19/07/2019

Martin Grabner war für GAT in

Connected.
Peter Kogler with...

George Antheil with Friedrich Kiesler with Hedy Lamarr with Fernand Léger with museum in progress with Otto Neurath with Charlotte Perriand with Franz Pomassl with Winfried Ritsch with Franz West ...

Eine unbedingte Ausstellungsempfehlung mit architektonischem Einschlag.

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Kunsthaus Graz, bis 20.10.2019
Di bis So, 10 bis 17 Uhr

Die Ideenwelt der Avantgarde findet ihren Raum. Und umgekehrt
Connected. Peter Kogler with … im Kunsthaus Graz

19/07/2019

Peter Koglers Installation im Space01.

©: UMJ / N. Lackner

Bahnhofshalle des Grazer Hauptbahnhofs mit Wandarbeit von Peter Kogler.

©: Peter Kogler

Collagen aus Peter Koglers Atelier.

©: UMJ / N. Lackner

Friedrich Kieslers Raumbühne, Möbel von Charlotte Perriand und ein Bild von Fernand Léger vor den strukturierenden Vorhängen von Peter Kogler.

©: UMJ / N. Lackner

Peter Kogler und Winfried Ritsch lauschen dem Ballet mécanique von Fernand Léger und Dudley Murphy, ein Teil des mechanischen Orchesters von Winfried Ritsch.

©: Martin Grabner

Peter Kogler, Katrin Bucher Trantow und Winfried Ritsch.

©: UMJ / N. Lackner

Spätestens seit Peter Kogler 2003 der Grazer Bahnhofshalle ein neues Gesicht gab ist er hier einem breiten Publikum ein Begriff. Die aktuelle Ausstellung Connected. Peter Kogler with … im Kunsthaus Graz zeigt nicht einfach mehr davon, sondern es gelingt ihr die großformatigen Wandarbeiten einerseits in Koglers vielschichtiges Werk und andererseits in den Bezugsrahmen einer progressiven Avantgarde der Moderne einzubetten. Kuratorin Katrin Bucher Trantow taucht gemeinsam mit dem Künstler tief in die europäische Avantgarde der 1920er Jahre ein, beleuchtet einen, viel zu lange und zu wenig rezipierten Ideenstrang der Moderne und macht diesen an einem Netzwerk aus Schlüsselfiguren fest. Werke und Gedanken, künstlerische Experimente und Visionen, die sich quer durch Europa entwickelten und die Medienkunst bis heute prägen, spannen in der Ausstellung eine Ideenwelt auf, die Koglers Denken und Werk assoziativ erweitert und in der sich die BesucherInnen durch die Realität und Geschichte der sich immer schneller entwickelnden Bildmedien bewegen können. Das Schauen beginnt schon auf dem Travelator, hindurch durch ein 1995 für die Wiener Secession entstandenes und für das Kunsthaus adaptiertes Röhrensystem Koglers. Durch die eigene, maschinelle Bewegung entfaltet es eine nochmals gesteigerte immersive Wirkung und verweist auf vieles, was in der Ausstellung zu sehen und erleben ist.

Im Space02 werden die, sich gegenseitig inspirierenden und oft kollaborativ entwickelten, Positionen der ausgewählten KünstlerInnen collage-artig in Beziehung gesetzt. Organisiert wird der Raum von einer Matrix aus Werken Peter Koglers: bewegliche, digital bedruckte Vorhänge, Wandtapeten, Installationen und beeindruckend lange Wände aus über 80 Bildcollagen, die der Künstler als persönliches, die Informationsflut filterndes Gedächtnis in seinem Atelier erstellt, schaffen immer neue Raumkonstellationen und Blickbeziehungen zwischen den Arbeiten, aber auch den BesucherInnen.

Eine prominente – und stündlich auch laute – Rolle in der Ausstellung nimmt das revolutionäre Ballet mécanique ein. Bild und Ton finden in der Aufführung von Fernand Légers und Dudley Murphys surrealistisch-dadaistischer Filmmontage eines zunehmend industrialisierten und getakteten Alltags und dem dafür von George Antheil komponierten Musikstück zu einer bemerkenswerten Synthese. Zu ihrer Entstehungszeit allerdings nur theoretisch – die Synchronisation von Film und den mechanisch gespielten Pianolas war in den 1920er Jahren technisch schlicht nicht realisierbar. Im Kunsthaus wird eine Neuinterpretation von Antheils Partitur durch den Grazer Klangkünstler und Automateninstrumentenbauer Winfried Ritsch aufgeführt, mittels Computersteuerung synchronisiert und beschleunigt um Antheils Vision möglichst nahe zu kommen. Das von mechanisch gespielten Pianos, Trommeln, Propellern und Sirenen immer aufs Neue live konzertierte Stück beeindruckt mit der hypnotischen Wirkung der schnellen, technoiden Rhythmen der Großstadt, die auf den urbanisierten Menschen einwirken.
Die Uraufführung des Ballet mécanique fand 1924 auf der vom österreichischen Architekten Friedrich Kiesler im Wiener Konzerthaus initiierten Internationalen Ausstellung neuer Theatertechnik statt. Kieslers damals radikal neue, spiralförmige Raumbühne involvierte das Publikum als Teil der Aufführung. Zunächst in der breiten Wahrnehmung nahezu ignoriert wurden Kieslers Konzepte von (Ausstellungs-)Raum erst ab den 1970er Jahren wieder rezipiert, fanden Eingang in utopische Entwürfe, etwa in Großbritannien bei Archigram, und mit dem Aufkommen des computergestützten Entwerfens in die gebaute Architektur. Die erste Realisierung von Peter Cooks Raumutopien ist bekanntlich das Kunsthaus Graz. Als dessen gedanklicher Vorläufer findet Kieslers Arbeit jetzt als Modell ihren Weg in selbiges.
In den anfänglichen Ausstellungskonzepten für die biomorphen Räume des Kunsthauses wurde auch die Montage von Tafelbildern an Kragarmen vor der gekrümmten Außenwand angedacht. Diese wurde jetzt, angeregt durch eine 1942 von Kiesler für Peggy Guggenheim gestalteten Ausstellung in New York, wieder aufgegriffen: Die scheinbar freischwebenden Bilder von Léger (die mit ihren signifikanten Schichtungen und Röhren wiederum einen Bezug zu Koglers Arbeiten beinhalten) entfalten so eine ungeahnte Tiefenwirkung. Bei der näheren Beschäftigung mit den gezeigten Werken und deren Kontextualisierung in der Kunst- und Technikgeschichte schließt sich der Kreis mit dem techno-utopischen Raum des Kunsthauses so oft, dass einem beinahe schwindlig wird.

Konzipiert rund um die (künstlerische) Bildfindung und das assoziative Vernetzen von Bildinformationen reflektieren Peter Koglers Werk wie auch die Ausstellung das Verständnis von Bildern als Sprache. Nicht fehlen dürfen da Otto Neurath, Mitbegründer des Wiener Kreis, und sein Prinzip der Bildstatistik. Als Isotype ist es die Mutter der heute selbstverständlichen, universellen Zeichen- und Symbolsprache, die Großmutter der Computer-Icons und in weiterer Folge die Urgroßmutter jeglicher Touch-Bedienung. Einflussreicher geht es eigentlich nicht.
Mit dem ersten Auftauchen der Icons auf Apples Macintosh im Jahr 1984 begann Peter Kogler die digitalen Prozesse der Bildfindung zu erkunden und seine Kunst am Computer zu generieren. Seine Arbeiten antizipieren inhaltlich und in ihrer Produktion den immer größer werdenden Einfluss von Technisierung und Digitalisierung auf unsere Lebenswelt, reflektieren kritisch die beliebigen (und mitunter zur Beliebigkeit führenden) Reproduktionsmöglichkeiten und thematisieren die Bedeutung der Urheberschaft in einer Welt des Postens, Teilens und Re-tweetens. Kogler verdichtet diese Themen zu amorph-technoiden Netzen und Röhrenstrukturen, zu langen Schlangen marschierender Ameisen und immer wiederkehrenden Icons. Das Bild bleibt nicht Abbildung, sondern steht im Zentrum eines Denkens, das nicht linear, sondern assoziativ und mehrdimensional in der Bewegung im Raum stattfindet. Die Ausstellung als Werk bildet diesen Denkprozess nach.

Im Space01 steigert Kogler die kritische Verhandlung der Dialektik von Individuum und Kollektiv, von spezifisch und allgemein, in einem Alltag, in dem die menschliche Emotion durch die Technisierung objektiviert wird. Der gesamte Raum wird von der neuen, für das Kunsthaus geschaffenen Arbeit eingenommen – oder besser: freigehalten. Ein sich zum Klangteppich von Franz Pomassl ständig veränderndes Linienraster bewegt sich über die innere Hülle, transformiert den dunklen Raum und seine Wahrnehmung, löst seine Grenzen auf. Die bis zum Boden reichende Projektion macht die Architektur des Space01 zum betretbaren Bildraum, zu einer Bühne. Und die BesucherInnen zum Teil einer allansichtigen Inszenierung. Friedrich Kiesler wäre begeistert.

Nach Auf ins Ungewisse / Graz Architektur im Herbst 2017 ist es mit der Ausstellung Connected. Peter Kogler with … gelungen, das Kunsthaus nicht nur als Raum und in seiner utopischen Genese in eine Schau zu integrieren, sondern die Ausstellungskonzeption und ihren genuinen Raum, den sie in der blauen Blase findet, selbst ihrem Inhalt entsprechen zu lassen.

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