15/02/2012
15/02/2012

Dense Cities, eine Ausstellung von Studentenarbeiten im Forum Stadtpark, entstanden in einer Lehrveranstaltung über zwei Jahre am Institut für Gebäudelehre der Technischen Universität Graz.

Dense Cities, die Ausstellung. Arbeitsschwerpunkt einer Kooperation von Haus der Architektur HDA, Institut für Gebäudelehre / TU Graz und Forum Stadtpark.
Dense Cities. Das Thema internationaler Architekturdiskussionen weltweit, aktuell, Dense Cities, Ideen für Graz: dichter, lebenswerter, grüner. Das Problem in Graz ist aber nicht ein Mangel an Wohnraum oder an Büroflächen. Diesen Bedarf deckt der Markt ab, neoliberal, d.h. gewinnmaximiert. Das Problem in Graz sind die Umweltbedingungen, die Luftverschmutzung und der Feinstaub, verursacht durch die Lage der Stadt in einem Kesselbereich am Rande des südlichen Alpenvorlandes, zudem abgeschirmt gegen Winde aus West, Nord und Ost. Die Mur soll für ein sinnloses Kraftwerk aufgestaut werden. Sie transportiert noch Frischluft in die Stadt – ein Stausee im Stadtzentrum, nein danke.

Als Zentralort hat Graz einen täglichen Zustrom von Berufspendlern, der weit über dem Maß an Berufsverkehr vergleichbarer Mittelstädte liegt. Diesen Pendlern wird als Alternative zum PKW kein leistungsfähiges System des öffentlichen Verkehrs angeboten. Vorschläge hat es genug gegeben. Reingestaut, rausgestaut, täglich. Durch raumordnungspolitische Unfähigkeit in den vergangenen 30 Jahren sind Streusiedlungen bis zu einer Entfernung von 50 km und mehr zum Einzugsgebiet für Tagespendler geworden. Jene Fahrzeuge produzieren im „Stop-and-go-Verkehr“ den größten Anteil der Feinstaubbelastung der Luft über Graz. Am Konzept für die Stadtentwicklung von Dinkelsbühl hat sich die Stadtplanung von Graz orientiert. Kleine Brötchen wurden gebacken, die Fortschreitung des Stadtentwicklungskonzeptes, trostlos.
Grazer Stadtpolitiker glauben, man könnte Pendler mit einem attraktiven Wohnungsangebot dazu bewegen, sich in Graz niederzulassen, dann wäre die Umwelt durch das geringe Verkehrsaufkommen weniger belastet. Irrtum. Diese Menschen haben bereits ihr Dorf zersiedelt, haben ihre Häuser gebaut, ihre Familien leben hier. Sie sind dort sozialisiert, ihr Milieu ist ein anderes, sie wollen nicht in die Stadt ziehen.

In Sichtweite vom Schloßberg im Süden von Graz wird zurzeit eines der größten Gaskraftwerke des Landes in Betrieb genommen. Mit der Abwärme der Stromerzeugung könnten in Graz Tausende Haushalte mit Fernwärme versorgt werden und entsprechend viele Ölheizungen würden die Luft über Graz nicht weiter mit Abgasen belasten. Weil sich die Stadt und der Kraftwerksbetreiber über die Teilung der vergleichsweise geringen Kosten für die Fernwärmeleitung vom Werk nach Graz nicht einigen können, wird diese kostbare Energie über Kühltürme in die Luft geblasen und zur zusätzlichen Belastung.
Statistiken zum Lebensalter der Bevölkerung von Österreich sagen aus, dass Frauen ein Lebensalter von durchschnittlich 83 Jahren erreichen, Männer 79. Frauen und Männer in Graz sterben im Vergleich zu diesen österreichischen Durchschnittswerten um 17 Monate früher. Als Ursache dafür vermuten Wissenschafter die Belastung mit Feinstaub in Graz.

Dense Cities. Diese Ausstellung zeigt das Thema der Nachverdichtung für Graz in der Bearbeitung von 3 typischen städtischen Situationen. St. Leonhard, Herz-Jesu-Viertel, Blockrandbebauung aus der Gründerzeit, 3-4 geschossig, 7 Baublöcke beidseits der Sparbersbachgasse, von der Mandellstraße bis zur Herz-Jesu-Kirche.
Projekt: zweigeschossige Überbauungen der Gebäude, Entkernung aller Innenhöfe, Zusammenlegung aller Hofflächen für die öffentliche Nutzung. Flachdächer, durch Brücken über die Gassen verbunden, als Freizeitflächen „für die Bewohner“ genutzt. Kommentar: Die Straßenräume der Sparbersbachgasse als repräsentative Achse und jene der Quergassen sind unterschiedlich in ihren Abmessungen, die Gebäudehöhe ist einheitlich, die Straßenbreite ist unterschiedlich, die Sparbersbachgasse wird auf einer Seite von schmalen Vorgärten begleitet. Das Verhältnis von Straßenbreite zu Gebäudehöhe ist wohlüberlegt und die Raumwirkung von kalkulierter Eleganz. Auf das zweckmäßige Mindestmaß sind die Straßenbreiten in den Quergassen reduziert. Durch die vorgeschlagene 2-geschossige Überbauung werden diese stadträumlichen Qualitäten vernichtet, ohne dass entsprechend neue angeboten werden. Besonnung und Belichtung werden für die unteren 4 historischen Geschosse sehr stark eingeschränkt. Fazit: Für 2 neue Luxusgeschosse werden 4 Altbaugeschosse unzumutbar abgewertet. Die Umformung der Innenhöfe wäre vorteilhaft, zusammenhängende Gartenflächen sollten durch die Entkernung entstehen. Dass die Höfe mit modischen Designobjekten überinstalliert werden, wäre kontraproduktiv.

Die Vorschläge für die Nutzung der Räumlichkeiten im Erdgeschoss sind zum Teil witzig, sonst eher dünn. Sigis Laden-Wohnung ist ein Greißler mit Wohnungseinrichtung. Einkäufe wie von Zuhause gewohnt. Aber, sollte der Singletyp seine Schuhe im Kühlschrank abstellen, findet er bei Sigi im Kühlschrank Milch, Eier und Butter? Auffallend bei Sigi ist, dass in seinem Ambiente das Schlafzimmer fehlt. Wo findet man in seinem Laden Schutzgummi, Aspirin und den Ratgeber für die Ernährung des werdenden Vaters? Nirgends ist ein Nachtkastl, weit und breit kein Schlafgestell.

Plüddemanngasse, Mc Boulevard 2.0*. Aus der Eisteichsiedlung entwickelt sich hangabwärts eine Grünanlage, darunter durch die Plüddemanngasse im Tunnel, 1 km Stadtautobahn. Oben drüber über allem steht ein Regal mit gestapelten Fertighäusern, 6 oder 8 übereinander. Na und? Stanley Tigerman lässt grüßen.

Dann wird eine weitere Planung für die Plüddemanngasse präsentiert. Diesmal echte Verdichtung. Alles bleibt wie es ist und dazwischen werden einige coole Bauwerke gestellt. Bekannte Häuser wie aus dem Journal. Oder doch nicht? Egal.
Studenten und / oder betreute alte Menschen und andere schicke Typen sollen hier wohnen. Die ca. 10.000 PKW fahren im Tunnel des vorher beschriebenen Projektes täglich in Richtung Schillerplatz und in die Gegenrichtung. Durch das perfekte Rendering fährt stadtwärts eine Hochzeitskutsche mit glücklichen Pferden und schönen Menschen. In der Gegenrichtung ist wenige Augenblicke zuvor eine Reitergruppe aus dem Bildformat verschwunden, ich höre die Rösser noch wiehern.
Die Verfasser dieses Projektes artikulieren u.a. diesen Anspruch an ihre Arbeit: „Alle neuen Projekte sollten in einen Dialog mit den Nachbarschaften treten und gemeinsam einen neuen Raum generieren.“
Übrigens: Die nächste und flächenmäßig größte Nachbarschaft südwestlich der Plüddemanngasse ist der St. Peter Stadtfriedhof, gegründet um 1800. Weitläufig, ruhig, sonnig, durchgrünt, wenig Verkehr. Paradoxerweise ein Ort mit hoher Lebensqualität, nur nicht sehr dialogfähig.

Ausstellung
Dense Cities
Tipp: hingehen und anschauen
Wo: Forum Stadtpark Graz, Hauptraum
Wann: bis 25. Februar 2012
Öffnungszeiten: Di–Fr, 10.00-18.00 Uhr, Sa 14.00–18.00 Uhr

Eine Kooperation von HDA Graz, FORUM STADTPARK und Institut für Gebäudelehre TU Graz.

HEINZ WONDRA lebt und arbeitet als Architekt in Graz
Kontakt. architect@wondra.at

Verfasser/in:
Heinz Wondra, Kommentar
Peter Laukhardt

an literaturpreisverdächtigem Stil zeichnet den Beitrag über die Ausstellung im Forum Stadtpark aus. Aber auch die Würdigung der Werte gründerzeitlicher Stadtarchitektur ist äußerst lehrreich gelungen. Danke, Heinz Wondra!

Di. 21/02/2012 3:50 Permalink
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