23/10/2019

Brücken Bäder Boulevards

Die „Aufrüstung“ der Stadt als Auftrag zu Verschönerung der Stadtgestalt

Ausstellung
Brücken Bäder Boulevards.
Erinnerungen an das alte Graz

Modelle, Gemälde, Plakate, Fotografie und Pläne für eine Landeshauptstadt, in der Schönheit, Ruhe und menschliches Antlitz derklarierte Planungsziele waren.

GrazMuseum
bis 8. März 2020

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23/10/2019

Franz-Karl-Brücke (Hauptbrücke) mit Straßenbahnwagen, um 1900. (c) Steiermärkisches Landesarchiv Graz

Schwimmbad zur Sonne in Graz, (c) GrazMuseum

Graz, Bismarckplatz, (Am Eisernen Tor) Promenade, 1920er. (c) GrazMuseum

Publikation zur Aqusstellung Brücken Bäder Boulevards, erhältlich im GrazMuseum

Die „Aufrüstung“ der Stadt als Auftrag zu Verschönerung der Stadtgestalt

Nach knapp drei Monaten des Umbaus und der Sanierung hat das GrazMuseum im Palais Khuenburg seine Pforten mit zwei Ausstellungen eröffnet. Die Schau zu Brücken Bäder Boulevards. Erinnerungen an das alte Graz knüpft, ohne dass sichtbar oder vordergründig ein Zusammenhang herzustellen ist, an die Ausstellung Schau Graz! 426 Standpunkte zur Situation der Stadt an, in der im Sommer 2018 anhand von Fotografien bei den 426 Haltestellen von Straßenbahnen und Buslinien in ganz Graz ungeschönt und sehr konkret der aktuelle Istzustand von Graz als gesellschaftlich gewordener Stadtraum beschrieben wurde.

So wie die dokumentarischen Aufnahmen der Fotografin Franziska Schurig ohne Kommentare auskamen und ihre Interpretation und Bewertung aus stadträumlicher und stadtsoziologischer Sicht den Betrachtern überlassen wurde, ist die aktuelle Schau über die Erneuerung der Stadtgestalt vom Beginn der Industrialisierung an über die Jahrhundertwende bis in die 1930-er Jahre ein Aufzeigen der damaligen Stadtgestalt in Gemälden, Stichen, Zeichnungen und Fotografien, das für sich spricht und jeglicher Analyse entbehrt. Bilder und Pläne sollen deutlich machen, „wie sehr die Schönheit des städtischen Raums noch ein klar formuliertes Ziel war“ (aus der Beschreibung des Kurators Otto Hochreiter und der Kuratorinnen Katharina Mraček-Gabalier und Annette Rainer).

1843 hatte Graz zirka 48.500 Einwohner, 1869 bereits mehr als 81.000, 1890 angeblich 112.000. Das Aufkommen der Eisenbahn hatte Graz zu einer eisenverarbeitenden Industriestadt gemacht, die nicht nur Wohnraum für die neuen Bewohner zur Verfügung stellen musste, sondern auch Infrastruktur wie Straßen und Brücken für den Bau von neuen Quartieren. Dazu kamen Einrichtungen zur Hygiene, für den Sport und für Freizeitvergnügungen als Ausgleich zur Arbeit.

Für das GrazMuseum zeigt sich die Entwicklung hin zu einem erstarkten, selbstbewussten Bürgertum, das um 1870 sogar einen Stadtverschönerungs-verein etablierte, in den sichtbaren Monumenten des öffentlichen Stadtraums: In den Brücken, die als technische Bauwerke auf der Höhe der Zeit waren und wie selbstverständlich baukünstlerische Ansprüche erfüllten. In den Boulevards, die – großzügig angelegt – zu Bühnen des Flanierens und der gesellschaftlichen Begegnung wurden. Und in den Badeanstalten, die als Wannenbäder der Hygiene dienten, in Freibädern wie der k.k Militär-schwimmschule ab 1840 als Teil der militärischen Ausbildung und sportlichen Ertüchtigung galten und als Volksbäder die Volksgesundheit fördern und für jedermann (und jede Frau) als Freizeitvergnügen dienten.

Die Schau wird in die drei Kapitel Brücken, Bäder und Boulevards gegliedert, die, jedes für sich, einen Raum im zweiten Stock des GrazMuseums einnehmen. Die Ausstellungsgestaltung lag in den Händen des polar architekturbüros, Wien (Siegi Loos und Margot Fürtsch-Loos). Die beiden fügen und „verweben“ Holzlatten horizonal-vertikal in mehreren Ebenen zu Gitterstrukturen, die erstaunlicherweise zugleich massig und luftig-durchlässig wirken. Die großen Wandelemente werden einmal zum Raum im Raum, der umgangen werden kann, bei den Boulevards als offene Wände gegen die orthogonale Raumstruktur gesetzt und außen und innen bestückt. Im Raum der Brücken bilden sie zwei parallele, raumbegleitende Wände mit visuellen Verbindungen – Bild- und Textfahnen als „Brücken“ zwischen den Wänden.

Die Inszenierung der Variation von Holzlattenwänden wirkt in sich stimmig, drängt sich aber dort in den Vordergrund, wo kleinformatige Exponate – Ansichtskarten und schwarz-weiß Fotografien als private Erinnerungen, in die Tiefe gesetzt – die öffentlichkeitswirksamen Themen der Stadterweiterung illustrieren.

Brücken waren immer Identifikationsorte und fehlten, wenn sie durch Naturgewalten zerstört worden waren so sehr, dass sie immer sogleich wieder erneuert werden mussten. So waren Brückenbauwerke immer auch gebaute Zeichen der neuen Zeit und technischen Erneuerung. Einige der Grazer Brücken, die in der Schau in wunderschön gezeichneten, farbigen Originalplänen gezeigt werden, waren frühe Werke des Eisenbaus. Die Ferdinandsbrücke aus 1835, die etwa an der Stelle der heutigen Keplerbrücke situiert gewesen sein muss, war als eine der ersten Kettenbrücken der Stolz der Grazer, der zeitgleich durch die Uferregulierung entstandene Murkai ein Ort des Flanierens und der Begegnung.

Boulevards ersetzen in Graz nicht die mittelalterlichen Strukturen der gekrümmten engen Gasse, sondern sind bewusst großzügig angelegte Achsen nach Osten (Elisabethstraße) und zum Bahnhof durch die Murvorstadt (Annenstraße). Vom Ring, der unvollendet blieb, und dem Glacis, das mit der Auflassung des Exerziergeländes und der Errichtung des Stadtparks entstanden ist, erfährt man wenig, allerdings zeigen einige Illustrationen der Zeit um 1840 die Erzherzog Johann-Allee als belebte Promenade, die später, 1860, als Allee ausgebildet wurde.

In allen Illustrationen wirkt die Stadt großzügig, weltstädtisch – und sorgfältig vorausschauend geplant. Tatsächlich will die Ausstellung verdeutlichen, dass „Schönheit tatsächlich ein wesentliches Planungsziel war“ und in der Bauordnung von 1856 deutlich zum Ausdruck kam. So wird man angeregt, wieder einmal in Sokratis Dimitrious Stadterweiterung von Graz *) zu blättern, das als Standardwerk zur Stadterweiterung von der Mitte des 19.Jahrhunderts bis zum 1. Weltkrieg – der Gründerzeit und ihrer Dreigeteiltheit – zur Pflichtlektüre jedes Architekturstudenten und jeder Architekturstudentin der TU Graz gehören müsste. Dimitriou, der an der TH Graz der Vorstand des Instituts für Kunstgeschichte war, hat in einem Aufsatz zu jener Zeit die Stadt Graz als „Musterfall bürgerlicher Stadtentwicklung“ bezeichnet und begründet dies mit der vorbildlichen planmäßigen Entwicklung der städtebaulichen Umgestaltung und Erweiterung, die „in mancher Hinsicht als vorbildlich anzusehen ist“ und vor allem in den Bezirken Geidorf und St.Leonhard noch heute das Stadtbild prägt.

Den Vergleich zum Heute der Stadt Graz als Plattform des gesellschaftlichen Lebens für ihre Bewohner überlassen die Kuratoren dem Besucher. Und ja, die Analyse der aktuellen Stadtplanung und das sichtbare Fehlen jeglicher Visionen, schon das eines Gesamtblicks auf die Stadt, drängt sich auf beim Durchwandern der Fotografien und Bilder, die großstädtischer und moderner erscheinen als vieles, was in der Stadterweiterung nach 1945 entstand. So gesehen knüpft die aktuelle Ausstellung an Schau Graz! 426 Standpunkte zur Situation der Stadt an, in der je eine Fotografie von jeder der 426 Haltestellen im Stadtgebiet von Graz kommentarlos, aber deswegen vielleicht noch erschreckender gezeigt hatten, wie planlos, konzeptlos, wie lieblos und lustlos die Gestaltung des öffentlichen Raums in der Designhauptstadt Graz oft geschieht, nein, passiert.

*) Sokratis Dimitriou Stadterweiterung von Graz. Gründerzeit, Graz/Wien 1979

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