08/08/2008
08/08/2008

Joe Colombo im Sessel „Elda“, ca. 1967

Inneneinrichtung des experimentellen Interieurs „Visiona I“ auf der Kölner Möbelmesse für die Firma Bayer, Leverkusen, 1969

Glas „Smoke“, Entwurfszeichnung 1964, Foto wm

Stuhl „Universale“, 1965-67

Ausstellungsansicht, Foto wm

Eine experimentelle Tendenz in der Architektur der 1960er Jahre, merkte kürzlich der österreichische Bildhauer Walter Pichler in einem Radiogespräch an, führte in eine Richtung, die Raumkonstruktionen in pragmatisch funktionaler Weise immer näher an den menschlichen Körper heranführte. Pichlers „TV-Helm (Tragbares Wohnzimmer)“ war 1967 nach eigener Aussage eine zynisch kritische Reaktion auf das Prinzip der Isolationszelle als Wohnraum, die gleichwohl durch technische Ausstattung Interaktion mit der Welt gewährleisten sollte.

Kompletteinrichtungseinheit
Mit seinen in die Zukunft weisenden, gleichzeitig wie das Setting in einem James Bond Film anmutenden, Interieurs „Visiona 1“ und „Total Furnishing Unit“ von 1971 entwickelte der italienische Designer Cesare „Joe“ Colombo multifunktionale Wohnmaschinen in optimierter Raumnutzung, die den Bedürfnissen und Wünschen der Menschen respektive des Designers selbst angepasst waren. Die theoretischen Hintergründe dieser Verquickung von Funktionalität und Design dürften wohl bis auf die Optimierungsverfahren industrieller Produktionsweisen eines Frederick Winslow Taylor zurückzuführen sein.
1930 als Sohn des Besitzers einer Elektrofabrik in Mailand geboren, studierte Joe Colombo Malerei an der Brera-Kunstakademie und Architektur am Politecnico in Mailand. 1952 schloss er sich dem Movimento Nucleare an, es folgten erste Ausstellungen in Mailand, bald darauf in Bari, Bresca, Brüssel, Palermo, Turin und Venedig. Der Entwurf einer „Nuklearen Stadt“ aus dem Jahr 1952 ist richtungsweisend für die weitere Entwicklung.

Gegliedert in vier Gruppen zeigt das Kunsthaus Graz die Ausstellung „Joe Colombo – Design und die Erfindung der Zukunft“, die in enger Zusammenarbeit mit dem Studio Joe Colombo entstanden ist, das den Nachlass des 1971 im Alter von 41 Jahren verstorbenen Designers verwaltet. Eine Fülle bisher noch nicht gezeigten Materials zu Colombos Schaffen, darunter Prototypen, experimentelle Stücke, originale Handskizzen, Briefe, Pläne, Broschüren und Architekturmodelle, Filme und Fotos dokumentieren schnelles Leben und umfangreiches Werk des leidenschaftlichen Schiläufers und Pfeifenrauchers, der sich auch selbst angemessen ins Bild zu setzen wusste: am Volant oder im Fauteuil „Elda“, entworfen 1967, stets mit Pfeife nach eigenem Entwurf, deren flacher Boden das Abstellen auf Tischflächen ermöglichte.
Binnen weniger Jahre entstanden viele seiner bekanntesten Entwürfe und Colombo ging die Zusammenarbeit mit Designunternehmen wie Kartell, Zanotta, Stilnovo, Oluce, Alessi und Rosenthal ein, die seine Entwürfe zum Teil auch heute noch produzieren.

Interieur und Habitat
Mit dem „Universale“ schuf Colombo 1964-67 einen der ersten Stühle aus Kunststoff, die in einer Gussform hergestellt werden, Möbel entstanden aus Schichtholz, Leder oder Rattangeflecht. Der „Personal Container“ von 1964 war Teil einer Serie von Möbelcontainern, die eine Zimmerausstattung in pragmatisch komprimierter Form aufnahmen und das Prinzip des Überseekoffers aktualisierten. Ihre Einzelelemente sind mit Scharnieren verbunden und bilden in geschlossenem Zustand eine Art Schrank, der geöffnet zum Paravent wird. Die Version „Study Container“ enthält einen ausklappbaren Schreibtisch mit Bücherregal und Kommode und kann um Plattenspieler, Radio, Hausbar und Aschenbecher erweitert werden. Bei der Gestaltung der „Man-Woman-Container“ berücksichtigte Colombo unterschiedliche Bedürfnisse der Geschlechter: Der Toilettentisch im „Woman-Container“ ist für eine sitzende Person niedrig angebracht, während er sich im „Man-Container“ weiter oben in einer Abdeckung befindet. Beide Modelle enthalten flexible Leuchten, Anschlüsse für Rasierapparat, bewegliche Spiegel, eine Wetterstation, Kalender und Uhr, dazu Raum für persönliche Gegenstände. Die Weiterführung dieser Prinzipien bis zu „Visiona I“ (1969), dem Appartement, das Colombo in dieser Form selbst bewohnte, lassen an kompakte Habitate in Weltraumstationen denken, die Farbgebung entspricht unserer Erinnerung an die 1970er Jahre in Violett, Pink, Weiß und Orange.

Optimierung im Partybereich
Neben dem Möbeldesign zählte der Entwurf von Leuchten zu Joe Colombos Hauptinteressen. Nach der „Acrilia“ von 1962 folgen zahlreiche Entwürfe, die bis heute in hohen Stückzahlen verkauft werden. Mit der „Alogena“ verwendete Colombo erstmals Halogenleuchtmittel für den Wohnbereich. Fokussiertes und farbiges Kunstlicht ist in vielen seiner Interieurs raumgestaltendes Element. Und schließlich dürfte, neben seinem Hang zur Pragmatik, auch ein gewisser Witz Eingang in Colombos Entwürfe gefunden haben. Ein heute noch produziertes Whiskyglas, das mit dem Daumen gehalten werden kann, erlaubt gleichzeitig, zwischen den dafür gewachsenen Fingern derselben Hand, eine Zigarette zu halten. So hat Joe Colombo die Partyhand gleich miterfunden.

„Joe Colombo. Design und die Erfindung der Zukunft“ – im Rahmen des Italienschwerpunktes am Landesmuseum Joanneum – ist im Space01 am Kunsthaus Graz bis zum 31. August 2008 zu sehen.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Empfehlung
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