26/10/2014

Der Artikel von Christian Kühn erschien am 24.10.2014 im Spectrum der Tageszeitung Die Presse.

26/10/2014

Ein Architekturwettbewerb für das 250 Millionen Euro teure Gebäude fand nie statt. Man merkt es dem Ergebnis an. Zu Wiens neuem Hauptbahnhof.

Auf der Strecke Wien–Linz–Salzburg hat die Bahn den PKW längst als schnellstes Verkehrsmittel überholt. Eine gefühlte Stunde nach Linz, zwei nach Salzburg, vier nach München: Solche Zahlen verändern die mentale Landkarte. Die Bahn hat in dieser Hinsicht eine große Tradition. Schon im 19. Jahrhundert spielte sie als Katalysator der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung eine ähnliche Rolle wie heute das Internet. Entsprechend eindrucksvoll waren damals auch die Bahnhöfe. Angelegt am Rand der bestehenden Städte waren sie hybride Gebäude, in denen sich Architektur und Ingenieurwesen auf eine sehr spezielle Art begegneten: Zur Stadt hin zeigten sie Palastfassaden, hinter denen sich Meisterwerke der Ingenieurskunst verbargen, die größten und am weitesten gespannten Hallen, die bis dahin errichtet worden waren.
Im heute weitgehend elektrifizierten Betrieb muss ein Fernbahnhof freilich nicht unbedingt aussehen wie eine Kathedrale der Industriegesellschaft. Vom praktischen Gesichtspunkt her ist er eine bessere Schnellbahnstation mit vielen Gleisen und höherer Besucherfrequenz. Letztere hat allerdings einen wichtigen Seiteneffekt: Wo viele Menschen unterwegs sind, entsteht heute fast zwangsläufig ein Shoppingcenter. Dass die Eröffnung des Wiener Hauptbahnhofs vor zwei Wochen eigentlich die Eröffnung des Shoppingbetriebs feierte und nicht die Inbetriebnahme der Gleise für den Fernverkehr, die erst im Dezember folgen wird, spricht für sich.

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Wer der Frage nachgeht, von wem dieser Entwurf stammt, kommt zu einem überraschenden Ergebnis. Im Jahr 2004 kürte eine Jury in einem städtebaulichen Wettbewerb für das Bahnhofsareal zwei Preisträger ex aequo, das Team Theo Hotz/Ernst Hoffmann und Albert Wimmer. Beide hatten in ihren Modellen die Bahnhöfe als Baukörper angedeutet: Wimmer als eine Kiste ähnlich jener, die er am Praterstern realisiert hat, Hotz/Hoffmann als Fantasiegebilde aus Bandnudeln. Als wenig später die Ingenieurleistungen für den neuen Bahnhof und die Gleisanlagen vergeben wurden, waren Hotz/Hoffmann und Wimmer als Teil eines Konsortiums dabei: Bandnudeln und Kiste entwickelten sich zum Rautendach.

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