11/08/2020

Wolkenschaufler_37

Così fan tutte – Bauen im Schatten der Krise

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Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT

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11/08/2020

Graz: am Areal der 'Josefinenvilla' am Rosenberg entstehen drei Objekte – Quellengasse 30, 32, 34 – mit Tiefgarage. (s.a. Link > rosenbergvilla.at)

©: Wenzel Mraček

Baustelle am Areal der 'Josefinenvilla' am Grazer Rosenberg

©: Wenzel Mraček

Così fan tutte – Bauen im Schatten der Krise

Ulrich Eichelmann leitet die in Wien ansässige NGO RiverWatch, die unter anderem damit befasst ist, die Balkanflüsse – Europas letzte frei fließende Flüsse – vor dem Verbau mit Kraftwerken und Staudämmen zu retten. Auf der Homepage der Organisation ist von etwa 2700 geplanten Staudämmen von Slowenien bis Griechenland die Rede. Mit der Kampagne Rettet das blaue Herz Europas versucht RiverWatch sogar, sich für den Rückbau von Staudämmen im Alpenraum und auf dem Balkan einzusetzen.

In einem Beitrag des Ö1-Magazins Diagonal (11.07.2020) spricht Eichelmann in diesem Zusammenhang von einem bisher nicht gekannten Phänomen. Er habe festgestellt, dass während des Corona-Lockdowns in Bosnien und Herzegowina plötzlich Baumaschinen für Kraftwerksbau aufgefahren seien, und zwar an Orten, an denen keine Baugenehmigung besteht. Südlich von Sarajevo seien von Investoren fünf Staustufen geplant, während die Bauaufsicht durch staatliche Inspektoren aufgrund Corona-Verordnungen nicht erfolgt. Nach Intervention von RiverWatch und Protestaktionen von Anwohnern erging inzwischen ein Moratorium des Parlaments in Bosnien-Herzegowina (25. Juni), nach dem keine neuen Kraftwerke mehr genehmigt werden und bereits genehmigte Projekte rechtlich geprüft werden.
Man mag nun geneigt sein, solche Vorgänge mit einem nicht weniger fragwürdigen Balkanklischee abzutun. Ulrich Eichelmann aber erzählt in der Folge von Österreich. Die Ötztaler Wasserkraft GmbH plant ein Kraftwerk im oberen Ötztal mit Staubecken in Tumpen. Abgesehen davon, dass der Errichtung eine weltbekannte Kajak-Strecke zum Opfer fiele und die bisher frei fließende Ache mit einem Kraftwerk eben kein Wildfluss mehr wäre, sagt Eichelmann, dass die Investoren „während des strengsten Ausgehverbots“ nahe Ischgl mit dem Bau begonnen hatten, „und das, obwohl das Projekt noch nicht ausjudiziert war“. „Umwelt- und Naturverbrechen“, so Eichelmann, „geschehen im Schutz des Covid-Ausgangsverbots“.
Mitte März dieses Jahres also hatte die Ötztaler Wasserkraft GmbH das Versammlungsverbot und damit die Unmöglichkeit von Bürgerprotesten genutzt, eine Baubehelfsbrücke errichtet und mit Pegelbohrungen begonnen, während der WWF Österreich und eine Bürgerinitiative jetzt eine Petition an das Land Tirol richten wollen, um die Bauarbeiten zu stoppen.

Schauplatz Graz. „Eine von kurzlebigen Modeströmungen unabhängige Architektur fügt sich feinfühlig ins Gelände der großzügigen Landschaft. Der Westhang bietet allen Wohnungen
 wunderschönen Ausblick in die Umgebung“, ist auf der Website eines Immobilienentwicklers zu lesen. Es handelt sich um das Areal der Josefinenvilla auf dem Rosenberg, Quellengasse 30, 32, 34. Drei Objekte, 15 Wohneinheiten mit Tiefgarage sollen entstehen – in einem Hang, der Quellwasser liefert. Jördis Tornquist schreibt dazu in einem Artikel auf GAT (MINUS – am Grazer Rosenberg, 28.04.2020, s.u.), dass in den Wochen, „in denen uns das Corona-Virus in die eigenen vier Wände gezwungen hat, der gesamte Hügel des Grundstückes „Josefinenvilla“ in der Quellengasse, der auch einen Naturteich beinhaltete, abgetragen“ wurde. Wie ist es möglich, fragt Tornquist, ein solches Projekt „in einen Hang mit Quellwasser“ zu graben. Zwischen den Zeilen im Grunde die Frage: Wie kam es zu einer Baugenehmigung für dieses Vorhaben? In einem Kommentar zu dem Artikel führt Elisabeth Kabelis-Lechner unter anderem an, dass das Grundstück im Landschaftsschutzgebiet LS30 liegt. Nach den entsprechenden Bestimmungen dürfte es diese Baustelle eigentlich gar nicht geben.

Karin Tschavgova

An dieser Stelle auf GAT habe ich, und nicht nur ich, die zuständigen Stellen, also jene Ämter, die solche Bauvorhaben genehmigen, schon öfter aufgefordert, Stellung zu beziehen und die gesetzlichen Beweggründe und Grundlagen öffentlich zu erläutern, zu erklären, wie es sein kann oder muss, genau solche Baugenehmigungen zu erteilen. Oder zum Beispiel ein neues Stadtteilzentrum in Graz-Waltendorf errichten zu lassen, bei dem die Planung des öffentlichen Raums und des Grünraums offensichtlich niemandem ein Anliegen war und daher jetzt, wo alles mit Asphalt und Beton versiegelt ist, nachgebessert werden soll. Beispiele ließen sich noch zahlreich anfügen. Haben an ihrer Stadtentwicklung interessierte Grazer Bürger und Bürgerinnen nicht das Recht, Aufklärung zu verlangen und zu verstehen, auf welcher Basis und mit welchen Auflagen hierorts private Investments (die beim Beispiel Waltendorf ein Stadtteilzentrum werden sollten) getätigt werden können?
Es wird wieder Schweigen aus dem Walde geben - Hoffnung auf Transparenz und Bürgernähe habe ich nicht mehr, auf offenen Diskurs schon gar nicht.

Di. 11/08/2020 10:24 Permalink
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