31/07/2013

Dipl. Ing. M.A. Claudia Gerhäusser ist Lehrbeauftragte am Institut für Raumgestaltung der TU Graz.

31/07/2013

Im Büro der Architekten Hussa-Kassarnig mit Doris Dockner

©: Hussa - Kassarnig ZT-GmbH

Akutgeriatrie LKH Mürzzuschlag-Mariazell, Patientenzimmer

©: Heinz Pachernegg

Akutgeriatrie LKH Mürzzuschlag-Mariazell, Speisesaal.

©: Heinz Pachernegg

Akutgeriatrie LKH Mürzzuschlag-Mariazell, Therapieraum

©: Heinz Pachernegg

Akutgeriatrie LKH Mürzzuschlag-Mariazell. Ausblick auf die Rax.

©: Claudia Gerhäusser

Akutgeriatrie LKH Voitsberg, Lounge

Räume der Akutgeriatrien im LKH Mürzzuschlag-Mariazell und LKH Voitsberg.

In den Räumen der Akutgeriatrie des LKH Mürzzuschlag-Mariazell steht die Orientierungsfähigkeit älterer Menschen im Vordergrund. Die Herausforderung für die ArchitektInnen liegt in der Gestaltung extrem wahrnehmungsbestimmter, räumlicher Eingriffe, die das Vertrauen der PatientInnen in die eigene Handlungsfähigkeit wieder aufbauen sollen.

Kaffee machen, Essen kochen, Zähneputzen, abwaschen, Wäsche waschen und spazieren gehen, den Nachbarn begegnen und sich austauschen - diese alltäglichen Erfahrungen und Bewegungsabläufe führen gesunde Menschen ohne viel Anstrengung aus. Ebenso selbstverständlich verstehen und nutzen sie im Alltag die Räume in ihrer Umgebung. Selten erfährt man dabei Orientierungslosigkeit. Man weiß, was eine Türe, was ein Fenster ist und wie man sie öffnen und schließen kann.

Kaum vorstellbar, in welche Situation man gerät, wenn diese Bewegungsfreiheit durch Alter, Krankheit oder Unfall eingeschränkt oder verloren ist. Die Akutgeriatrie und Remobilisation begleitet Menschen aus ihrer psychischen und motorischen Bewegungsunfähigkeit zurück in den Alltag. Wer in die Therapie aufgenommen wird, soll vor allem seine Eigenständigkeit wieder erlernen. Dann wird für bis zu vier Wochen für die PatientInnen die Station der Akutgeriatrie im Krankenhaus ein temporäres und ungewohntes Zuhause.

ArchitektInnen, die entsprechende Räume für ein solches Therapieangebot gestalten, sehen sich damit konfrontiert, dass man als gesunder Mensch keine ausreichende Vorstellungskraft dafür besitzt, die teils sehr kleinen Hindernisse im Alltag der GeriatriepatientInnen ausfindig zu machen.

Wie es sich anfühlt und was Menschen wahrnehmen, wenn sie dem alltäglichen Leben nicht hundertprozentig gewachsen sind, haben sich die Architekten und Architektinnen des Büros Hussa-Kassarnig aus Graz und die Innenarchitektin Doris Dockner immer wieder vorzustellen versucht, während sie gemeinsam die Akutgeriatrie und Remobilisation im LKH-Mürzzuschlag für die KAGes entwarfen und umsetzten. Um zu erfahren, was ein Hindernis sein und wie man damit umgehen könnte, setzten die ArchitektInnen auf einen partizipativen Planungsprozess, der zusammen mit Ärzteschaft und Pflegepersonal konsequent erarbeitet wurde. „Man muss als ArchitektIn erst einmal verstehen lernen, was es heißt, wenn Menschen einen Raum eventuell nicht betreten können, weil der Farbkontrast zwischen zwei Fußbodenbelägen zum Problem wird“, stellen Doris Dockner und Wilfried Kassarnig im Gespräch fest.

In dem Konzept der ArchitektInnen spielen der Bezug zur lokalen Umgebung und Mentalität die entscheidende Rolle. So wurde mit vertrauten und einfach verständlichen Bildern und Materialien gearbeitet. Im Gang installierten die ArchitektInnen über bedruckte und hinterleuchtete wandhohe Fotografien den simulierten Blick aus der Station auf die Rax, den Hausberg der Region. Eine Metapher, die Perspektiven aufzeigt, auch für den Blick aus der beschwerlichen körperlichen Situation in die spätere Eigenständigkeit im Alltag in der eigenen Wohnung.

Die Frage, wie die PatientInnen zurück in eine soziale Aktivität gebracht werden können, beantworten die ArchitektInnen mit der Idee eines Kaffeehauses öffentlichen Charakters als Treff- und Mittelpunkt der Station. Es soll hier eher elegante Heiterkeit herrschen denn private Gemütlichkeit. Ein Steinfußboden soll das Gefühl von Öffentlichkeit vermitteln und deutlich machen, dass man sich nicht mehr in den Patientenzimmern aufhält, die durchgehend mit robustem Kautschukboden versehen sind. Statt Standardspeisesaalausstattung gibt es z.B. Tische, an denen zwei Lichtsituationen möglich sind, die zum einen für das Zusammensitzen beim Essen, zum anderen für Handarbeiten oder Bewegungsübungen geeignet sind.

Helles Beige und Orangebraun, kräftiges Gelb in Kombination mit Holz prägen Flure und Therapieräume. Für Doris Dockner war das wichtig, da auf diese Weise natürliche Vitalität in die Räume geholt wird, die zur Bewegung anregt.
Die Zimmer sind weiß gehalten mit einer Wandverkleidung aus hellem Holz, die Technik und medizinische Infrastruktur aufnimmt. Laut ArchitektInnen wurde vieles ausprobiert und wieder verworfen, bis schließlich die richtige Beschichtung für das Holz und die richtige Farbgebung in den Zimmern gefunden war. Einig war man sich bei den über den Betten angebrachten Stimmungsbildern aus der Umgebung von Mürzzuschlag. Sie schaffen Verbindung zum Umfeld und sollen den Blick auf etwas Schönes richten: „Immer ins Positive steuern“, so drückt es Wilfried Kassarnig aus. 

„Ins Positive steuern“, das hat auch Rupert Gruber für die Erweiterung der Akutgeriatrie im LKH Voitsberg vor. Ein Teilbereich ist bereits umgesetzt. Das Herzstück ist die Lounge, ein einfacher Raum gestaltet durch kleine wesentliche Details: Große Fische im Aquarium für den optischen Reiz, weiche rötliche Stoffe in Kombination mit rotbraunem Holz, um gegen das Grau und das metallische Erscheinungsbild der restlichen Krankenhausräume anzukommen. Holz dominiert auch die Gänge, die aufgrund von bündig realisierten Schiebetüren geschlossen und ruhig wirken. Auffallend selbstverständlich erscheinen in diesem Szenario die notwendigen Gegenstände wie Rollator, Wäschewagen, Bilder oder Informationen an den Wänden. Es fehlt in Voitsberg räumlich jegliche Art von Aufregung. Leider fehlt bis jetzt auch für weitere anstehende Baumaßnahmen das entsprechende Budget. Wie könnte man also argumentieren, um die Umgestaltung der Räume voranzutreiben? Beeinflusst die Gestaltung der Räume explizit den Erfolg einer Therapie?

Generell läuft der Einfluss der Gestaltung auf den Erfolg einer Therapie eher im Unbewussten ab. Die Architektur ist ein kleines Rädchen im Ganzen und ihr Wert wird nur im Zusammenhang mit dem Engagement aller Beteiligten messbar. Wesentlich erscheint eine einfache Gestaltung, die verständlich macht, dass Orientierung das Wichtigste für den Patienten ist, selbst wenn dies nur noch über einen ungewöhnlich hohen Kontrast zwischen Wand- und Fußbodenfarbe erreichbar ist.

Die Räume der Akutgeriatrie und Remobilisation zeigen viel Empathie für ihre NutzerInnen und unterstützen das Ziel, schnellstmöglich zurück in den selbstorganisierten Alltag zu gelangen, indem soziale Aktivität und alltägliche Bewegungsabläufe zurückerobert werden können. Bei diesem Planungs- und Gestaltungsprozess seien es, so die ArchitektInnen „...die kleinen Schritte, die am weitesten voranbringen“.

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