16/05/2019

Wenn eine_r fehlt

Anpfiff zum Diskurs um das Erbe des Brutalismus im Burgenland.

Kommentar von Lukas Vejnik zur ÖGFA-Diskussion Anlassfall Nachkriegsmoderne im Burgenland, am 30. April 2019 im Volksbildungswerk in Eisenstadt.

.

16/05/2019

Katholisches Pfarrkirche Oberwart von Günther Domenig und Eilfried Huth, 1967-1969

Architektur: Günther Domenig, Eilfried Huth©: Schreyer David Architekturbild

Matthias Szauer, Gottfried Fickl, Landeskrankenhaus Oberwart, 1971–1993, Abbruch geplant

©: ÖGFA - Österreichische Gesellschaft für Architektur

Kulturzentrum Mattersburg, 1978, errichtet 1973 - 76: das letzte original erhaltene österreichische Kulturzentrum in Sichtbetonweise ist nur teilgeschützt.

©: Herwig Udo Graf

Archaische Moderne | Elf Bauten im Burgenland. 1960–2010

Anpfiff zum Diskurs um das Erbe des Brutalismus im Burgenland.

Gleich vorweg: Bei der Podiumsdiskussion Anlassfall Nachkriegsmoderne im Burgenland, am 30. April 2019 im Volksbildungswerk in Eisenstadt, ging es nicht um das Kulturzentrum Mattersburg, sondern um den Brutalismus im Burgenland im Allgemeinen. Wer jetzt meint, einen selbst umgehängten Maulkorb zu wittern, verkennt, dass es sich hierbei um den gut gemeinten Versuch der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) handelte, einen Diskurs auf breiter Basis in Gang zu setzen. Denn, so der vorauseilende Tenor, es gebe einiges an Erhaltungswürdigem, das in den 60er und 70er Jahren zwischen Jennersdorf und Neusiedl entstanden ist. Position zur zementgebundenen Erbmasse bezogen Stefan Tenhalter von DOCOMOMO Austria, Sonja Pisarik vom AzW, Paul Mahringer vom Bundesdenkmalamt, Klaus-Jürgen Bauer vom Architektur Raumburgenland und Albert Kirchengast in der Rolle des Moderators. Die zuständigen politischen VertreterInnen glänzten – trotz mehrmaliger Einladungsversuche seitens der Veranstalter – durch Abwesenheit.

Was ist das Besondere am Brutalismus im Burgenland? Die Ausgangssituation. Erstmals floss Geld für öffentliche Bauten in die Region und das Burgenland konnte damit nicht mehr unterbuttert werden, so Stefan Tenhalter. Als Elementarereignis für das Bauen in Sichtbeton nennt er die, von Friedrich Achleitner als „Donnerschlag von Oberwart“ apostrophierte, Osterkirche von Günther Domenig und Eilfried Huth. Sonja Pisarik, Kuratorin des Österreich Schwerpunkts zur Ausstellung SOS Brutalismus, erinnert an die etymologische Wurzel des Begriffs: Brutalismus leite sich nicht etwa von „brutal“ ab, sondern vom Französischen „brut“, was sich auf den rohen Einsatz von Beton bezieht.
Doch noch einmal zurück zur Frage nach dem Außerordentlichen an dessen pannonischer Ausformung. Für Klaus-Jürgen Bauer liegt das Besondere darin, dass es nichts besonderes ist; allenfalls Bauherrenschicht und politisches Programm würden herausstechen. Der Architektur Raumburgenland habe insofern mit dem Thema zu tun, als dass der Verein von Anfang an eine Gegenposition zu den damals dominierenden Akteuren einnahm. Was damals ganz bestimmt ebenso notwendig war, wie der Sprung über den eigenen Schatten, der aktuell angebracht wäre. Umso erfreulicher, dass sich nun die ÖGFA dem Thema angenommen hat.

Wie viele Jahre müssen nun eigentlich ins Land ziehen, damit ein Gebäude zum Denkmal erhoben werden kann? Grundsätzlich gibt es laut österreichischem Denkmalschutzgesetz kein Mindestalter für eine Unterschutzstellung. In Deutschland orientiere man sich, laut Paul Mahringer, nach der Faustregel der abgeschlossenen Epoche, was grob dreißig Jahre einschließt. Das würde bedeuten, dass im Fall der Nachkriegsmoderne bereits seit mehr als einem Jahrzehnt Handlungsbedarf besteht. Bis 2010 gab es darüber hinaus die Möglichkeit, dass Gebäude, die sich im Eigentum der öffentlichen Hand befanden, mittels Verordnung  gemäß §2a, unter Schutz gestellt werden konnten. Zuvor waren alle bundeseigenen Gebäude auf Verdacht hin mit einem Schutz belegt. Zahlreiche Kirchen und Schulen, die nach 1945 errichtet wurden, fanden so Eingang in die Denkmallisten. Zwischen 26.000 und 28.000 Objekte wurden geprüft. Eine beachtliche Anzahl, vor allem, wenn man an die personelle Unterbesetzung für solche Vorhaben im Bundesdenkmalamt denkt. Der Donnerschlag von Oberwart steht übrigens unter Denkmalschutz, die Burgenländischen Kulturzentren sind dem BDA anscheinend durchs Netz gegangen. Weiters stütze man sich im BDA auf vorhandene einschlägige Literatur. Dazu sei an dieser Stelle das Burgenland betreffend der 2010 erschienene Band Archaische Moderne, herausgegeben von Albert Kirchengast und Norbert Lehner, erwähnt. Darin finden sich elf Bauten, die zwischen 1960 und 2010 im Burgenland entstanden sind. Die Bandbreite reicht von Roland Rainers Sommerhaus über die Osterkirche in Oberwart bis hin zur „Grube“ von Peter Noever. Eine umfassende Publikation zum Thema des Abends fehlt aber bisher. Einige brutalistische Bauten seien laut Paul Mahringer, der die Abteilung für Inventarisation seit 2016 leitet, aktuell in Begutachtung. Er wünsche sich für den Denkmalschutz mehr Bewusstsein in der Bevölkerung und bei den EigentümerInnen, denn das BDA könne sinngemäß gar nicht alles im Auge behalten. Eine bekannte Position, die bereits Georg Dehio vertrat.

Kurz geht es dann doch noch um den anstehenden Blitzschlag von Mattersburg. Zuletzt waren, laut Kurier, Probebohrungen an der Fassade des Kulturzentrums vorgenommen worden. KUZ-Architekt Herwig Udo Graf, der aus dem Publikum Stellung bezieht, könne sich eher einen vollständigen Abriss vorstellen, anstatt im Zuge des höchst fragwürdigen Umbaus lediglich einzelne Fassadenabschnitte des Bestandes stehen zu lassen, wie es seit einer Teilunterschutzstellung aus dem Jahr 2016 geplant ist.

Ein bescheidener Einstieg in eine längst überfällige Diskussion, die hoffentlich bald und unter Mitwirkung der Politik ihre Fortsetzung finden wird.

.

Hinweis: Publikation
Archaische Moderne Elf Bauten im Burgenland. 1960–2010
Herausgeber: Albert Kirchengast, Norbert Lehner
Autoren: Otto Kapfinger, Christian Reder
Fotografie: Nikolaus Korab
Grafische Gestaltung: Willi Schmid
Verlag: Park Books, Zürich

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+