07/04/2020

Krise als Chance.

Karin Tschavgova zur Absage von Graz Kulturjahr 2020

.

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

.

07/04/2020
©: Karin Tschavgova

Das Kulturjahr „Graz 2020“ ist nun nach Ute Baumhackl, der Kulturressortchefin der Kleinen Zeitung, „knirschend“ zum Stillstand gekommen. Kulturstadtrat Riegler möchte es, soweit möglich, auf 2021 verschieben. An zusätzlich notwendigen finanziellen Mitteln soll der Programmtransfer nicht scheitern, aber klar ist, dass nicht jedes der vom Programmbeirat ausgewählten 94 Projekte auch im nächsten Jahr realisiert werden kann.
Ein Projekt hätte allerdings im nächsten Jahr mehr Chancen auf Verwirklichung, auch wenn der Kulturstadtrat im Gespräch mit der Kleinen Zeitung meint, dass dieses durch die äußeren Zwänge „de facto“ schon umgesetzt sei. Nein, Herr Stadtrat, das Projekt mit dem Titel „Als die Autos die Stadt verließen. 168hGraz, wie es sein könnte“, hat sich noch nicht, quasi von Geisterhand, realisiert.
Zur Erinnerung: das vom Forum Stadtpark eingereichte, vom Programmbeirat auch zur Umsetzung gekürte und von der Stadtregierung wegen des Widerstands der FPÖ nicht genehmigte Projekt hätte einen großen Bereich der Stadt von der Kalvarienbergstraße im Norden bis zum Schönaugürtel im Süden für eine Woche autofrei gemacht, um zu testen, ob und wie die Grazer und Grazerinnen sich die von Autos entleerte Stadt, ihre Straßen und Gassen aneignen – und wie sich das Leben im öffentlichen Raum verändert und anreichert.
Soviel, geehrter Herr Stadtrat, haben Sie sicher gewusst über dieses Projekt, über seine Intentionen und Ziele. Deshalb, und weil ich Sie nicht für einen zynischen Menschen halte, vermute ich, dass Sie nicht mehr als ein Bonmot zur Absage anbringen wollten, die Sie als Riesenschlag empfinden.
Ich hoffe, dass wir uns einig sind darüber, dass auto- und menschenleere Straßen, Gassen und Plätze allein noch keine Umsetzung dieser Idee bedeuten. Eine solche braucht die Befürwortung mutiger Politiker, die damit ein deklariert zukunftsgerichtetes Zeichen setzen und die aktive Teilhabe der Grazer und Grazerinnen. Aber – das sei den Verhinderern ins Stammbuch geschrieben – open minded, mit ein wenig Experimentierfreudigkeit, die viele jetzt zeigen, und einem guten Konzept zur Versorgung mit öffentlicher Infrastruktur könnte es funktionieren, selbst, wenn die Menschen täglich zur Arbeit fahren oder zum Arzt müssen. Vielleicht wäre der Großeinkauf auf die Woche danach zu verschieben, möglicherweise könnte man das Minus 25% Angebot zum Einkauf der Kiste Bier nicht nützen und müsste der Diskonter den Einlösungszeitraum seiner Rabattmarkenkarte verlängern, aber ehrlich, Mangel, Chaos oder gar eine Katastrophe würde daraus nicht entstehen. Eine Woche lang erlebten wir individuelle Beschränkung, die zugleich Bereicherung bedeutete.
Das wissen wir jetzt und deshalb appelliere ich an Sie, Herr Stadtrat Riegler, sich dafür einzusetzen, dass dieses Experiment 2021 doch stattfinden kann. Bei all der Malaise spüren so viele Menschen jetzt wohltuend, wie geringerer Verkehrslärm ihre Straße, ihr Grätzel, ihr Graz/Grätz lebenswerter sein lässt. Machen Sie Ihren Kollegen und Kolleginnen im Stadtsenat schmackhaft, dass sich Graz mit diesem Experiment in die internationale mediale Berichterstattung katapultieren würde. Wagen Sie daran zu denken, dass Graz mit der Umsetzung daraus gewonnener Erkenntnisse sogar als Pionier für eine zukunftsfitte, resiliente Stadt in die Geschichte eingehen könnte - nach 2021 und diesem Experiment. Dann, wenn wir diese Krise überwunden haben werden, tief durchatmen und der anderen, der wesentlich stärker die Menschheit gefährdenden Krise, entgegen gewirkt haben werden mit der Einrichtung einer Stadt, in der der motorisierte Individualverkehr eine Marginale geworden ist.

Laukhardt

Ich war bei Beginn der einschränkenden Maßnahmen überzeugt, dass aus dieser Krise zwar nicht alle lernen werden, aber dass fast alle dazu gezwungen sein könnten, ganz neue Gesichtspunkte einzunehmen; mir fiel der fast schon historische Begriff "ökosoziale Marktwirtschaft" ein. Inzwischen fürchte ich aber, dass nach Corona alles daran gesetzt werden wird, die Wirtschaft wieder hoch zu bringen. Das wird auch gut und nötig sein. Wenn allerdings das "Hochfahren" um jeden Preis und zu den "bewährten" Bedingungen geschehen wird, dann könnte es schlechter werden als vorher. Das gilt wohl auch für die Kultur. Stadtrat Riegler könnte da neue Wege suchen, wie das Füllhorn vollzukriegen und wie es dann sinnvoll zu entleeren wäre. Ein autofreier Monat innerhalb des Gürtels wäre da die passende Aufgabe für einen Politiker der bzw. mit Zukunft!

Di. 07/04/2020 1:26 Permalink
feyferlik

wenn der satz aus der krise lernen, jemals eine berechtignug hatte oder haben wird dann wohl zu diesem thema. wer die zahlen der luftreinhaltestationen anschaut, wer die mögliche lebensqualität der strassenräume bereit ist zu erahnen, der muss eigentlich gar nicht mehr einem kulturellen projekt die zustimmung geben, sondern müsste allein schon aus politischer verantwortung heraus das zeitfenster für eine umorientierung nutzen. der grundsatzbeschluss für radwege etc, könnte jetzt in lebende provisorien gegossen werden und ähnlich der fussgeängerzone in der herrngasse, das probejahr dafür ausgerufen werden. es wäre an der zeit endlich konkret zu handeln und keine halblustigen bonmots zu diesem thema in das mikrophon husten.

Do. 09/04/2020 11:35 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+