12/02/2019

Wolkenschaufler_19

Gentrifizierung in den Alpen

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

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12/02/2019

Andermatt: Gemeinfrei, Aufnahme etwa 1900

Gentrifizierung in den Alpen

„Das Gesicht von Andermatt wird sich total verändern. Wir bringen reiche Gäste nach Andermatt, die es heute hier nicht gibt. Vorrang hat, wer ein Appartement für drei, vier Millionen Franken kauft oder 1500 bis 2000 Franken pro Nacht zahlt. Wir wollen dich, wenn du Immobilien kaufst oder in einem der Hotels wohnst. Ansonsten werden wir versuchen, dich zu eliminieren. Wir kontrollieren Andermatt in allen Aspekten. Dies wird in Zukunft kein Ort für jedermann sein.“

Im Jahr 2010, kurz vor Baubeginn des inzwischen fertiggestellten Fünf-Stern-Hotels The Chedi, stellte dessen Betreiber Hans R. Jenni Gemeindevertreter und Presse mit dieser Ansage vor die erwarteten Aussichten. Die auf 1450 Metern Seehöhe gelegene Schweizer Gemeinde Andermatt (Kanton Uri) zählte damals gerade 1304 Einwohner. Diese Zahl hat sich bis heute nur geringfügig erhöht. Eine Studie der Hochschule Luzern aus dem Jahr 2018 (1) lässt allerdings vermuten, dass die Bevölkerung in großen Teilen infolge Zu- und Abwanderung gewechselt haben dürfte, wobei die Zuwanderung deutlich durch Beschäftigte im Tourismus erfolgte.
Andermatt war um 1900 ein eleganter Tourismusort. Später, während des Zweiten Weltkriegs, wurde das Bergdorf zum militärischen Stützpunkt umfunktioniert, der nach dem Ende des Kalten Krieges aufgelassen wurde. Investitionen hinsichtlich eines zu entwickelnden Tourismus blieben im Grunde auf eine Seilbahn und kleinere Liftanlagen beschränkt. Noch 2005 zählte man 22 landwirtschaftliche und 13 Betriebe im Bereich Industrie und Gewerbe mit insgesamt etwa 800 Arbeitsplätzen.
Dann wurde Andermatt von dem ägyptischen Multi Samih Sawiris entdeckt. Ab 2007, auf einer zentral gelegenen Fläche von 1,46 Quadratkilometern, entwickelte Sawiris ein Luxusresort mit sechs Hotels, 42 Appartementhäusern, 25 Villen und dem obligaten 18-Loch-Golfplatz.
900 Millionen Franken investierte Sawiris Firma Andermatt Swiss Alps über die vergangenen zehn Jahre nach einem Masterplan, mit dem Denniston Interational Architects in Kuala Lumpur beauftragt wurden.
Über sechs Jahre haben die Regisseure Leonidas Bieri und Robin Burgauer die Entwicklungen für ihren Film Andermatt – Global Village (D/CH, 2015) verfolgt. Wie das Eingangszitat stammt daraus auch die Erläuterung des ausführenden Architekten während der ersten Bauphase des zentralen Hotels The Chedi: „Wir haben einen Lichtdesigner aus Melbourne, einen Küchenplaner aus Hongkong und einen Baumspezialisten aus Miami.“ In einer Szene im Wirtshaus überlegen Landwirte, ob sie in Andermatt bleiben werden oder besser abwandern sollten. Einer hat seinen Hof schon verkauft und ist am Innenausbau der neuen Anlagen beschäftigt. In der erwähnten Studie der Hochschule Luzern ist zu lesen, dass der Gemeinderat inzwischen überlegt, in welchem Umfang Gemeindewohnungen errichtet werden müssten, um Lebenshaltungskosten neuer wie verbliebener AndermatterInnen zu kompensieren.

Auf wirtschaftlichen Erfolg hingegen darf die türkische Sarot Group nun doch noch hoffen. Seit 2014 wurden in ein vormaliges Waldgebiet in der Provinz Bolu 732 baugleiche Villen geklotzt, in der Hoffnung, mit Burj al Babas Investoren aus dem arabischen Raum gewinnen zu können. Die Objekte, die jeweils an ein kleines Neuschwanstein erinnern – oder eben an das Disney-Schloss – sollten um etwa 450.000 Dollar pro Stück verkauft werden. Um 200 Millionen wurde inzwischen gebaut, bis die Firma im Vorjahr gerichtlich für bankrott erklärt worden war. Die Sarot Group ging in Revision und darf nun, trotz 23 Millionen Dollar Schulden, weitermachen. Im Herbst dieses Jahres, sagt ein Anwalt Sarots, wird die Anlage teilweise eröffnet: „Sobald es losgeht, wird das eine Traumstadt.“ (2) Der Anwalt eines aus Kuwait stammenden Käufers von 70 Stück Villen beklagt sich über den aktuellen Entscheid des Istanbuler Gerichts. Da seien zu viele Vereinbarungen nicht eingehalten worden. Sarot aber hat neue Pläne: In der Luxus-Planstadt sollen noch ein Einkaufszentrum, türkische Bäder und eine Moschee errichtet werden.
Traumkultur statt Baukultur und irgendwo muss die überschüssige Kohle doch irgendwie deponiert werden können. Sarot braucht jedenfalls Geld, Fotos könnten Millionen kosten, deshalb sei hier auf ein Video verwiesen: https://www.youtube.com/watch?v=LzGqIRGAEUI

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Verweis (1)
https://bestandermatt.files.wordpress.com/2018/06/180613_bestandermatt_…

Verweis (2)
http://www.spiegel.de/video/geisterstadt-burj-al-babas-darf-weitergebau…

anonym

.... irgendwo muss die überschüssige Kohle aus Drogenhandel ect. wohl weißgewaschen werden. Nur eine Vermutung. Es ist zum Kotzen und leider auch zum Auswandern für die Andermatter.

Di. 12/02/2019 11:51 Permalink
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