25/09/2017

Der Grazer Architekt Volker Giencke erhält den Tiroler Landespreis für Kunst 2017

Der Preis, der seit 1984 jährlich von der Tiroler Landesregierung als Würdigung eines Gesamtwerks oder einer außergewöhnlicher Einzelleistung auf Empfehlung einer Jury verliehen wird, ist mit 14.000 Euro dotiert.

25/09/2017

Die Wirkung des Red Room, Stift Seckau, 1999

©: Giencke & Company

Am heutigen Montag, den 25.09.2017, wird dem Grazer Architekt Volker Giencke in einer Feierstunde im Innsbrucker Landhaus der Tiroler Landespreis für Kunst überreicht. Der Preis, der seit 1984 jährlich von der Tiroler Landesregierung als Würdigung eines Gesamtwerks oder einer außergewöhnlicher Einzelleistung auf Empfehlung einer Jury verliehen wird, ist mit 14.000 Euro dotiert. Soweit die Fakten.

Volker Giencke ist nicht der erste Architekt, der diesen Kunstpreis erhält. Vor ihm waren es 1989 Josef Lackner mit Christian Bartenbach, 1999 Othmar Barth und 2003 Margarethe Heubacher-Sentobe, die den Preis zugesprochen erhielten. Mit Josef Lackner verbindet Giencke, dass er wie dieser das „Wesen der Architektur“, die „Sache an sich“ ergründen und erforschen will, vermutlich auch, dass für Giencke gilt, was Lackner (1931-2000) über sich sagte: „Ich möchte immer wieder einen erfinderischen Sprung machen“. Dies ist Giencke bei mehreren seiner realisierten Entwürfe gelungen – am eindrücklichsten wohl in den Gewächshäusern des Botanischen Gartens in Graz.
 
Lackner, Barth und Heubacher-Sentobe hatten, geerdet und bauend in ihrer Region, sich vermutlich nicht als Baukünstler gesehen. Das liegt auch dem Architekten Volker Giencke fern, ganz einfach deshalb, weil Architektur für ihn Kunst ist oder, wie er es in seinem Kommentar Schrei nach Architektur! am 18.09.2017 auf GAT formuliert, Architektur einen künstlerischen Anspruch haben sollte (neben ethischer Funktion und visueller Großartigkeit). Lautstark und zwischen Wut und Verzweiflung oszillierend geißelt Giencke kulturlose Zeitgenossen unter Bauträgern und Architekten und ihre „überflüssigen und nichtssagenden Projekte“ und ist auch da eins mit Josef Lackner, der – wie Paul Flora in einer Würdigung des Freundes schrieb – sich ärgerte, wenn wieder einmal ein langweiliger, unnützer Bau entstanden war und dann von geriatrischer Architektur sprach.

Nun also erhält Volker Giencke diesen Preis für die Kunst – für seine Erfindungskunst, Raumkunst, Baukunst - eben Kunst. Beginnen wir mit seinem Können, außergewöhnliche Räume zu schaffen, wobei sein Vorbild weder in barocker Expressivität lag noch in dekonstruierender Attitüde. Was Giencke nachhaltig beeindruckte, war die Scharoun’sche Fähigkeit, außergewöhnliche Räume zu schaffen auf eine spielerisch wirkende, immer etwas rätselhaft bleibende Art, Räume, die ineinander fließen und sich zu einem offenen und zugleich geschlossenem Ganzen formen.

Es sind gebaute Landschaften wie seine Gewächshäuser im Botanischen Garten in Graz, eine Komposition aus künstlichen Hügeln mit eingefügten Wegen, aus Treppenaufstiegen, Rampen und Stegen, die eine Promenade rural bilden – einen Spaziergang durch unterschiedliche klimatische Zonen, der vergessen lässt, dass uns diese unter transparenten Hüllkörpern präsentiert werden.

Als Landschaft der inneren Befindlichkeit habe ich die plastische Form des Red Room interpretiert, lange nachdem ich sprachlos, unbewegt die archaische Kraft Gregorianischer Choräle hörend und bis zur Oberfläche meiner Haut empfindend, in diesem Raum gestanden bin – Zeit und Tun vergessend. Diese meisterliche Raumplastik in komplexer asymmetrischer Geometrie, die Giencke 1999 anlässlich einer Ausstellung über mönchisches Leben im Stift Seckau mit weniger als 200.000 Schilling gelang, wäre Anlass und Grund genug, ihm diesen Preis für Kunst zu verleihen.

Erhalten wird er ihn für sein Lebenswerk, das über den Generalton des künstlerischen Anspruchs hinaus noch viele Aspekte aufweist, die wert wären, eingehender betrachtet zu werden. Sein Bestreben nach konstruktiver Leichtigkeit etwa, mit dem ihm Ungewöhnliches gelungen ist. Le Corbusier und Jean Prouve mögen auch hier Vorbilder gewesen sein, die sich in der langen beruflichen Tätigkeit des heute 70-Jährigen zu einer genauso leidenschaftlichen wie eigenständigen Hinwendung zu Transparenz und ephemerer Wirkung entwickelt hat. Spürbar noch immer mein fast schauderndes Staunen über die Beweglichkeit der riesigen transparenten Zwischenwand, die im Mega-Baumax-Markt in Klagenfurt von der Decke hing; rahmenlose Glastafeln, untereinander kaum sichtbar verbunden. Dann die Glaswand des Turnsaals der Schule des Stifts Seckau, die, leicht angestupst, sanft ins Schwingen geriet oder die mächtige, zugleich filigrane Stahl-Glas Konstruktion der Fassade des Great Amber, der Konzerthalle in Liepaja (Lettland), die bernsteinfärbig Licht in die Stadt an der Ostsee bringt.

All diesen Raumerfindungen ist der Kunstpreis zugedacht. 2004 schrieb ich in einem Bericht über den Wettbewerbsgewinn zum (damals) Giant Amber genannten Projekt: „Es ist eine Architektur mit all jenen Attributen, die Giencke für essentiell und daher für unverzichtbar hält, will man überhaupt von Architektur im Sinne von Baukunst sprechen. Es ist das Überraschende, das Unvorhergesehene und nicht Bekannte, das, was neugierig macht und Lust, einen Raum zu erkunden und in Besitz zu nehmen: das Raumerlebnis. „Alles andere“ sagt Giencke mit deutlichem Seitenhieb auf schweizer und vorarlberger Tendenzen der reduzierten Form in der Architektur „ist nicht Architektur“. Das Erfüllen von Funktionen, also gute Grundrisse hinzukriegen und ökonomisch zu denken, sind Basics, die er voraussetzt, die aber für ihn noch längst nicht Architektur sind.“

Das gilt für Volker Giencke auch heute noch (siehe sein Manifest Schrei nach Architektur!) Logisch, denn Widerständigkeit, Sturheit und Beharren kennzeichnen ihn. Was den Umgang mit der Person Giencke zur Herausforderung werden lässt und Bauherrn wie Mitarbeiter stöhnen ließ und lässt, macht andererseits seine Persönlichkeit aus. Weiter so, lieber Volker! Als Mahner in einer Zeit, in der wir uns umzingelt sehen von gebauter Beliebigkeit, die nur einem Kriterium genügt – der Ökonomie der Banalität, die großen Gewinn verspricht – musst du deinem Ruf gerecht werden und weiter schimpfen. Es braucht gerade jetzt Mahner in diesem Land. Der Kunstpreis des Landes Tirol ist eine weitere Legitimation dafür. Gratulation!

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