11/04/2023
Wolkenschaufler_69
Die verkaufte Stadt
11/04/2023

Rosenberggürtel, November 2014

©: Wenzel Mraček

Roseggerweg, Leechwald, November 2020

©: Wenzel Mraček

Quellenweg, Rosenberg, Dezember 2021

Quellenweg, Rosenberg, Februar 2023

An zwei Tagen im November 2014 habe ich den schließlich leicht versunken wirkenden Bagger am Grazer Rosenberggürtel gesehen. Tags vor Entstehung dieses Fotos dachte ich mir schon, das wird nicht gut gehen. Das Baufahrzeug stand bereits am Rand des Grundwassersees an einem der im Bau befindlichen „Rosenhöfe“ und hatte sich in eine tatsächlich ausweglose Lage gegraben. Keine Spur war da von einer Ausfahrt aus der Künette und im Vorübergehen stellte ich mir verschiedene Berufe vor, denen der Baggerfahrer oder die ihn beschäftigende Firma im Eigentlichen nachgingen. Baggern war es wohl eher nicht.

Ob das Foto nun sinnbildlich für hier Folgendes gedacht werden mag, überlasse ich geneigten Leser:innen. „G`schwind, g’schwind“ aber scheint hier der Auftrag gelautet zu haben, gebaut muss werden und vorgestern fertiggestellt, Investorengeld ist zwar allenthalben vorhanden, wird aber wohl des Öfteren erst under construction aufgestellt. Wir beobachten beispielsweise aktuelle Projekte im Leechwald (Foto, Nov. 2020) wo seit nun drei Jahren eine Baustelle für „Luxuswohnungen“ simuliert wird – jetzt wurde ein Fundament errichtet – oder die Anlage in der Quellengasse auf dem Rosenberg mit mehreren dreigeschossigen Wohngebäuden und Tiefgaragen, die seit auch gut drei Jahren im Bau befindlich ist – derzeit völlig mit Schutzplanen eingehüllt, weil, wie soll man’s sagen, sichtlich under delayed construction.

Man kann diese Beispiele freilich als Nebengeräusche der verbreiteten Situation begreifen, in der eine Leerstands-Problematik – auch in Graz – nicht so recht angegangen werden will. Vor drei Jahren noch vermutete Gemeinderätin Susanne Bauer (vgl. Wolkenschaufler_36) angesichts Melde- und Wohnungszahlen der Statistik Austria, dass in Graz 7000 bis 10.000 Wohnungen leer stünden. Erhoben wird zu dieser Vermutung seither aber nichts, und inzwischen müssten die neuen Stadtteilerrichtungen Reininghaus und Smart City wohl auch bedacht werden. „Der Bauboom“, hieß es in einer Broschüre der Initiative Unverwechselbares Graz vom April 2019, „erzeugt Leerstand, weil zu viel und am Bedarf vorbei gebaut wird. Dort wo frei finanziert und von gewerblichen Bauträgern wie Investorengesellschaften gebaut wird, stehen mehr Wohnungen frei“. Ergänzt wurde, dass es sich bei rund 12 Prozent der neu errichteten Wohnungen um Mikro- oder smarte Wohnungen handelt, die zum „Schlafen und Essen für max. 2 Personen“ reichen, während Freizeitbeschäftigung oder neuerdings Heimarbeit in irgendeiner Weise ausgelagert werden müssen. Was in der Broschüre noch nicht als Beispiel angeführt werden konnte ist etwa die Auslagerung von Hab und Gut in gleich miterrichtete Containeranlagen am Areal der Smart City (Waagner-Biro-Straße), die zur Mikrowohnung gekauft oder gemietet werden können.

Literatur zum Thema wurde etwa von Gabu Heindl publiziert (Stadtkonflikte. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung, 2020), von Ernst Hubeli (Die neue Krise der Städte. Zur Wohnungsfrage im 21. Jahrhundert, 2020) oder von Christian Kühn, Operation Goldesel. Texte über Architektur und Stadt 2008 – 2018, erschienen 2019. Kühn vor allem äußert hier den Verdacht, das Geschäftsmodell Anlegerobjekt zeitigte Anlagen, in die der/die Eigentümer/in wohl nie seinen/ihren Fuß setzen werde.

Und das Mieten, angesichts gegenwärtig enormer Inflation, wird gerade nicht mittels „Mietpreisbremse“ erleichtert (gut, die Mietpreisdeckelung in Berlin hat auch nicht gefruchtet), vielmehr wird ein bedarfsorientierter „Wohnkostenzuschuss“ aus Steueraufkommen erstattet, der Vermieter und Entwickler entlastet und den Bau „vorbei am Wohnbedarf“ abermals befördert, die Fortführung des Circulus vitiosus.

Lesen wir also weiterhin Heindl, Hubeli und Kühn und denken wir uns unseren Teil. Denn alles bleibt beim Alten, wenn auch die Kreditzinsen steigen, Anlegen und Investieren (siehe Quellengasse) delayed werden.

Es gibt kurzweilige Filmdokumentationen wie jene von Andreas Wilcke (Die Stadt als Beute, 2016), die vom Investitionsdesiderat Berlin erzählen, von gut gelaunten Entwicklern (Männer), die ihren Spaß damit haben, dass „es hier so billig“ ist und von Mieter:innen, die nicht mehr ein noch aus wissen. Zahlungsschwache Mieter müssen ihre Wohnungen auf-, nein, abgeben.

Ähnlich gelagert dürfte ein nun in Fertigstellung begriffener Film von Leslie Franke und Herdolor Lorenz sein, auf den uns der Verein Unverwechselbares Graz aufmerksam macht. In Sold City zeigen die deutschen Filmemacher an Schauplätzen in Berlin, Paris, Hamburg, München, London und Wien wie Menschen den Immo-Boom erleben: Wie kommt es zu Preisanstiegen und gibt es Möglichkeiten alternativer Wohnmodelle? Im Statement vorab erzählen die Autoren von der Intention zu dem Projekt und ihrer eigenen Situation in Hamburg – St. Georg. Seit etwa 15 Jahren wird der Stadtteil von internationalen Konsortien „entwickelt“, zwei Drittel der vormaligen Bewohner haben St. Georg verlassen. Wohnungen und ganze Straßenzüge wurden von Konzernen übernommen, Nahversorger durch Hotels und Boutiquen ersetzt. „Solange der Markt bestimmt, wo du wohnst, läuft in Gesellschaft und Politik etwas schief. Deshalb der Film!“

Finanziert wird die Produktion großteils durch Crowdfunding, deshalb und to whom it may concern: https://www.sold-city.org/de/

Dipl. Dolm. Peter Laukhardt

Dieser Wolkenschaufler zeigt auf ironische, aber beinahe köstliche Weise, wie habgierige Investoren uns und sich selbst die Zukunft im wahrsten Sinn des Wortes "verbauen". Das wirklich Schlimme daran aber ist, dass die verantwortlichen Politiker in Bund, Land und Stadt - wie es scheint, fast ausnahmslos - dieser apokalyptischen Szenerie planlos und ohnmächtig gegenüberstehen. Die seit Jahren von allen Seiten her auf sie eindreschende Kritik verantwortungsbewusster Zeitgenossen und Autoren hat sie noch immer nicht zum Umdenken bewegt. Freilich, das Desinteresse der gerade nicht selbst direkt Betroffenen ist ein sanftes Ruhekissen. Dem Wolkenschaufler ein herzliches Dankeschön!

Di. 11/04/2023 16:07 Permalink
Dipl. Dolm. Peter Laukhardt

Dieser Wolkenschaufler zeigt auf ironische, aber beinahe köstliche Weise, wie habgierige Investoren uns und sich selbst die Zukunft im wahrsten Sinn des Wortes "verbauen". Das wirklich Schlimme daran aber ist, dass die verantwortlichen Politiker in Bund, Land und Stadt - wie es scheint, fast ausnahmslos - dieser apokalyptischen Szenerie planlos und ohnmächtig gegenüberstehen. Die seit Jahren von allen Seiten her auf sie eindreschende Kritik verantwortungsbewusster Zeitgenossen und Autoren hat sie noch immer nicht zum Umdenken bewegt. Freilich, das Desinteresse der gerade nicht selbst direkt Betroffenen ist ein sanftes Ruhekissen. Dem Wolkenschaufler ein herzliches Dankeschön!

Di. 11/04/2023 16:02 Permalink
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