12/03/2021

Architekturfilm anders

Zur Ausstellung: Homo Urbanus – A Citymatographic Odyssey von Ila Bêka & Louise Lemoine im HDA Graz, zu sehen
bis 4. April 2021.

"It all started as a love story" schildern Ila Bêka & Louise Lemoine den Beginn ihrer Karriere. Ausgebildet in Architektur und Film haben sie sich in der Zwischenzeit in der internationalen Architektur-szene einen Namen gemacht und erweitern konsequent den Genrefilm mit ihrem subjektiven Blick, mit dem sie zeitgenössi-sche Architektur darstellen.
Indem sie Menschen und Nutzungen in den Vordergrund stellen und gleichzeitig die Beziehung zwischen Architektur und Kino, widersetzen sie sich gängigen Gestaltungsweisen und verorten sich damit erfolgreich an der Schnittstelle zwischen Dokumentar- und Videokunst.

Rezension
von Bettina Landl

12/03/2021

"The Infinite Happiness" (2015), Filmstill 

©: Ila Bêka & Louise Lemoine

"Barbicania" (2014), Filmstill

©: Ila Bêka & Louise Lemoine

"Koolhaas Houselife" (2008), Filmstill

©: Ila Bêka & Louise Lemoine

"Homo Urbanus Rabatius" (2020), Filmstill

©: Ila Bêka & Louise Lemoine

Das Filmduo Ila Bêka & Louise Lemoine

©: Héloîse Lalanne

Wie darüber schreiben? Wie über eine Ausstellung schreiben, die sich aus zehn knapp einstündigen Videoarbeiten zusammensetzt und damit sehr viel Einfühlungsvermögen voraussetzt und/oder Zeit. Als BesucherIn bleibt man neugierig und ungeduldig, sofern man von dem Bedürfnis nach Vollständigkeit betroffen ist und dem Wunsch, diese filmische(n) Welt(en) ausgiebig zu erkunden. Denn genau das machen Ila Bêka & Louise Lemoine möglich: Orte kennenzulernen, trotz der Tatsache, dass man sich anderswo befindet, nämlich aktuell im HDA, das glücklicherweise eine Auswahl der vielgelobten Filme für (nur) einen Monat zugänglich macht. Auch hier muss man also schnell sein. Es ist bereits, entsprechend der Popularität des Filmduos, auf internationaler Bühne viel zu dessen Werk gesagt worden. Seit Jahren werden die Filme zu jedem namhaften Anlass gezeigt. Und das absolut nachvollziehbar, bieten sie doch einen zweifelsohne authentischen (Ein)Blick in (andere) Realität(en). Sie nehmen die „BeobachterInnen“ an die Hand, um ihnen oftmals gänzlich unspektakuläre aber nicht minder interessante Schauplätze näherzubringen – (Stadt)Architektur, und vor allem deren NutzerInnen, indem sie zeigen, wie da und dort Alltag gestaltet wird, immer mit Bezug auf die sie umgebende Bebauung. Und sie machen sichtbar, wie das (alles) zusammenhängt: Gebautes und Bewohntes; Räume, die sich allüberall ähneln; Menschen, die sich allüberall ähneln; manchmal ein Wildes, manchmal ein Beschauliches und vieles dazwischen. Leben bilden sie ab, stellen sie dar, ohne es aber darzustellen, ohne es zu inszenieren.

Also: Wie darüber schreiben? Wohl ausschließlich beschreibend, und in Fragmenten, gleich der auszughaften Rezeption, der man durch den Umfang der Arbeit(en) wohl nicht anders beizukommen vermag. Aber: Es sind Ausschnitte, von sich aus, also darf man seinen Anspruch ruhigen Gewissens hintanstellen und sich der Szene(n) aussetzen. So zum Beispiel jener in Homo Urbanus Rabatius (Marokko, 2020, 50 Min.), indem man an einer beliebigen Stelle an- bzw. einsetzt: (all)tägliche Wege; Stimmen; Stimmungen; ein Hinterhof; ein anderer Hinterhof; und Sonne, viel Sonne; spielende Kinder; fernschauende Kinder und fernschauende Erwachsene. Wir begleiten Bêka & Lemoine bzw. die ProtagonistInnen ihres Films auf den Markt, kaufen mit ihnen ein, beobachten sie, wenn sie am Boden liegende Teppiche aufrollen, wenn sie ihre Einkäufe (nach Hause) tragen. Alles ist bunt ausstaffiert; Tücher wurden zum Schutz vor Hitze über den Gassen aufgespannt; man hört die natürliche Klangkulisse und erkennt Schuhe, die in transparenten Plastiktüten verpackt paarweise an der Türe befestigt, und solche, die unverpackt benutzt und vor derselben abgestellt wurden. Einem jungen Mann werden auf offener Straße die Zähne weiß geschmirgelt. Schnupftabak und Kartenspiel; Männer im Park; Männer am Boden sitzend; ein Hund, der auf dem Sattel eines Mofas Platz genommen hat und Männer, die unter einem Sonnenschirm und auf einem Friedhof Pause zu machen scheinen; gelbe und weiße Grabplatten, mäßig grün bepflanzt, dicht an dicht; und nebenan das Meer; dazwischen die Straße und spielende Kinder am Rand, sich mitunter aggressiv gebärdend; dann wieder Männer, ohne Oberbekleidung, Melonen tragend; und Felsformationen, darauf Moos und Müll; dazwischen Angler und der Klang der Wellen und des Windes, das Geschrei der Badegäste und wieder spielende Kinder, und Frauen, voll bekleidet, am Strand, sich vom Wasser abkühlen lassend; Sonnenschirme; und wieder gemusterte Tücher, um sich vor Sonne und Wind zu schützen. Dann zeigt das Kameraauge den Kofferraum einer mobilen Bäckerei, wie sie in einem Citroën 2CV eingerichtet wurde und wieder das Meer, den Schatten einer Palme, einen Fischernetz flickenden Mann und einen zweiten, der sich zuerst auf demselben abstützt, um gleich darauf ins Wasser zu springen und so weiter und so weiter.

Neben einer Auswahl der Reihe Homo Urbanus wurden auch ältere Filmarbeiten von Bêka & Lemoine installiert. Diese befassen sich u.a. mit der Bewohn- und Nutzbarkeit von Architekturikonen wie beispielsweise dem Maison à Bordeaux von Rem Koolhaas aus dem Jahr 1998 (Koohlhaas Houselife, 2008) oder dem Barbican Centre in London aus den 1950er Jahren (Barbicania, 2014). Zudem wurde im Vorfeld der Ausstellung und in Kooperation mit der Diagonale – Festival des österreichischen Films ein Wettbewerb ausgeschrieben, der darauf abzielte, einen Homo Urbanus Grazianus zu bezeichnen und in Film zu übersetzen. Die Projektverantwortlichen frag(t)en nach „alltäglichen Geschichten des Grazer Stadtlebens“ in Form von ein- bis dreiminütigen Filmminiaturen und fanden diese Aufgabe erfolgreich umgesetzt von Antonia de la Luz Kašik (1. Preis), Mark Hellgoth sowie Sarah Klaunzer und Anton Tkachuk (Anerkennungen). Gegenüber der Originale wurde dabei das künstlerische Prinzip und die Methode von Bêka & Lemoine in anderer Weise zur Anwendung gebracht. Dem angehängt sind 60 Kurzfilme von Studierenden der TU Graz, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark (KIÖR) als Ergebnis einer Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Stadt und ihren BewohnerInnen Eingang in die Ausstellung fanden.

„Perfect“, wie es in einem der Filme (The Infinite Happiness von Bêka & Lemoine, 2015) heißt, der das „world best residential building“ (2011) des dänischen Architekten Bjarke Ingels und deren Nutzung dokumentiert. „We really want(ed) to give voice to what we call the invisible people and mostly also maintain their beauty or the architectural set“ erzählt Lemoine im Talk zur Ausstellungseröffnung. „That concerns the question of normal life’s imperfection.“ Dabei ist es ihnen an der „demystification of space“ gelegen „to get closer to daily reality“ erklärt Beka und „we just make films as we are“. Lemoine ergänzt: „It’s a soft criticism. It’s a way of criticism in an acceptable way.“

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