17/03/2014

Johannes Fiedler (Wien, 1958) ist Architekt mit Fokus auf die Themen öffentlicher Raum und demokratische Stadtentwicklung. Neben seinem Architekturbüro mit Jördis Tornquist in Graz ist er als Berater in Projekten in Europa, Afrika und dem Nahen Osten tätig. In Österreich leistet er Beiträge zu den Projekten Seestadt Aspern und Graz-Reinighaus. Von 2010 bis 2012 leitete Fiedler den Lehrstuhl für Städtebau an der TU Braunschweig und im Jahr 2013 war er Gastprofessor an der Universität von Addis Abeba. Seine Publikationen thematisieren aktuelle Fragen der Stadtentwicklung in einer globalen Perspektive. Sein jüngstes Buch Urbanisation, unlimited erscheint im April 2014 bei Springer International.

17/03/2014

Architekt Johannes Fiedler: „Der öffentliche Raum – hier der Esperantoplatz – besteht nicht nur aus einem schönen Bodenbelag, sondern auch aus der ihn begrenzenden Bebauung. Die sichtbare, heterogene Geschichte der Gebäude trägt wesentlich dazu bei, den Raum zu einem lebendigen, funktionierenden Ort zu machen.“

©: Martin Grabner
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Der Bedarf an Stadtraum wird sich bis 2050 verdoppeln. Wollen wir den kommenden Generationen eine Lebenswelt hinterlassen, in der sie genügend Ressourcen für ein qualitätsvolles Leben vorfinden, in der sozialer Frieden und Gerechtigkeit herrschen, muss der Fokus für nachhaltiges Planen und Bauen auf die Städte gerichtet werden und müssen dort technische und gesellschaftspolitische Herausforderungen in Angriff genommen und bewältigt werden?
Was also sind die zentralen Handlungsfelder, die bei der Stadtplanung und der Stadtentwicklung in Betracht zu ziehen sind? Was bedeutet in diesem Zusammenhang nachhaltige Planung? Gibt es in Österreich bereits Städte oder Stadtteile, die auf dem Weg zur Stadt der Zukunft sind? Wie sind die sogenannten Smart Cities zu bewerten? Mehr als ein Schlagwort, was steckt dahinter? Viele Fragen, denen sich GAT im Rahmen des Schwerpunkts Energie Bau Kultur in einem Gespräch mit dem Architekten Johannes Fiedler nähert.

GAT: Smart zu sein ist derzeit in Mode. Ist das ein temporäres Phänomen oder ist Smartness nachhaltig?

Johannes Fiedler: Smart ist en vouge. Der Begriff ist derzeit sehr stark verknüpft mit technologischen Aspekten. Das ist aber nicht die ursprüngliche Bedeutung. Die Idee der Smart City geht zurück auf die frühen 1990er Jahre in den USA, wo versucht wurde, unter dem Titel Smart Growth eine Alternative zum neoliberalen Mainstream aufzubauen. Smart bedeutet vor allem eine Alternative zu der energie- und flächenverbrauchenden Entwicklung, aufbauend auf öffentlichen Verkehrsmitteln und Fußläufigkeit höhere Dichten und Nutzungsvielfalt generierend. Smart Growth beinhaltet aber auch den ökonomischen Gedanken, es verspricht Rendite.

Der Schwerpunkt liegt sehr stark auf technischen Lösungen. Ist die Verengung auf die Energiefrage zu einseitig?

Fiedler: Der Druck in Richtung Ökologisierung aller Lebensbereiche, auch des Bauwesens, ist evident und nicht infrage zu stellen. Wir sollten aber immer darauf achten, dass die Strukturen, die wir bauen, sich auch an zukünftige Bedingungen anpassen können. Die Perspektive des Generationenübergreifenden muss mit eingebaut sein.

Sind die aktuellen Smart Cities fähig, diese Herausforderungen zu bewältigen?

Fiedler: Das beste und nachhaltigste Stadtentwicklungsprojekt ist die laufende Transformation der Stadt, bestehende Stadtquartiere aus den unterschiedlichsten Epochen ständig neu zu interpretieren. Größere Flächen, die von Grund auf neu entwickelt werden, wie etwa das Flugfeld Aspern, das Nordbahnhof-Areal oder Graz-Reininghaus sind als Teil dieser großen Transformation der Stadt zu sehen. Dabei gibt es gewisse Aspekte, die man berücksichtigen sollte.

Und die wären?

Fiedler: Die größte Gefahr ist die des falschen Maßstabs: dass man es verabsäumt, in neuen Entwicklungsgebieten einen Maßstab einzuführen, der dem der gewachsenen Stadt entspricht und eine kleinteilige Weiterentwicklung ermöglicht. Wir haben gelernt, dass die Großanlage aus einer Hand nicht die erforderliche Veränderbarkeit und Entwicklungsfähigkeit mit sich bringt. Heute teilt man Entwicklungsgebiete in „Blöcke“ auf, wobei jedes dieser Baufelder eine eigene Entwicklungsgeschichte, Programm, Architektur und ökonomisches Modell bekommt. Bei diesen Einheiten darf man aber nicht stehen bleiben.

Liegt in der Kleinteiligkeit die Chance, soziale Nachhaltigkeit, Bottom-up-Strategien,... stärker zu verankern?

Fiedler: Wenn man unter die Größe von Baufeldern geht, dann beginnt erst der Raum, in dem eine breite Beteiligung stattfinden oder kulturelle Initiativen überhaupt mitspielen können. Diese Körnung muss man schon in der Planung bewusst anlegen. Erst wenn eine Stadtentwicklung eine echte Kleinteiligkeit, die lebt und sich wirtschaftlich selbst trägt, hervorbringt, dann ist sie smart im Sinn von intelligent, sich selbst regenerierend.

Und die Rolle der Technik?

Fiedler: Der technologische Aspekt soll eine wichtige Funktion, aber eine dienende und keine gestaltende Rolle übernehmen. Wie in einem Haus die Haustechnik nicht die Grundlage für die Auslegung der Grundrisse sein soll, so sollte es auch nicht die Energietechnologie in der Stadt sein. Wenn aus Zwängen der energietechnischen Optimierung unbrauchbare Resträume entstehen, öffentliche Räume monofunktional werden und veröden, dann ist der Energiespareffekt sofort wieder weg, weil solche Räume ein energetisch kontraproduktives Mobilitätsverhalten erzeugen.

Wie sehen Sie die Rolle des Verkehrs in der Stadt der Zukunft? Neben der ökologischen Frage stellt sich durch das Wachstum der Städte ja zunehmend die Platzfrage.

Fiedler: Das Ziel ist eine Situation, in der die Benutzung des eigenen Autos – egal ob herkömmlich betrieben oder mit Gas oder Strom – die Ausnahme darstellt. Im Regelfall des städtischen Alltags sollte man das Auto nicht brauchen. Das ist konstituierend für das Prinzip „Stadt“.

Wie kann diese, für viele noch utopisch anmutende Stadt Realität werden?

Fiedler: Man kann Stadt nicht einfach in dem Sinn „machen“, wie es vielleicht in Diktaturen noch versucht wird. Eine Zentren-Struktur ergibt sich aus dem Mobilitätsmodell einer Gesellschaft. Wenn die motorisierte individuelle Mobilität aufgrund der Kosten oder der reduzierten Bereitstellung von Infrastruktur nicht mehr so attraktiv ist, dann ändert sich auch die Zentren-Struktur, dann werden Standorte mit guten öffentlichen Verkehrsbedingungen wachsen. Aber auch unsere Disziplin muss sich weiterentwickeln: Es herrscht etwa immer noch verbreitet die Vorstellung, dass ein stark differenziertes Straßensystem positiv wäre. Hier die Fußgängerzone, dort die Hochleistungsstraße. Ein Element der Smart Growth Strategie ist die Complete Street. Das bedeutet, Straßen so auszulegen, dass sie die unterschiedlichsten Verkehrsarten gleichzeitig aufnehmen können. Also weg von der funktionalistischen Trennung. In Europa haben wir es diesbezüglich leichter, weil wir von der vormodernen europäischen Stadt die Idee der multifunktionalen Straße kennen.

Bei der Betrachtung der Ökobilanz über den gesamten Lebenszyklus schneiden alte Gebäude – eben wegen ihres Alters – im Vergleich mit neueren Gebäuden gut ab, auch weil die Entsorgung und Erneuerung deren Dämmung energieintensiv und ökologisch problematisch ist.

Fiedler: Wir haben in Europa einerseits das Glück und andererseits die große Beschränkung der Stadtteile des 19. Jahrhunderts geerbt. Dieser Reichtum verstellt uns aber letztendlich den Blick auf das Neue. Die Aufgabe des städtebaulichen Diskurses ist es, das Prinzip, das die Qualitäten dieser Strukturen generiert, zu abstrahieren – ohne den ganzen kulturellen Ballast, den wir so manifest vor Augen haben. Einfach zu sagen, am besten bauen wir wieder wie in der Gründerzeit, das wäre nicht zukunftsfähig. Wir haben heute eine andere Ökonomie und andere soziale Muster. Aber wenn wir ihre Qualitäten – die Multifunktionalität, die Kleinteiligkeit, die Veränderbarkeit – extrahieren und in neuen Stadtentwicklungsgebieten umsetzen, dann schaffen wir zeitgemäße und nachhaltige Strukturen.

Was können wir noch aus der reichen Geschichte unserer Städte lernen?

Fiedler: Die vormoderne Stadt und die Gründerzeit haben nicht nur Gebäudebestand, sondern vor allem einen robusten und relativ neutralen öffentlichen Raum hervorgebracht. Wir sollten danach trachten, diese Art von öffentlichem Raum auch in den neuen Stadtgebieten herzustellen. Die durchdesignte Platzgestaltung und der Erlebnispark nützen uns da wenig. Was die Qualität des städtischen Lebens ausmacht, ist der alltägliche öffentliche Raum, der „Normalraum“, der von sehr vielen Menschen auf ganz unterschiedliche Weise genutzt und interpretiert werden kann.

Wie sehen Sie die Entwicklung des suburbanen Raums, der immer weiter fortschreitenden Zersiedelung?

Fiedler: Ich bin nicht der Meinung, dass die Kernstadt die einzige mögliche Lebensform ist. In Suburbia sind viele Qualitäten verwirklicht. Im suburbanen Raum werden viele Häuser noch auf die Straße ausgerichtet, nicht nach kosmischen, sondern nach sozialen Kriterien. Es ist eine wesentliche Qualität von Stadtraum, dass sich die individuellen Bauten dem öffentlichen Raum zuwenden. Jene zersiedelte Siedlungsweise allerdings, die ausschließlich mit dem eigenen Auto funktioniert, die ist eine Sackgasse. Das ist inzwischen auch jedem klar. Früher oder später werden die Nähe zu öffentlichen Verkehrsmitteln und die fußläufige Versorgung zu immer stärkeren Argumenten.

Muss der Speckgürtel um die Stadt letztendlich dichter werden, um die Infrastruktur, allen voran den öffentlichen Verkehr, für die Kommunen leistbar zu machen?

Fiedler: Man kann Dichte nicht verordnen. Wenn man in suburbaner Lage unüberlegt Geschoßbauten hinstellt, dann wird die Qualität dieses räumlichen Systems verschlechtert. Das führt dazu, dass die Menschen noch weiter hinaus siedeln, noch mehr mit dem Auto fahren. Wichtig ist es, räumliche Qualität zu schaffen – hauptsächlich durch Qualifizierung des öffentlichen Raums – und damit die Verdichtung attraktiv zu machen.
Letztlich funktioniert das Siedlungsverhalten wie ein Markt. Und eine zentrale Rahmenbedingung dieses räumlichen Marktes ist die Verknappung der Ressource „Verkehrsfläche für den motorisierten Individualverkehr“. Eine Politik, die sagt „Wir machen beides“ – es wird der Südgürtel gebaut und gleichzeitig wird in den öffentlichen Verkehr investiert – ist eine unverantwortliche und teure Vorgangsweise.
Wesentlich ist auch die Erkenntnis, dass der Staat nicht dazu da ist, jedes individuelle – auch unverantwortliche – Siedlungsverhalten zu fördern. Und das jetzige suburbane Siedlungsverhalten ist in weiten Teilen unverantwortlich. Man soll niemanden daran hindern, sich irgendwo anzusiedeln, derjenige darf aber nicht erwarten, dass ihm die Öffentlichkeit die Infrastruktur errichtet, damit er seinen privaten Traum der peripheren Lage verwirklichen kann. Die Menschen sind für ihr Siedlungsverhalten selbst verantwortlich.

Warum zieht es so viele Menschen an den Stadtrand?

Fiedler: Der Unterschied zwischen dem Urbanen und dem Suburbanen ist, dass das suburbane Siedlungssystem die Eigenproduktion und Eigennutzung ermöglicht. Man kann für sich seinen eigenen Ort bauen. Daraus sind die schönsten Stadträume entstanden. In der „reifen“ Stadt ist das nicht mehr möglich, weil die Grundstückspreise zu hoch sind und es viele institutionelle Trägheiten und Barrieren gibt. Deshalb ist es verständlich, wenn ein großer Teil der Bevölkerung das Suburbane vorzieht. Aber auch über die diesbezüglich etwas untypische Subkultur der urbanen Intellektuellen hinaus, birgt es auch für Familien und für Menschen mit traditionellen, kleinbürgerlichen Werthaltungen viele Qualitäten, in der Stadt zu wohnen – vorausgesetzt, es gibt einen qualitätsvollen öffentlichen Raum und ein diese nachhaltige Lebensweise unterstützendes Umfeld.

Ein wunderbarer Schlusssatz. Vielen Dank für das Gespräch!

Johannes Fiedler (Wien, 1958) ist Architekt mit Fokus auf den Themen öffentlicher Raum und demokratische Stadtentwicklung. Neben seinem Architekturbüro mit Jördis Tornquist in Graz ist er als Berater in Projekten in Europa, Afrika und dem Nahen Osten tätig. In Österreich leistet er Beiträge zu den Projekten Aspern Seestadt und Graz-Reinighaus. Von 2010 bis 2012 leitete Fiedler den Lehrstuhl für Städtebau an der TU Braunschweig und im Jahr 2013 war er Gastprofessor an der Universität von Addis Abeba. Seine Publikationen thematisieren aktuelle Fragen der Stadtentwicklung in einer globalen Perspektive. Sein jüngstes Buch Urbanisation, unlimited erscheint im April 2014 bei Springer International.

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