19/12/2022

Dieser Text ist ausgewählt aus dem Architekturmagazin LAMA #8/9 und ist Teil der Kooperation zwischen LAMA und gat.st. In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht www.gat.st ausgewählte Beiträge aus dem Architekturmagazin LAMA. Das komplette Print-Magazin bestellen Sie bitte auf www.lama.or.at

Das kleine Manifest des vollen Blattes ist von Jan Ingo Haller. Er ist Absolvent des Masterstudiengangs Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart. Sein Beitrag im LAMA-Heft ist ein Auszug aus seiner im Juni 2022 finalisierten Masterarbeit „Eine knappe Rechnung: Das 1.5-°C-Berufsbild der Architektur“, eingereicht bei Prof. Stephan Trüby und Prof. Jan Knippers.

19/12/2022

LAMA #8/9

©: Redaktion GAT

Liebe Architektinnen,
die Zeiten, in denen wir ein leeres Blatt vor uns hatten, sind vorbei. Unser Blatt ist voll, das war es schon sehr lange, aber wir realisieren es erst jetzt. Auf diesem vollen Blatt gibt es keinen Raum mehr, das Ego einer autonomen Architektin zu erfüllen. Das zerknüllte Papier als Modell für eine Skizze auf einem leeren Papier zu verwenden, ist verschwenderisch. Hört auf, die Natur unterwerfen zu wollen, und baut mit der Natur. Gebt die Architektur als Werk auf und gebt euch nicht dem Spektakel hin. Unser Blatt ist voll. Voll mit dem Junk unserer Vorreiterinnen. Wir, zumindest aus einer westlichen Sicht, haben alles Material für unsere Gesellschaft angereichert, das wir brauchen. Wir wachsen nicht mehr, und doch bauen wir mit dem Glauben an das endlose physische Wachstum weiter. Habt den Mut zum Nichtbauen. Trennt euch vom Bild der klassischen Architektin und denkt den Architekturberuf von Grund auf neu. Wir haben ein volles Blatt und trotzdem verschwenden wir weiter unsere Ressourcen in unserer Abrisskultur. Aus Respekt vor der gesamten Welt: Lasst uns unser volles Blatt respektieren, anstatt uns den Raum für unsere Selbstverwirklichung mit einem Radierer frei zu rubbeln. Lasst uns das volle Potential des vollen Blattes erkennen. Ein Potential, das die Architektur der Moderne und Nachmoderne aus ihrer Sinnlosigkeit befreien kann. Die einzige Ästhetik, die zählt, wird die Gerechte sein. Wir haben neue Herausforderungen, die nur in einem kollektiven Design gemeistert werden können. Das Blatt ist voller Paradoxien. Unser Blatt ist voll, und doch bauen wir so, als würde uns die Zeit davonrennen. Uns rennt die Zeit davon, weil wir bauen, als würde uns die Zeit davonrennen. Die Knappheit der Zeit als Ressource macht die Zeit noch knapper. Das Blatt ist voll und wird immer schneller voller, ein Teufelskreis? Eine Renaissance der Entdeckung der Langsamkeit. Back to the Romantik, in die Zeit, bevor das ganze physische Wachstum aus den Fugen geraten ist. Bringt mehr Liebe in das volle Blatt. Es ist doch paradox, dass wir weniger arbeiten müssen, um weniger zu produzieren, aber gleichzeitig mehr arbeiten müssen, uns schneller zu wandeln. Baut das Blatt weiter, passt das volle Blatt an die wandelnde Gesellschaft an, aber baut für die Gesellschaft und nicht für das Kapital. Befreit die Architektur vom Wachstum. Es ist doch paradox, wie wir nun die Architektur von ihrer Wirtschaftlichkeit befreien müssen, aber gleichzeitig so wirtschaftlich wie noch nie mit unseren Ressourcen arbeiten müssen. Das Blatt ist voll, und doch lernen wir in den Universitäten das Entwerfen auf einem leeren Blatt, wobei die Architektinnen von morgen schon gestern hätten dagewesen sein müssen. Zwischen die Architektin und ihr Werk passt kein Blatt Papier. Darum baut das Blatt um, in einer Haltung, die ihr vor der Welt vertreten könnt. Oder lasst das volle Blatt einfach ein volles Blatt sein und baut gar nicht. Überzeugt die Bauherrin vom Nichtbauen. Streitet. Diskutiert. Forscht. Vor euch ist ein neuer Beruf, den es zu entdecken gibt. Die beispiellose und nicht-referenzielle Architektin. Eine Architektin, die es vorher nie gab. Die nicht-bauende Architektin.

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Anm.: In diesem LAMAbite wird mit dem generischen Feminin gegendert. Das heißt, alle nicht spezifischen Personen sind weiblich. Zitate sind dementsprechend angepasst. Mit dem generischen Feminin sind alle Geschlechter angesprochen. Diese Weise des Genderns wurde aus Lesbarkeitsgründen gewählt.

DI Elisabeth Kabelis-Lechner

dieser Beitrag ist oberpeinlich und zum Fremdschämen.

Mo. 09/01/2023 18:03 Permalink
Tschavgova

Zitat/Anmerkung: "In diesem LAMAbite wird mit dem generischen Feminin gegendert. Das heißt, alle nicht spezifischen Personen sind weiblich."
Heißt das, dass nur weibliche Personen gemeint und angesprochen sind in diesem Artikel? Nach meinem Sprachverständnis müsste es sonst richtig heißen: Das heißt, alle nicht spezifischen Personen werden in weiblicher Form genannt (oder angesprochen)." Oder noch einfacher: Es wurde die weibliche Form verwendet, die alle nicht spezifischen Personen einbezieht.
Tja, nicht so einfach, wenn man alles überkorrekt und perfekt machen will..... und dabei vergisst, dass frau mit (sowieso überall notwendigem) Selbstbewusstsein sich auch früher mit angesprochen gefühlt hat bei der männlichen Form des sprachlichen Ausdrucks. Tja, die Sprache ist ein Hund, auch abgesehen vom Gendern! (pardon oder wau-wau, ich bleibe hier beim Männlichen)
Das ganz abgesehen vom Inhaltlichen, das eine eigene Diskussionsreihe im HDA werden sollte, mit dem Autor naturalmente, der sein Manifest dann auch im direkten Schlagabtausch differenzierter vertreten und verteidigen müsste. Mein Credo: Sei für Fortschritt, der kein Stillstand, sondern eine Verbesserung des Ist-Zustands ist. (an alle nicht spezifischen Personen, ob weiblich oder männlich oder ...

Mo. 09/01/2023 17:18 Permalink
Gernot Ritter

Dieser Artikel ist in seiner Pauschalierung sehr peinlich und geht an der gut gemeinten Idee als "Manifest" getarnt vollkommen vorbei.

Di. 20/12/2022 14:12 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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