg interpretiert und auf Basis von „rechtswidrigen“ Baubescheiden gebaut. Die Analyse der aktuellen Causa Seiersberg muss hier nicht noch einmal wiederholt werden, sie wurde von Peter Klien in Gute Nacht Österreich (ORF vom 06.05.2020) über den Bodenverbrauch in Österreich auf den Punkt gebracht und bestens zusammengefasst. Fakt ist, dass die steirische Landespolitik nun 20 Jahre nach Errichtung, wohlgemerkt „widerrechtlicher“ Errichtung, eine Einzelstandortgenehmigung, trotz eingebrachter EU-Klagen aufgrund fehlender Umweltverträglichkeitsprüfung und Wettbewerbsverzerrung zum Nachbarland Slowenien, erlässt. Eine Genehmigung, die wohlgemerkt nur vor einer Errichtung erlassen werden dürfte. Ein klarer Versuch der Politik, das Gesetz dem politischen Willen folgen zu lassen. Ob es letztendlich rechtlich hält wird man sehen, aber ein politisches Fehlverhalten ist es allemal. Wirkliche Konsequenzen für Politiker wird es nicht geben, denn eine „persönliche Haftung“ ist im politischen System nicht vorgesehen. Es wird seitens der ersten Bauinstanz bis nach oben zur Landespolitik einfach anlassbezogen versucht, nicht im Sinne des Gesetzes und des öffentlichen Interesses zu handeln, sondern im Sinne des jeweiligen individuell bedürftigen Unternehmers die Gesetze auszulegen und hinterher zurechtzubiegen. Und was macht der Bund – er sieht zu, denn es ist ja reines Landesrecht! Warum soll sich daher der „brave“ Bürger an gesetzliche Vorgaben halten, wenn die Politik sich grundsätzlich nicht ans Gesetz hält?

Beispiel zwei, die Posse um Bildungseinrichtungen in den Kommunen. Picken wir Bruck an der Mur heraus, nicht weil es das einzige Beispiel ist, sondern weil es das Aktuellste ist. Die Politik tönt medienwirksam von Investitionen in die Bildung und Stadtkernattraktivierung, bei der lt. Bürgermeister Peter Koch die „pädagogische Qualität auf die nächste Stufe“ angehoben wird. Laut diverser Presseartikel will die Stadt Bruck und damit die öffentliche Hand rund 20 Mio. € für ihr politisches Ziel, einen modernen Schulcampus in der Altstadt zu errichten, in die Hand nehmen. Mit nicht nachvollziehbaren Konstrukten, privaten Investoren und nicht transparenten juridischen Expertisen wurde vor kurzem ein einstufiger anonymer geladener Realisierungswettbewerb mit 5 Teilnehmern ohne Kooperation mit der ZT-Kammer ausgeschrieben. Man wolle eine Win-Win-Situation schaffen. Dabei übersieht man, dass bei einer derartigen Projektsumme und einem öffentlichen Auftraggeber nach Bundesvergabegesetz offensichtlich ein EU-weit offener Wettbewerb ausgeschrieben hätte werden müssen und damit auf EU-Ebene und in Österreich rund 4000 berechtigte Planer um ihrer Chance und ihr gutes Recht gebracht wurden, sich für so einem Auftrag entsprechend der gesetzlichen Vorgaben zu bewerben bzw. zu beteiligen. Um diese Frage zu klären, wurde ein Nachprüfungsverfahren durch eine in Bruck an der Mur geborene Kollegin, die in Deutschland arbeitet, gegen die Gemeinde angestrengt. Der Vergabesenat musste nicht entscheiden, das Verfahren wurde seitens des Auslobers sofort zurückgezogen. Die Gemeinde war bis dato zu keiner Stellungnahme bereit. Wer im Endeffekt im Recht ist, kann nur ein Feststellungsverfahren gegen die Gemeinde zeigen.

Es bleibt der bittere Beigeschmack und die Frage, warum werden Privatinteressen mit öffentlichen Aufgaben vermischt? Warum konzentriert sich die Politik nicht auf fachliche Grundlagen? Warum schlägt sie alle Hinweise in den Wind und nimmt nicht die Unterstützung seitens der ZT-Kammer in Anspruch? Warum wird so leichtfertig ein positives Vorhaben im Bildungsbereich gefährdet und eben dieses nicht in Bezug auf baukulturelle und „pädagogische Qualität auf die nächste Stufe“ gehievt?

Ein weiteres Fallbeispiel: Untersuchenswert trotz wahrscheinlich schon erfolgter Planungsbeauftragung an einen „auserwählten Kollegen“ wäre nach wie vor u.a. das 12 Mio. Euro Projekt Bildungscampus Mariazell, das bis 2023 realisiert werden soll. Die Umsetzung wurde seitens der Gemeinde an die Genossenschaft Brucker Wohnbau- und Siedlungsvereinigung und deren Tochterunternehmen Gemeinnützige ZUWO – Zufrieden Wohnen GmbH übertragen. Jene Genossenschaft, die bereits in Oberösterreich den Waldcampus Österreich (Forstliches Bildungszentrum, FBZ der Ausbildungsstätte Ort und der Forstfachschule Waidhofen) in Traunkirchen eine öffentliche Bildungseinrichtung mit 15.000 m2 Nutzfläche und 40 Mio. EUR ohne EU-weit offenen Wettbewerb 2017-18 umgesetzt hat.

Und last but not least, zwei Projekte, bei denen es auch zu einem Nachprüfungsverfahren kam: Das Projekt der Gemeinde Gutenberg-Stenzengreith, welches das Gemeindezentrum, die Schulerweiterung und eine Platzgestaltung umfasste. Ansatt aus dem Nachprüfungsverfahren etwas Positives zu lernen und der Qualität einer transparenten, qualitativ hochstehenden Jury-Entscheidung eines offenen Architekturwettbewerbs zu vertrauen, wurde in Gutenberg-Stenzengreith sofort der nächste juridische Klimmzug angesetzt und die Aufgabenstellung zerteilt, um den „Planer ihrer Wahl“ zu beauftragen. Und 2012 das Haus des Kindes in Gleisdorf, bei dem es nach einer direkten Planerbeauftragung mit der Ladung an fünf Architekten zur Angebotslegung zu einem Nachprüfungsverfahren kam, bei dem die Gemeinde ebenfalls unterlag. Einsicht hatte die Gemeinde keine, sie argumentierte mit erbrachten Vorleistungen und schrieb in Folge ein zweistufiges Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung aus, bei dem sie auf eine „Vorarbeitenproblematik“ hinwies.

Warum greift hier nicht das Land als Fördergeber lenkend ein? Es kann doch nicht sein, dass in der Steiermark Gemeinden in der Realisierungsphase alleingelassen werden und so die Zukunft ihrer Standorte und jene der nächsten Generation gefährden?

Ein kurzer offener Blick in den Westen Österreichs würde uns zeigen, wie es auch anders geht:

In Vorarlberg greift das Land mit dem Kommunalgebäudeausweis (KGA) ein, welcher die Ökologie und die Baukultur unterstützt. Dabei gibt es keinen Zwang für eine Gemeinde, daran teilzunehmen, aber wenn sie Fördermittel in Anspruch nimmt, sind diese Qualitätsvorgaben klar umzusetzen. In Tirol gibt es einen Landesbeirat für Dorferneuerung, der Gemeinden bei der Bedarfsanalyse bis zum fertigen Projekt, Architekturwettbewerbe inclusive, begleitet. Was kommt raus – viele zufriedene Gesichter und hohe Qualität des Produktes.
Prinzipiell gäbe es auch in der Steiermark mit der Baukulturabteilung in der Abt. 16 Verkehr und Landeshochbau ähnliches, nur lassen sich in der Steiermark weder die Ämter intern noch die Politik bei der Bedarfszuweisung in die Karten schauen. Die persönliche Entscheidungshoheit eines Landeshauptmanns und seines Stellvertreters über die Bedarfszuweisung und damit die Stärkung der eigenen politischen Partei in den Gemeinden steht über allem und man lässt sich als Hintertür alles offen. Hier herrscht scheinbar politische Einigkeit im Koalitions-Farbenspiel von Schwarz und Rot. Es ist offensichtlich zum Rundumcredo geworden, dabei Gesetze kreativ auszulegen – denn wo kein Kläger, da kein Richter. Man nimmt die bestehenden Gesetze nicht als positives Instrument wahr, sondern nur als Behinderung. Als Behinderung der Absprachen im Hinterzimmer. Eine längst der Vergangenheit angehörige Unart poppt permanent auf.

Wie lange müssen die zukünftigen Nutzer und Steuerzahler noch auf die endgültige Abschaffung des Proporzsystems warten bzw. wie lange schauen wir da wirklich noch zu? Die kommende Gemeinderatswahl gibt uns die Chance, das System nachhaltig zu verändern.

Anonymous

Mich erstaunt immer wieder, wie sehr Politik in der Steiermark eigentlich ein Scheffeln in die eigenen Taschen ist, und wie wenig sich die Bürger um ihre Rechte kümmern. Die Mentalität des Bittstellers ist nach wie vor sehr verankert in Österreich.
Es ist sehr angenehm für mich als Auswanderin, das Gegenteil in der Schweiz zu erleben: Gesellschaftlicher Konsens über Nachverdichtung. Gesellschaftlicher Konsens über den Einsatz von Nahverkehr. Das Tragen von Entscheidungen einer breiten Masse.
Die Stimmung in Österreich stattdessen: Ein paar werken an etwas rum, das nicht von der Allgemeinheit beschlossen und/ oder kommuniziert wurde. So lange es keinen Kläger gibt, der Ungereimtheiten aufdeckt, gibt es auch keinen Richter. Und die Pfründe werden gut aufgeteilt. Wer ist denn schon ein kritischer Bürger? Da könnte man ja angreifbar werden und Aufträge verlieren.

Do. 14/05/2020 8:57 Permalink
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