02/10/2008
02/10/2008

steirischer herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler. © fotosoesin.com

steirischer herbst-Intendantin Veronica Kaup-Hasler. © fotosoesin.com

Die Helmut-List-Halle wird von Bildhauer Christoph Steinbrenner und dem Foto- und Typograf Rainer Dempf zur großen, begehbaren Skulptur adaptiert, die zur Eröffnung des steirischen herbst 2008 am 2. Oktober als „Volksbad Waagner-Biro-Straße“ firmiert. Vom Publikum wird „Eigeninitiative und Zusammenarbeit“ als maßgeblicher Teil des Konzepts erhofft, nach dem man zugleich Beobachter und Teil der Installation sein wird. Eine Sequenz aus Michelangelo Antonionis Zabriskie Point war Inspiration für die Künstler-Architekten Benjamin Foerster-Baldenius und Jan Liesegang von „raumlaborberlin“, die das Festivalzentrum im Joanneum-Hauptgebäude gestalten. Als „moderato cantabile“ führt der Zugang durch die plastische Darstellung einer Explosion ins durchgehend in Grau gehaltene Innere des Gebäudes, das wiederum Farbakzente allein durch Besucher und Akteure erhalten wird. Ausstellungen, Filmprogramm, Café, Konzerte, Vorträge finden hier statt. Das Festivalzentrum ist außerdem Basis für das Ersatzherbstlager aus dem die Trouble Shooter von „endlich Katzenersatz – Wurstenden 14,90 (ekw 14,90)“ für Substitution bei eventuellen Programmausfällen während des gesamten steirischen herbst sorgen wollen. Hilfe bietet auch die Gruppe SIGNA an, die mit ihrer „Komplex-Nord-Methode“ Klienten über die Aufenthaltsdauer von wahlweise 6, 12, 18 oder 24 Stunden gegen Amnesie behandeln wird. Wie immer polyartistisch, tritt der steirische herbst diesmal an, mittels künstlerischer Praxis und Theorie „Strategien zur Unglücksvermeidung“ zu finden respektive zur Anwendung vorzuschlagen. Wenzel Mraček sprach mit Intendantin Veronica Kaup-Hasler.

Glück, fällt mir auf, wird in letzter Zeit in verschiedensten Zusammenhängen thematisiert. Da gibt es etwa ein Radiojournal von Franz Schuh, die Glücksspiele boomen … Könnte das vielleicht ein Indiz dafür sein, dass in der Gesellschaft etwas aus der Bahn läuft und man aufgrund eines gewissen Ohnmachtgefühls auf das Glück hofft?

Veronica Kaup-Hasler: Das zu denken ist jedenfalls eine interessante Variante. Ich glaube, das hat es immer gegeben. Interessant ist aber auch, dass die Hoch-Zeiten von Glücksspielen immer mit gesellschaftlichen Krisen einhergingen, während denen etwa Alfred Döblin, Ödön von Horváth oder Leo Perutz ihre Stoffe fanden. Das „Magazin des Glücks“ ist Titel eines nicht zustande gekommenen Projekts von Horváth, Alexander Kluge hat unter diesem Titel 2007 eine Kulturgeschichte des Lachens publiziert. Gegenwärtig arbeitet die Werbeindustrie, vielleicht stärker als jemals zuvor, mit dem Versprechen der Glückserfüllung in allen Bereichen des Lebens. Es werden Emotionen verkauft und das wird mit Glücklichsein verwechselt. Mit dem Programm des steirischen herbst wollen wir uns diesen Fragen aber von der Kehrseite her nähern und beschäftigen uns mit dem vorhandenen Unglück. Es gab ja auch noch nie so viele Angebote von Versicherungen gegenüber allen möglichen Anlassfällen bei gleichzeitig zunehmender Reduktion staatlicher Obsorge. Das Vermeiden von Unglück ist also etwas, womit wir ständig umgehen.

Glauben Sie, angesichts vor allem des Theorieteils, der herbst-Akademie, dass die Kunst auf gesellschaftliche und politische Situationen Einfluss nehmen kann?

Einfluss ja. Aber die Idee, dass Kunst die Politik von Grund auf verändern könnte, halte ich für naiv. Die Auseinandersetzung mit Kunst kann aber zu einem differenzierten Denken von Welt animieren, indem man vielleicht lernt, Lüge von Wahrheit besser zu unterscheiden. Kunst macht sozusagen mündig. Mit Künstlern und Kuratoren kamen wir zu der Ansicht, dass es keine großen Gegenentwürfe zur derzeitigen Entwicklung in Richtung neoliberale Gesellschaften gibt. Es fehlen große gesellschaftliche Visionen. Wir stellen also fest, es gibt Handlungsbedarf um die Welt zu retten, ob in ökologischen Belangen, gegenüber einem Auseinanderdriften von Gesellschaftsschichten oder ob es darum geht, eine andere Balance zwischen erster und dritter Welt zu finden. Aus dem Nachdenken darüber, wie sich Menschen gegenüber Unglück verhalten, haben wir zunächst eine Liste angelegt: Darin enthalten sind einerseits sehr private, andererseits sehr große politische Momente, die aber keineswegs ideologisch gedacht sind, im Sinn der Machterhaltung gesellschaftlicher Gruppen. Gerade im Ausstellungsbereich ist der herbst ja in Partnerschaft mit den hier ansässigen Institutionen. Dass einige von ihnen sich politischen Aspekten widmen, zeigt meines Erachtens einen Trend in der Gegenwartskunst. Die Walking Conference im Rahmen der herbst-Akademie aber wurde von so unterschiedlichen Kuratoren mit verschiedensten Perspektiven entwickelt, dass man hier keineswegs von einem Trainingscamp für politische Bildung sprechen kann.

In einem früheren Gespräch über die Eröffnung „Volksbad Waagner-Biro-Straße“ in der Helmut-List-Halle haben wir festgestellt, dass es auf Seiten des Publikums notwendig sein wird, Seilschaften zu bilden, um in den Genuss des Festes zu gelangen. Durch solche Seilschaften könnten andere benachteiligt werden.

Um dieses Bild weiterzuführen: Es gibt – auch bei der Eröffnung – nur eine bestimmte Anzahl von Seilen.

Die Letzten bestraft dann das Leben – ist das Unglück?

Diese Installation wird für das Publikum jedenfalls zur großen Herausforderung. Ich sehe dem mit freudigem Schrecken entgegen, weil ich glaube, dass es eine sehr provokante Form einer Eröffnung sein wird, die das Ritual von Eröffnungen thematisiert und gleichzeitig das Motiv der Partizipation aufnimmt: Wie teilen wir, wie helfen wir einander? Der Ausgang dieses Abends wird uns etwas über das Verhalten von Menschen im Miteinander erzählen und ich bin gespannt wie das ausgeht.

steirischer herbst 2008
2. bis 26. Oktober 2008.
Das Gespräch ist erstmalig in der September-Ausgabe des KORSO erschienen.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek im Gespräch mit Intendantin Veronica Kaup-Hasler
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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