06/04/2020

Zurück aus der Zukunft

Prophetie bewegt sich im Rush-Hour-Modus.

Next Exit: Future

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Essay von Emil Gruber

 


06/04/2020
©: Emil Gruber

Jetzt sind die guten alten Zeiten,
nach denen wir uns in zehn Jahren zurücksehnen.

(Peter Ustinov)

Aktuell drängeln sich in den Medien Prognosen über das Leben nach dem Virus. Renommierte Denkerinnen und Denker werden befragt. Die Ungefragten melden sich reflexhaft reflektierend selbstbeauftragt zu Wort. Prophetie bewegt sich im Rush-Hour-Modus. Next Exit: Future

(K)eine neue Erkenntnis: Der Mensch sehnt sich besonders dann nach Antworten, wenn die wesentlichen Fragen dazu unbeantwortbar sind.
Hellseher, Schamanen, professionelle Zukunftsforscher, mit Daten und Fakten arbeitende Wissenschaftler, nüchtern mit vorhandenen Zahlen operierende Statistiker: Die aktuelle Situation lässt ein farbenfrohes Frühlings-Spektrum von Wissenden erstrahlen.  
Viele dieser digitalen Weisheitspilgerorte werden zu einer einzig gültigen Kaba, um die die Anhängerschaft für eine Handvoll Hoffnung streamt. Neues Schwarmwissen breitet sich aus, kollidiert in kraftvollen Debatten mit dem Gegenschwarm eines anderen einzig gültigen Gedankens. Da wird es dann auch sehr emotional. Die universellen Apostel setzen sich auf höherer Gedanken-sind-frei-Flugbahn mit den sich konfrontierenden Thesen auseinander, zweifeln, wägen ab, kommentieren. Auch sie und ihre Gefolgschaft kennen keine Kurzarbeit.
Viele erste Kapitel von zukünftig bedeutsamen Büchern werden gerade in Tastaturen getrommelt. Die Diktierfunktionen der Mobiles sind mit Tröpfchen voller zu Wort gewordener Kopfbilder benetzt. Nicht nur der nun anwesende Virus auch seine Abwesenheit unter ferner liefen ist im akuten Ich-Weiß-Etwas-Geschäftsfeld hochansteckend.

Doris Lessing (1919 -2013), die mit Das Goldene Notizbuch und anderen Klassikern als weitsichtiger Mensch bezeichnet werden kann, meinte einmal:
„I am a person who continually destroys the possibilities of a future because of the numbers of alternative viewpoints I can focus on the present.“
Für Weise, für die Zukunft das einzige Arbeitsgerät bedeutet, ist das keine wirkliche Gedankenoption.

Matthias Horx, der Experte „für eh alles Kommende“ (um die sympathische Selbstbeschreibung des Kabarettisten Günther Paal aka GUNKL etwas zu variieren) fährt auf seiner Homepage  – s. Link diezukunftnachcorona.com – schweres Wissen über DAS-WAS-KOMMT auf. Er arbeitet mittlerweile nicht mehr mit Prognosen. Das Werkzeug der Stunde ist die Regnose. Der Blick aus der Zukunft zurück ins Heute. „Wir werden uns wundern, dass sogar die Vermögensverluste durch den Börseneinbruch nicht so schmerzen, wie es sich am Anfang anfühlte. In der neuen Welt spielt Vermögen plötzlich nicht mehr die entscheidende Rolle. Wichtiger sind gute Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten.“ Als Absicherung schlägt uns der Meister der Zeitreise gleich vier Zukunftsszenarien vor. Unser simples lineares Zeit-Achsen-Denken wird in den kommenden Morgendämmerungen viel zu tun haben, sich an diese neue Zeitrechnung zu gewöhnen. Horx setzt bei der Bald-Einmal-Erhebung auf familiäre Arbeitsteilung. Seine Frau Oona Horx-Strathern ist in ihrem Beitrag auf der horxen Homepage klassisch Hausfrau: „Wir werden uns in dieser Zukunft vielleicht fragen, warum wir einmal nach Hause gekommen sind und alles für selbstverständlich gehalten haben, warum wir unser Zuhause so vernachlässigt haben, warum wir die subtilen Linien der Beine des Esstisches, die weiche Krümmung der Armlehnen des Sofas nie wirklich bemerkt oder geschätzt haben“. Sohn Tristan wieder beschäftigt sich in seinem Beitrag zur Generation Corona (ich war nur Nachkriegsgeneration – wer zu früh kommt, den bestraft die Zukunft) mit der Trinität von Hand-Mund-Ohr: „Nach mehreren Wochen des Zwangs-Onlineseins in Quarantäne werden wir auch wiedererkennen, wie schön es ist, sein Handy nicht als einzige Verbindung mit der Welt zu haben. Wir werden es REALDIGITAL nutzen, die Krise wird ausloten, wofür es wirklich Sinn macht.“

Realdigital sieht Peter Weibel in einem Beitrag in der Neuen Züricher Zeitung eher das Gegenteil auf uns zukommen, eine Art dauerhaftes virtuelles Daham-ist-Daham – siehe Link nzz.ch
Für Weibel ist auch gleich Endzeit für einen Teil der Architektur: „Es scheint nun, dass die gigantischen Stadien und Opernhäuser die Pharaonengräber der Zukunft sind. Übersteigerte bizarre Architektur-Signaturen, bereits geschaffen im Bewusstsein des Todes der Unterhaltungsformen der Nahgesellschaft, werden sich in Kürze als überflüssig erweisen. Wenn sie denn ohne Publikum bleiben, wenn es nur noch Geisterspiele in Stadien und Konzerthäusern gibt, wird man sich fragen, warum man eigentlich solche gigantischen leeren Spielstätten benötigt“.

Wir haben Zeit. Wir entschleunigen uns. Wir haben uns – wenn auch auf Distanz, oder gerade deshalb – alle lieber als je zuvor. Es wird uns wieder gut gehen, wenn nicht besser. Das ist das Mantra.

Weniger Zukunft, dafür aber pure Gegenwart bietet ein Buch, das derzeit als kleine Bibel der digitalen Kulturkritik paradoxerweise durch die Foren streift. How To Do Nothing der amerikanischen Autorin Jenny Odel erschien 2019. Es ist ein Plädoyer für den Rückzug, für das Ende der dauernden Aufmerksamkeit. Das Abstandnehmen von Technologie führt zu intensiver Körperlichkeit und neuem Wahrnehmungsreichtum. Als Zusatzbonus gibt es vermehrte Hingabe zum Menschsein und der Natur.
“It was just a black metal rectangle, lying there as silently and matter-of-factly as a sweater or a book. Its only use was as a flashlight and a timer. With newfound peace of mind, I worked on my project unperturbed by the information and interruptions that would have otherwise lit up that tiny screen every few minutes. To be sure, it gave me a valuable new perspective on how I use technology”.

Wenn da nicht die höchste Arbeitslosenrate seit Kriegsende und die Refinanzierung der Stillstandkosten auf Kosten von uns allen als Menetekel am Weg zum Glück zurück lauern.

Der Unternehmensberater McKinsey sieht pragmatisch eher Tempo als Zukunftsperspektive. Die Digitalisierung der gesamten Wirtschaft wird sich beschleunigen: "Wenn es gut geht und die Profitabilität stimmt, will sich niemand verändern. Jetzt wird man gezwungen, über neue Strukturen nachzudenken." – s. Link internetworld.de

Wer aber überzeugt ist, dass Corona ein Hoax sei und damit vorläufig auf jede Zukunft pfeift, für den gibt es Hoffnung durch den ersten anständigen Protestbrief gegen die Zwangsmaßnahmen – s. Link ots.at
Die Initiatoren fielen auch vor der Virus-Zeit als sehr engagierte Wachbürger in unserer Volksgemeinschaft auf. Inge Rauscher ist Herausgeberin der Wegwarte – Initiative für Heimat und Umwelt, fürchtet sich vor Völkerwanderungen und ist erklärte Öxit-Anhängerin. Mag. Christian Zeitz ist Vorsitzender des rechts-rechten Wiener Akademikerbundes, der auch schon einmal das Verbotsgesetz infragestellte und hält Vorträge wie Conchita, Islam und die Homosexualisierung der Gesellschaft. Der Dritte im Bunde, Dr. Franz-Joseph Plank, ist Obmann von Animal-Spirit, eines Tierschutzvereins mit etwas Nähe zur Polizei, und hatte schon als Kind einen Hund, den er überaus liebte.

Als Extrabonus noch ein Link zu einer Auflistung von dreizehn in die Hose gegangen Prognosen der letzten 200 Jahre – s. Link watson.ch

anonym

Das geht eigentlich gar nicht - über einen protest nur andeutungen machen in einem artikel, nicht seinen inhalt anführen, dazu einen nicht zielführenden link stellen und die leser und leserinnen damit blöd zurücklassen, zumindestr was diese info betrifft. Gilt das nicht auch für einen essay?

Mo. 06/04/2020 10:15 Permalink
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