12/03/2020

Berg Heil jenseits von Schloßberg und Schöckl

Zur aktuellen Ausstellung Stadt sucht Berg

GrazMuseum, bis 28.06.2020

Rezension von Emil Gruber

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12/03/2020

Ausstellungsplakat. Collage – PERNDL + CO

©: GrazMuseum

v. l.n.r.: Stadtrat Günter Riegler (Vorsitzender Alpenverein Sektion Graz), Beat Gugger (Ausstellungskurator), Otto Hochreiter (Direktor GrazMuseum) , Annette Rainer (Leitung Kulturvermittlung GrazMUseum)

©: Emil Gruber

Johannes Frischauf (1837-1924), Professor für Mathematik an der Uni Graz. Alpinpionier, Erstbesteiger und Verfasser mehrerer Bücher zum Thema. Überzeugter Nationalismus-Gegner. Foto: Österr. Alpenverein, Museum und Archiv o.J.

©: GrazMuseum

Touristengruppe am Moropass, o.J. BILD: Österr. Alpenverein, Museum und Archiv

©: GrazMuseum

Mit einem "Gruß vom Gipfel" wird die Schau eröffnet

©: Emil Gruber

Nach dem Anschluss wurden alle Sektionen im "Deutschen Alpenverein" zusammengeführt

©: Emil Gruber

Karikatur von Paul Humpoletz 1924 im liberalen österreichischen Satireblatt "Götz von Berlichingen" (nicht Teil der Ausstellung)

©: Emil Gruber

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckten die Städter eine bislang unberührte Gegend. Für Bauern war der Berg kein nutzbares Gebiet, Jäger begaben sich nur selten zur Hochwildjagd in Gipfelregionen. Der österreichische Alpenverein wurde 1862 gegründet. Die Grazer Sektion, die acht Jahre später eröffnete, schloss sich dem 1879 entstandenen Deutschen Alpenverein an. Nationalistische Tendenzen sollen – noch nicht – der Grund für diesen Schritt gewesen sein, glauben Historiker. Die Grazer Sektion wollte sich mehr dem Wiener Zentralismus entziehen. Eine wirkliche politische Ausrichtung spielte in der allerfrühesten Phase des Alpenvereins noch keine Rolle.

Ohne bürokratische Hürden begann der Alpenverein Wege anzulegen und bot mit selbst erbauten Hütten erste Übernachtungsmöglichkeiten für Kletterer und Wanderer an. „Der Alpenverein nahm sich ein Stück Land, das vorher niemand interessiert hat“, beschreibt der Schweizer Kurator Beat Gugger das Phänomen. Gugger ist Alpin-Profi, misst man Ausstellungen in Höhenmetern. Im Alpinmuseum Bern gestaltete er schon 2002 Schweiz Jungfrau, Mönch & Eiger – Geschichten zur Faszination des Berges. Für die Hofburg Innsbruck baute er die bis 2014 zu sehende Alpenvereins-Dauer-Ausstellung Berge, eine unverständliche Leidenschaft. Nach einem kurzen Abstieg ins Tal mit der Kuratierung der Niederösterreichischen Landesausstellung Welt in Bewegung! Stadt. Geschichte. Bewegung 2019 in Wiener Neustadt, verknüpft Gugger nun die steirische Landeshauptstadt mit der Bergwelt.

Stadt sucht Berg – 150 Jahre Alpenverein Sektion Graz ist keine reine Jubelgeschichte der mit rund 22.000 Mitgliedern viertgrößten österreichischen Sektion. (Insgesamt gibt es landesweit aktuell 570.000 Mitglieder). Schon seit vielen Jahren werden sowohl im deutschen wie auch im österreichischen Alpenverein die Stränge zum Nationalsozialismus aufgearbeitet. Für Gugger war es spannend, diese Thematik nun auch anhand einer einzelnen Sektion zu untersuchen.  Antisemitische Tendenzen zeigten sich schnell im Alpenverein. Konnte sich die deutschnationale Fraktion mit einem Judenverbot in der Satzung um die Jahrhundertwende, in einer ersten großen Antisemitismusphase im deutschsprachigen Raum, noch nicht durchsetzen, war es 1919 bzw. 1920 soweit. Der Ausschluss von Juden wurde zuerst in den Sektionen Villach und Graz beschlossen. In den nächsten Jahren wurde er in fast allen österreichischen und deutschen Sektionen angewandt. Tausende Juden und Jüdinnen verloren ihre Mitgliedschaft. Das bedeutete das Ende des Alpinismus für sie. Spätestens ab 1924 gab es weder Bewirtungen noch Beherbergung in den alpenvereinseigenen Hütten und auch in anderen Berggasthöfen.
                   
Nach dem Anschluss wurden alle Sektionen im "Deutschen Alpenverein" zusammengeführt. Ein Arierparagraph war Bestandteil der Einheitssatzungen. Nach Ende des 2. Weltkriegs lange Zeit verboten, erlebte der Alpenverein in den 1960ern eine Renaissance. Neue sportliche Herausforderungen lockten. Spektakuläre Gipfelsiege lösten besonders in der jüngeren Generation Interesse aus. Damit öffnete sich auch eine Schere langsam: Schutz der Berge versus wachsenden Alpintourismus.

Mit einem Gruß vom Gipfel eröffnen die Ausstellungsmacher die Schau in der Gotischen Halle des GrazMuseums. In großformatigen Collagen und einer Projektion erzählen Alpenvereinsmitglieder in eigenen Fotos von ihrer Lust auf Berg. Graz und der Alpenverein stehen sich im zweiten Raum gegenüber. Anhand ausgewählter Biografien maßgeblicher AV-Mitglieder wird die Geschichte des Vereins von der Gründung bis ins heute vermittelt. Eine kleine Entwicklungsgeschichte der Stadt Graz bildet den Rahmen für die Erzählung. Der letzte Raum führt in die praktische Arbeit des Alpenvereins: die Errichtung von Wegen, der Bewirtschaftung von Hütten, eine größtenteils ehrenamtliche Arbeit. Ein Gebietswart für Hütten und Wege und ein Hüttenwirt berichten.
Auch wenn es nicht explizit in der Ausstellung erwähnt wird: Berg Heil soll auf den Wiener Bergsteiger August von Böhm zurückgehen. Angeblich hat er diesen Gruß 1881 erstmals am Gipfel des Olperer in den Zillertaler Alpen an seine Mitkletterer Emil und Otto Zsigmondy und Ludwig Purtscheller gerichtet.

Stadt sucht Berg
150 Jahre Alpenverein Sektion Graz

Kurator: Beat Gugger
Kuratorische Assistenz: Johanna Fiedler, Martin Hammer
Wissenschaftliche Begleitung: Wolfram Dornik, Robert Moretti, Katharina Scharf
Projektleitung: Johanna Fiedler
Projektsteuerung: Sibylle Dienesch
Ausstellungsgestaltung: koerdtutech
Ausstellungsgrafik: PERNDL + CO

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