01/07/2014

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

01/07/2014
©: Karin Tschavgova

Ist es nicht absurd, sagt Michi, dass wir munter weiter Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese bauen lassen, mit dem Argument, dass man dem Österreicher nicht sein Bedürfnis nach Naturnähe, nach Garten verwehren kann (neben dem nach individuellem Rückzug natürlich) und dass wir gleichzeitig, sagt Michi hörbar erzürnt, den Bau von mehrgeschoßigen Krabbelstuben und Kindergärten erlauben? Wo ist der Zusammenhang, schießt es mir durch den Kopf, aber im nächsten Moment ist mir klar, was sie meint und wie recht sie hat. Eine Krabbelstube, im Obergeschoß situiert, führt alternativ zu zwei Szenarien, je nachdem, wie engagiert BetreuerInnen sind: entweder verausgaben sie sich täglich im Treppab und Treppauf mit den Zwergerln und ihrer individuellen Not(durft), im Windelwechsel in Windeseile, um die KollegInnen unten nicht zu lange allein zu lassen – oder aber, sie machen es sich bequemer und reduzieren den Aufenthalt im Freien auf das absolut notwendige Minimum. Das schaut dann so aus, erzählt mir Michi, dass in der Krabbelstube meines Enkels die Ganztagsgruppe bei Schönwetter nach Kurzbesuch im Garten oben sitzt im Juchhe und die Kids damit getröstet werden, dass sie im „Ballbecken“ toben dürfen.

Traurig, sage ich, was für ein Gefühl sollen die Kleinsten entwickeln können gegenüber einer Architektur, die sie in ihrem Bewegungsdrang einschränkt und sie daran hindert, die Welt im Garten zu entdecken. Mein Sohn, erzähle ich ihr, hat sich im Kindergarten mit dem etwas anderen pädagogischen Konzept bei der täglichen Wahlmöglichkeit zwischen Sitzkreis und freiem Spiel im Garten immer für letzteres entschieden. Einziger Nachteil: Gedichte und Liedtexte hat er nie auswendig gelernt, das „Sitzfleisch“ dazu nie entwickelt.

Kein Schaden, stimmt mir Michi zu, aber was uns beide ärgert, ist die Gedankenlosigkeit und/oder Willfährigkeit, mit der die Architekten dazu beitragen, dass unsere Kinder zu unbewegt angepassten Wesen werden, denen das Ungestüme und das Wilde schon in der Krabbelstube und im Kindergarten abgewöhnt wird. Was wird denn aus solcherart Zurechtgestutzten?

Wenn wir davon überzeugt sind, dass es nicht egal sein kann, wie Menschen wohnen und wie ihre Schulen, Arbeitsstätten und Freiräume aussehen, weil Räume Menschen formen, dann müssen wir bei den Häusern für unsere Jüngsten beginnen. In Krabbelstuben und Kindergärten verbringen viele Kleinkinder mehr aktive Zeit als in ihrem Zuhause.

Und sogleich folgt eine Ehrerbietung, werter Leser. Konrad Frey ist dieser Tage achtzig geworden – kaum zu glauben! In seinem wunderbaren Kindergarten für die Gemeinde Hart gelang es ihm, sein Architekturverständnis in Räume und Körper umzusetzen, die seine stete Suche nach Erneuerung und dem Einsatz neuer, im Alltag erprobter Techniken und Materialien auf das Selbstverständlichste spiegeln. Frey schafft ein Arbeitsumfeld (ja, auch die Kleinsten arbeiten) - eine Lebensumgebung, die nicht nur Schutz bietet, sondern auch Phantasie anregend ist und den Kids ein erstes gutes Gefühl für ein Be-HAUSt-Sein geben kann. Innen und außen gehen nahtlos ineinander über in diesem Kinder-GARTEN – und der hat – erraten! - kein Obergeschoß.

Chapeau, Konrad! Ad multos annos!                                                             

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