05/12/2008
05/12/2008

Capital + Code

Ausstellungsansicht; im Vordergrund: „The Informations Loaded Portrait“, 1997

Ausstellungsansicht

Richard Kriesche mit „genetischem Portrait“ und Selbstportrait von Rembrandt,
Kunsthistorisches Museum Wien, 2006

An die Innenhaut der Blauen Blase werden über Beamer Diagramme projiziert. Mittels Visualisierungssoftware, die auch von Börsianern benutzt wird, zeigen permanent aktualisierte Grafen die Treffer-Häufigkeit von Suchbegriffen wie Kunst, Kapital, Arbeit und Freiheit im weltweiten Netz an der Suchmaschine google. Im Licht dieser, in mehrfacher Hinsicht dynamischen, Großprojektionen – auch die Beamer bewegen sich auf Schienen durch den Raum – sind auf Pulten Auszüge und Beispiele, Dokumentationen und Originalarbeiten des Grazer Konzept- und Medienkünstlers Richard Kriesche aus dem Zeitraum von 1964 bis 2006 präsentiert.

Algorithmus und Maschine
Was so einfach beschrieben erscheint, erweist sich als umso schwieriger zu interpretieren. Kriesches Installation im Space02 des Kunsthauses will keine Retrospektive auf das umfassende Werk des Pioniers der österreichischen Medienkunst sein. Gleichwohl könnte man aber von einer Art Summe sprechen, hervorgegangen aus Arbeiten und der Recherche um Datenstrukturen und die Möglichkeiten ihrer Darstellung in Überschneidung naturwissenschaftlich mathematischer und künstlerisch intuitiver Herangehensweise. Denkt man etwa an Kriesches Langzeitprojekt „datenwerk : mensch“ das, kurz gefasst, von der Beschreibung und Transformation digitalisierter Parameter von Personen handelt, um in „genetischen portraits“ die „verankerung“ des Menschen in der Kultur über „kleinste schreib- und lesezeichen“ darzustellen, so kann angesichts der Installation „Capital + Code“ vielleicht von einer Art Weltmaschine gesprochen werden. Entsprechend der „Papiermaschine“ – wie Alan Turing die Aufzeichnung einer Arbeitsanweisung auf einem Blatt Papier nannte – ist das Prinzip der Maschine nichts anderes als die Übersetzung einer Folge von Rechenschritten (Algorithmus) entweder in eine physische oder imaginierte Form. Wenn über Parameter – Voraussetzungen für eine Suchfunktion – oben genannte Begriffe im www gefunden und in der Häufigkeit ihres Auftretens als Grafen dargestellt werden, so ist auch diese Installation als Maschine zu begreifen, als deren Produkt die Abbildung von Welt in Teilen erscheint.

In diesem Sinn beschreiben die Kuratoren Katrin Bucher Trantow und Peter Pakesch auch im Katalog Richard Kriesches Intention, die Architektur des Kunsthauses als „neuartige Ausstellungsmaschine zu betrachten“. Dem gegenüber erscheinen die konstruktivistischen Interpretationen Piet Mondrians durchaus als Abbilder, allerdings als Abbilder von Algorithmen. Vorsichtig könnte man damit behaupten, vergleichbar rudimentären Rechenmaschinen seit dem 17. Jahrhundert (Schickard, Hahn, Pascal, Leibniz), seien auch sie Maschinen in der physischen Umsetzung einer Formel. Den Assoziationen zu diesen, entsprechen die Maschinen, die aufgrund von Parametern Vorgänge und Häufigkeiten mit Hilfe der Suchmaschine im www erfassen und als analytisch dynamische Grafik, nochmals bewegt (durch auf Laufbändern montierte Projektoren), an die Wand werfen. „Gezählt“ also „und abgewogen“, wie die Übersetzung der alttestamentarischen Schrift an der Wand: Mene mene tekel ufarsin, jener Prophezeihung des Untergangs von Babylon.

Kunstwert und Kunstwerk
Die rezente Installation im Kunsthaus ist eine Adaptierung eines schon vor eineinhalb Jahren ausgeführten Projekts während der Jubiläumsausstellung von Meisterwerken aus der Sammlung des Skulpturenmuseums Glaskasten in Marl mit dem Titel „Die Ästhetik des Kapitals – das erste Kunstwerk einer neuen und das letzte einer alten Epoche“. Thematisiert werden Entwicklungen des Geldmarktes gegenüber Kunstwerten. Anstatt der Handelsware Geld beziehungsweise imaginären Kapitals sind Kriesches „Handelsware“ Informationen und Daten, sichtbar gemacht über besagte Visualisierungssoftware. „Capital + Code“ ist eine formale Parabel zu den Vorgängen auf dem internationalen Kapitalmarkt und der nur schwer zu beantwortenden Frage um Schein und Wirklichkeit von Werten, die gleichermaßen an Chamissos Peter Schlemihl erinnert, der seinen Schatten verkaufte. Wie Aktien an Börsen werden inzwischen Kunstwerte strategisch erzeugt, denkt man an Damien Hirsts mit Brillanten besetzten Totenschädel, der als teuerstes Kunstwerk eines lebenden Künstlers firmiert. Oder seine Versteigerung neuerer Arbeiten, von der nur kolportier wird, dass es sich um 223 Lose handelte und ein Umsatz von 111 Millionen britischer Pfund erzielt wurde. Bemerkenswert irrelevant blieb dabei, was denn nun versteigert wurde respektive wie relevant diese Arbeiten im Kontext der Gegenwartskunst sein könnten. Als Konzept verstanden führte Damien Hirsts Auktion (Aktion) vielleicht in eine Neubewertung des Begriffes Konzeptkunst, nachdem er sich der Vorgangsweisen aus dem Bereich der Marktwirtschaft bediente, die Preise und möglicherweise Werte künstlich hochtreiben. Vermutlich ist Hirst, entsprechend solcher Strategien, im Verband eines Konsortiums selbst als Bieter/Käufer seiner Arbeiten beteiligt um, vergleichbar dem Börsengebaren, Preise und/oder Werte zu kontrollieren.

„Capital + Code“ von Richard Kriesche ist bis zum 22. Februar im Kunsthaus Graz zu sehen.

Kunsthaus Graz am
Landesmuseum Joanneum
Lendkai 1
A-8020 Graz
T 43-316/8017-9200
F 43-316/8017-9212
info@kunsthausgraz.at

Öffnungszeiten
Di – So 10.00-18.00 Uhr

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Empfehlung
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