24/08/2016

Wie man sich's mit Geld richtet

Muss Raumordnung mehr sein als die Verortung von Zentren und Räumen?

Gedanken zur steirischen Raumplanung anlässlich eines aktuellen Entscheids des Verfassungsgerichtshofs zur Rechtslage der Shopping City Seiersberg.

Der Artikel von Karin Tschavgova erschien erstmals am 6. August 2016 im Spectrum der Tageszeitung
Die Presse.

24/08/2016

Shopping City Seiersberg. Foto: Karin Tschavgova, Fotoquelle EXPA/Picturedesk

Muss Raumordnung mehr sein als die Verortung von Zentren und Räumen? Gedanken zur steirischen Raumplanung anlässlich eines aktuellen Entscheids des Verfassungsgerichtshofs zur Rechtslage der Shopping City Seiersberg.

Gemessen an der Zahl seiner Einwohner weist Österreich EU-weit den höchsten Wert an Verkaufsflächen für den Einzelhandel auf. Einen beträchtlichen Anteil daran machen die Supermarktketten aus, die hierzulande sowohl in den Großstädten wie im ländlichen Raum deutlich dichter auftreten als etwa in Paris, in Mailand und in vergleichbaren Regionen anderer Länder. Einkaufszentren wie die SCS in Vösendorf mit knapp unter 200.000 Quadratmetern oder die Shoppingcity Seiersberg vor den Toren von Graz sind Teil dieser immer weiter wachsenden Angebotsdichte.
Kein Wunder, dass der Kampf um den größeren Anteil am Kuchen zwischen den einzelnen Zentren in einer Stadt wie Graz groß ist. Wer nun glaubt, dass die derzeit massiven Probleme rund um die Shoppingcity Seiersberg dem Konkurrenzkampf mit den Kaufleuten der Innenstadt und den Betreibern der anderen Grazer Einkaufszentren geschuldet sind, die ihren mächtigen Konkurrenten in der ehemaligen Schottergrube schon seit Anbeginn im Jahr 2003 immer wieder mit Anzeigen eingedeckt hatten, der irrt. Diese Klagen wegen unlauteren Wettbewerbs durch Verstöße gegen die Bau- und Raumordnung wurden abgewiesen oder laufen noch in der Berufungsinstanz. Dabei ging es um die Errichtung angeblich illegaler Parkplätze, um die Nutzung einer Rampe und um Verbindungsbauten, die aus den in mehreren Baustufen errichteten Einzelbauten eine Mall machte, die mit genannten 85.000 Quadratmetern vermietbarer Flächen die ursprünglich genehmigte Größe weit überschreitet.
Es kam anders. Ein kürzlich auf Antrag der Volksanwaltschaft ergangener Spruch des Verfassungsgerichtshofs hob nun die rechtlichen Grundlagen jener baulichen Bindeglieder auf, die die Gemeinde Seiersberg – vermeintlich schlau – zu öffentlichen Interessenswegen zwischen Einzelzentren erklärt hatte. Damit sollte der Verstoß gegen die Größenbeschränkung verschleiert und die SCS in ihrer jetzigen Größe legalisiert werden.
Da die Landesregierung in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben der überörtlichen Raumplanung Kenntnis von dieser Genehmigung durch die Gemeinde gehabt haben müsste, könnte sie sich auch selbst bald in höchst prekärer Lage befinden. Die Drohung der Eigentümer der Shopping City, sich im Falle einer erzwungenen Schließung per Amtshaftungsklage am Land Steiermark schadlos zu halten, kam postwendend.
Verständlich, dass nun alle Beteiligten bestrebt sind, den Schaden möglichst gering zu halten. Flugs wurde ein Absatz im Steiermärkischen Raumordnungsgesetz herangezogen, der das Land durch Verordnung ermächtigt, Erweiterungen von Einkaufszentren und deren Größe unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall festzulegen. Die sogenannte Einzelstandortverordnung soll den illegalen Status beenden. Und sie wird ihn vermutlich bis zum Ende der genehmigten Sanierungsfrist im Jänner 2017 auch „reparieren“ und das, obwohl einige der Voraussetzungen, die das Gesetz für die nachträgliche Genehmigung nennt, sicher nicht gegeben sind. Die Shoppingcity Seiersberg ist absolut autoaffin. Mit leistungsstarker Erreichbarkeit im öffentlichen Nahverkehr und der Vermeidung unzumutbarer Immissionen und großräumiger Überlastung der Verkehrsinfrastruktur kann sie nicht punkten. Wer nicht über die Autobahn, sondern von Osten aus der Stadt kommt, der schlängelt sich über eine schmale Ortsstraße mitten durch kleinteilige Einfamilienhausbebauung, die Abfahrten zu den zahlreichen Parkplätzen erzeugen Verwirrung und Stau. All das hatte schon bei früheren Erweiterungen eine Bürgerinitiative auf den Plan gerufen.
Ausschlaggebend für die Wahl des Standorts und den Ausbau des Zentrums war wohl die Anbindung an die Autobahn und die Möglichkeit, auf Bestand, einen früheren Großmarkt, aufzubauen. Rücksichtnahme auf die Umgebung, auf Immissionsvermeidung und die Auswirkungen auf Verkehr und Nahversorger waren um die Jahrtausendwende kein Thema und das Instrument der Umweltverträglichkeitsprüfung gab es noch nicht. Doch heute sollte es Gültigkeit haben und auch angewandt werden, wenn es darum geht, nachträglich Legalität herzustellen.
Die Sorge der Gemeinde, ihre wichtigste Einnahmequelle zu verlieren, ist nachvollziehbar. Das immer strapazierte Argument der Gefährdung von mehr als zweitausend Arbeitsplätzen im Falle einer durch Höchstrichter angeordneten Schließung zeigt zwar das Dilemma auf, doch heilt es als Zweck die unlauteren Mittel nicht. Und es stimmt auch nicht, denn
längst weiß man, dass immer neue Einkaufszentren nur zu Verdrängungswettbewerb und der Verlagerung von Beschäftigung und Gewinnabschöpfung führen. Wer ohne Standort- und Bedarfsanalyse Genehmigungen auf der grünen Wiese erteilt, trägt dazu bei, aus Stadtzentren Kaufkraft abzuziehen und sie mittelfristig veröden zu lassen.
Fachleute fordern daher längst, die Raumordnungspolitik grundlegend zu ändern. Zuständigkeiten wie Flächenwidmungen, die heute noch bei der Gemeinde als Baubehörde erster Instanz liegen, sollten längst auf eine andere, überkommunale Ebene gehoben werden. Nur wenn überregional und bedarfsorientiert Flächen geordnet und beplant werden, kann überbordender Flächenverbrauch mit all seinen ökologischen Nachteilen eingedämmt werden. Bürgermeister müssten froh darüber sein, wenn der Druck, Bauland zu widmen, von ihnen genommen wird. Dazu müsste jedoch dem Wettbewerb unter Nachbargemeinden, Gewerbebetriebe in ihrem Gemeindegebiet anzusiedeln, die Grundlage entzogen werden. Gelingen kann das, wenn Kommunalabgaben überregional eingehoben und nach neuen Kriterien an die Gemeinden verteilt werden. Das Land Salzburg will mit einem neuen Raumordnungsgesetz erste Schritte dazu setzen.
Nun ist Seiersberg bereits gebaut und daher als Sanierung zu betrachten. Kein Politiker wird riskieren, als Vernichter von Arbeitsplätzen gebrandmarkt zu werden, sollte die verlangte Einhaltung von Rechtsvorgaben dies bewirken. Die Reparatur wird eine Quadratur des Kreises werden und partikulare Interessen weiterhin unberücksichtigt lassen. Gerade deshalb müssten strenge Vorgaben erlassen werden, die bei der ursprünglichen Widmung offensichtlich nicht berücksichtigt wurden, aber heute noch umsetzbar wären. Etwa eine leistungsstarke Anbindung an den öffentlichen Verkehr und an das Radwegenetz. Weiterreichende Einschränkungen für den Individualverkehr, auch wenn dies unpopulär ist. Oder eine großräumig gedachte neue Anbindung für den Individualverkehr, die umweltverträglicher ist.
Im Sinne der immer lauter geforderten Kostenwahrheit für Infrastruktur und Erhaltung abgelegener Standorte müssten selbstverständlich jene dafür zahlen, die die erhöhten Kosten verursachen – in diesem Fall die Eigentümer der Shoppingcity Seiersberg. Nur so würde Seiersberg als Reparaturfall nicht ein Exempel dafür werden, wie man sich’s mit Geld richten kann, sondern auch eines, wie man es künftig besser machen muss.

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