02/04/2013

Christoph Rothschuh hatte den nachfolgenden offenen Brief an die Stadtbaudirektion Graz und lokale Printmedien gesendet, erhielt bisher von keiner Stelle eine Antwort, weshalb er sich an den Sterz-Herausgeber Gernot Lauffer wandte, der den Brief gat.st zur Veröffentlichung überließ.

02/04/2013

Graz im Spätherbst 2012. Die Oberflächen des Kastner & Öhler-Dachausbaus sind noch nicht in ihrem endgültigen Zustand, der sich an die Ziegeldeckungen der Altstadt angleichen soll.

©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Nachfolgend der offene Brief von Christoph Rothschuh, Architekt und Kunsterzieher aus Deutschland, an die Stadt Graz und alle BürgerInnen. Rothschuh beklagt in seinem Schreiben die aktuelle bauliche Entwicklung in der Grazer Altstadt und  nimmt darin u. a. auf den Kastner & Öhler-Dachaufbau Bezug.

Wer rettet die Grazer Altstadt?

Ich habe erst kürzlich bei einem Besuch in Graz die Aufstockung des Kaufhauses Kastner & Öhler in ihrer ganzen geradezu aggressiven Maßlosigkeit gesehen, inmitten der beschaulichen Altstadt, und bin entsetzt! Wie kann im UNESCO-Weltkulturerbe ein solcher Frevel geschehen? Ist der Stadt Graz eigentlich bewusst, dass der Titel vor allem eine Verpflichtung beinhaltet, das Erbe zu pflegen und bewahren? Natürlich nicht als Museum, sondern als lebendige Altstadt, mit heutigen Bewohnern, Benutzern und Bedürfnissen, aber dennoch als städtebauliches Gesamtkunstwerk.

Ich weiß nicht, auf welcher Basis zwischen Bauherren, Stadt und UNESCO die jetzige Lösung zustande gekommen ist. Die, jeden Maßstab sprengenden, metallisch-reflektierenden K&Ö-Auftürmungen in einer beliebigen und an dieser Stelle völlig deplatzierten Formensprache sind jedenfalls kein Kompromiss und schon gar nichts, worauf man stolz sein könnte. Nein, im Gegenteil - für die Kulturhauptstadt von 2003 ist dieser Schubladenentwurf ein Skandal! Dafür braucht man kein Altstadterhaltungsgesetz und keine Altstadtkommission.

Auch die UNESCO (ICOMOS) muss sich fragen lassen, ob sie hier nicht eine grandiose Fehlentscheidung getroffen hat. Noch schlimmer: Möglicherweise wurde damit ein Präzedenzfall geschaffen - allein die Vorstellung ist ein Albtraum! Hier wurde eindeutig eine rote Linie überschritten, die übrigens exakt zu benennen ist anhand zweier Kriterien, die sträflich verletzt wurden:

1. Die Respektierung der maximalen Höhe des historischen Baubestandes, in diesem Fall die Firstlinie des Fellner- und Helmer-Baues an der Sackstraße
2. Die Rücksichtnahme auf die umgebende historische Dachlandschaft, die ihre Einzigartigkeit aus der fast ausschließlichen Verwendung von Ziegeln als Dachdeckungsmaterial bezieht.

Würden diese beiden Bedingungen in anderen historischen Zentren nicht eingehalten, wäre Florenz nicht mehr Florenz, Siena nicht mehr Siena! In Venedig ist die Errichtung von Dachterrassen schlicht und einfach verboten.

Man müsste sich für die Aberkennung des Weltkulturerbestatus einsetzen, wäre nicht zu befürchten, dass gerade die Aberkennung einigen ganz willkommen sein könnte, um noch besser „bauwüten“ zu können. Denn um architektonische Gestaltung im historischen Kontext geht es offensichtlich überhaupt nicht mehr, sondern einzig um Gewinnmaximierung pro Quadratmeter - der Größenwahn an der „Thalia“ spricht für sich.

Und ist es nicht eigentlich ein Etikettenschwindel, wenn ein aktueller Prospekt der Stadt (2012/13) die Altstadtdächer zeigt, Bildunterschrift „Weltkulturerbe“, aber im Zustand vor dem K&Ö-Umbau, also eine Ansicht, die es gar nicht mehr gibt! Schon jetzt hat die verunstaltete Draufsicht auch die Wahrnehmung der Altstadt vom Schlossberg völlig verändert. Bester Indikator dafür sind die Touristen-Bilder im Internet. Wurde früher gerne die Dachlandschaft in Gänze fotografiert, als „Postkarte“, werden jetzt nur die noch intakten Dachpartien südlich oder nördlich des K&Ö-Blechs abgebildet. Der Neubau selbst, eine optische Störung, wird als Motiv vermieden.

Die soziale Dimension
K&Ö ist nicht mehr das Traditionskaufhaus für alle, das es seit Jahrzehnten war. Es ist heute ein „Schickimicki“-Laden mit einem Angebot, das an Bedarf und Einkommen der Bevölkerung vorbeigeht. Nichts könnte die neue soziale Ausgrenzung besser illustrieren als die martialischen Bodyguards am Eingang. Nicht umsonst wählen inzwischen viele Grazer KPÖ statt K&Ö.

Der krampfhafte Versuch, eine kaufkräftige, junge, eventbegeisterte Klientel nach Graz zu locken, wird ohnehin scheitern, weil diese Gruppe nicht die Qualität einer gewachsenen Urbanität für ein langfristiges Lebenskonzept sucht, sondern eher, im „City-Hopping“ von einer „angesagten“ Stadt zur nächsten, dem momentanen Glamour folgt. Das Argument, wegen des starken Zuzugs nach Graz bauen zu müssen, ist heuchlerisch, weil man die Dynamik selbst mit anheizt, ohne deren Folgen in den Griff zu bekommen. Soziale Probleme sind aber nicht mit Investitionen als Selbstzweck zu lösen, sondern zuallererst auf der sozialen Ebene. Daneben wirft die Personalunion Bürgermeister/Planungsstadtrat auch Fragen auf, was die demokratischen Entscheidungsstrukturen innerhalb einer Kommune anbelangt.

Es scheint, als seien die Verantwortlichen der Stadt überhaupt nicht mehr gewohnt, in anderen als in kommerziellen Kategorien zu denken. Doch die immateriellen Werte dürfen in einer Stadt mit diesem hohen kulturellen Niveau nicht zur Leerstelle werden. Daher fordere ich die Stadt Graz dringend zum Umdenken auf:

1. Wirken Sie darauf hin, dass die Aufbauten von K&Ö in einer angemessenen Zeit zurückgebaut werden, auf die vorherige Höhe und in eine altstadtverträgliche Form! Andernfalls bleiben mit diesem Präzedenzfall der weiteren Altstadtzerstörung Tür und Tor geöffnet.
2. Machen Sie Ihren Einfluss geltend, dass das unter fragwürdigsten Umständen rücksichtslos beseitigte historische „Kommodhaus“ wiederaufgebaut wird!
3. Drängen Sie bei Universität und Bund darauf, das alte Palmenhaus im Botanischen Garten - ein hervorragendes Beispiel funktionalen Designs um 1900 - umgehend zu renovieren! Der seit Jahren erbärmliche Zustand dieses sehr seltenen Bautypus ist einer „UNESCO-City of Design“ unwürdig - oder die Stadt hat das Prädikat nicht verdient. Darüber hinaus an alle, denen die Grazer Altstadt am Herzen liegt: Erfreulicherweise gibt es ja schon eine sehr aktive Bürgerinitiative, die trotz aller Widrigkeiten beachtliche Erfolge vorweisen kann. Solche Initiativen bedürfen dringend einer größeren Unterstützung durch die Bevölkerung. Wünschenswert wäre ein breiter Zusammenschluss von engagierten Bürgern aus den unterschiedlichsten Bereichen, ein Gremium unabhängiger kritischer Personen, jenseits des bisherigen Interessengeflechts, unter Einbeziehung auch unabhängiger Experten von außerhalb. In einer solchen Runde könnte durchaus ein kontroverses Diskussionsklima herrschen. Wichtig wäre der kontinuierlich geführte offene Diskurs über die aktuellen städtebaulichen und denkmalpflegerischen Probleme in Graz. Nicht als Alibi-Städtebaubeirat mit Maulkorb, wie aus anderen Städten bekannt, sondern im Sinne einer permanenten institutionalisierten Gegenöffentlichkeit.

Die Grazer Altstadt ist nicht das Privatspielzeug einzelner Politiker oder Investoren! Sie ist der gemeinsame ideelle Besitz aller Bürger und ein besonders kostbares, weil unersetzliches und nicht vermehrbares Gut. Sie ist der identitätsbildende Kern der Stadt. Die Grazer Altstadt vermittelt eine in der Realität erleb- und erfahrbare Kunst-, Kultur- und Sozialgeschichte über Jahrhunderte hinweg, wie in Mitteleuropa kaum eine andere.

Die Auszeichnung als Weltkulturerbe bedeutet einen Schutzauftrag, das historische Erbe in seiner Authentizität für nachkommende Generationen zu erhalten. Sollte die Stadt Graz dieses Gebot missachten und damit alle UNESCO-Kriterien ad absurdum führen, würde sie die Substanz dieses Erbes und die Legitimität als Kulturstadt verlieren. Graz würde seine Seele verkaufen.

Christoph Rothschuh
Neustadt, im März 2013

Christoph Rothschuh
Ist Architekt und Kunsterzieher in Deutschland, geboren in Graz, am Glacis, wo er seine ersten Lebensjahre verbracht hat. Der Stadtpark war Teil seiner Kindheit. Er fühlt sich seiner Heimatstadt sehr verbunden und stattet ihr immer wieder einen Besuch ab. Die Spuren seiner Vorfahren in Graz reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück.

g.lauffer

geehrter herr rothschuh,
sterzdank für die zumailung ihres offenen briefes an die grazer stadtgewaltigen und meinungsmacher.
wenn ich auch nicht durchgehend ihrer meinung bin, als studierter architekt sehe ich naturgemäß das eine oder andere etwas anders, so bewundere ich doch sehr ihr engagemet und ihren furor, womit sie sich für eine wichtige sache einsetzen.
wenn man vor ort an den langen auseinandersetzungen zu diesem und jenem thema beobachtend teilgenommen hat, dann fehlt einem naturgemäß die ihnen eigene unmittelbarkeit. Ich denke da z.b. an die vielen versuche zur thalia, die ganze kohorten potenter architekten verschlissen hat. bei aller liebe zum idealismus, die ökonomie bleibt ein wichtiger faktor. Ich warte in diesem speziellen zusammenhang nur noch auf den bankrott des verabredeten mieters der thalia und das darauffolgende desaster.
bei K&Ö ließe sich einwenden, dass die alte dachlandschaft mit altstadt außer in der camouflage der tonziegel auch nicht viel gemein hatte. Zwar scheint mir die jetzige gestalt auch nicht gerade ideal, man muß der erscheinungsform allerdings zugute halten, dass dem vernehmen nach die dachhaut nicht die endgültige ist. Zumindest eine farbliche anpassung sei noch zu erwarten.
beim ökonomischen aspekt des neuen KÖ bin ich nicht ihrer meinung. Ich halte die erneuerung sogar für sehr verdienstvoll. In einer zeit, in der die vorstädte mit einkaufszentren zugeräumt werden und die innenstädte zunehmend entfunktionalisieren – welches relevante geschäft gibt es noch in der grazer innenstadt? – trägt der kastner ganz wesentlich zur aufrechterhaltung von graz als stadt im sinn von handelsplatz bei. Ja, ich bin sogar der meinung, stirbt (auch) der kastner, stirbt graz als funktionierende stadt. Dann wären wir endgültig bei dinkelsbühl und rotenburg.
was das kommod-haus betrifft bin ich ganz bei ihnen und halte das geschehen für barbarei. Ich habe zufällig einen einblick in die genese der causa, da mein zahnarzt ein 1%-mitbesitzer war und ausgetrixt wurde.
auch beim thema palmenhaus bin ich ganz ihrer meinung, zu dem ich ebenfalls ein naheverhätnis habe – ein bekannter hat seine diplomarbeit über eine mögliche weiternutzung abgegeben. der pensionierte chef des denkmalamts friedrich bouvier bemüht sich sehr um die erhaltung (wie auch um die rekonstruktion des portikus der oper), aber das projekt ruht vermutlich in dieser zeit der knappen kassen.
die zeitschrift STERZ kann zumindest z. zt. nicht in ihrem sinn aktiv werden.
ich freue mich aber über ihren idealistischen einsatz
und hoffe, dass er nicht vergeblich ist.
sterzliche grüße
g. lauffer

Mi. 03/04/2013 8:52 Permalink
Dr.Hafner

Diesem Schreiben ist in jedem Fall zuzustimmen.
Als nächste Skandale sind die restlose Zerstörung des
Joanneumsparks mitten in der Altstadt und die Erweiterung
des Spitals der Barmherzigen Brüder in der Murvorstadt zu nennen,
wodurch das Barockensemble Minoritensaal komplett zerstört wurde.

So. 14/04/2013 1:44 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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