25/03/2014

Reflexionen zur Podiumsdiskussion
Der emanzipierte Stadtmensch
und Präsentation des Buches
The art of urban interventions
- Die Kunst des urbanen Handelns

am 11.03.2014 im
Theater im Bahnhof, Graz

Veranstalter
Center for Contemporary Art, in Kooperation mit
Universität Graz, Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie

Podium:

Johanna von Rolshoven
Kulturanthropologin,
Stadtforscherin, Universität Graz
Anton Lederer

Birgit Kulterer
Kunsthistorikerin,
Kunstvermittlerin
Elke Rauth
dérive, Zeitschrift
für Stadtforschung
Leo Kühberger
Historiker, Radiomacher
und Aktivist
Judith Laister
Kulturanthropologin,
Universität Graz

25/03/2014

TeilnehmerInnen an der Buchpräsentation 'Die Kunst des urbanen Handelns' und der Podiumsdiskussion 'Der emanzipierte Stadtmensch ' im 'Theater im Bahnhof' Graz

©: Claudia Gerhäusser

Podiumsdiskussion mit Johanna von Rolshoven, Anton Lederer, Birgit Kulterer, Elke Rauth, Leo Kühberger und Judith Laister (v.li.)

©: Claudia Gerhäusser

Am Podium: Elke Rauth, Leo Kühberger und Judith Laister (v.li.)

©: Claudia Gerhäusser

Am Podium: Judith Laister

©: Claudia Gerhäusser

Im Gespräch: Lisa Rücker, Heidrun Primas und Johanna von Rolshoven (v.li.)

©: Claudia Gerhäusser

Das Buch

©: Claudia Gerhäusser

Der Abend begann mit dem Arkordeon. Das Theater am Bahnhof platzte aus allen Nähten, Stuhlreihe um Stuhlreihe wurde ergänzt und die hohen Erwartungen des Publikums an den Abend ließen sich kaum verbergen. Ein neues Buch über das alte Thema Stadt sollte vorgestellt werden und man wollte mehr erfahren über Die Kunst des urbanen Handelns. Unerwartete Erkenntnisse erhoffte man sich von diesem Thema, was in Bezug auf die für das 21. Jahrhundert typische Tendenz, in Städten zu leben, nicht verwundert.

Der Kunstverein , vertreten durch seinen Gründer Anton Lederer, präsentierte gemeinsam mit dem Institut für Volkskunde und Kulturanthropologie der Universität Graz das in Zusammenhang mit einer 2011 veranstalteten Konferenz entstandene Buch The art of urban interventions - Die Kunst des urbanen Handelns. Auf dieser Konferenz präsentierten sich aktivistische, künstlerische und wissenschaftliche Positionen aus Europa und wurden zum weiteren Denken und Handeln miteinander verknüpft.

Das vorgestellte Buch ist aufgeräumt und griffig, sowohl in Inhalt und Layout, als auch in Stärke und Papier. Der Buchdeckel erinnert an eine selbstgezeichnete Karte einer langen Reise zwischen den Städten Europas. Da ist Berlin ebenso ein krakeliger, sympathischer Knotenpunkt, wie Milano, Sofia, Usti Nad Labem, Hamburg oder Istanbul. Passend verspricht das Buch „Skizzen konkreter Beispiele urbanen Handelns im Spannungsfeld aktueller Diskurse wie Partizipation, Gouvernementalität, Gentrifizierung, soziale Bewegungen, Migration und Empowerment.“

„Die Rolle, die Kunst im städtischen Wandel spielen will“, wie es auf dem Klappentext heißt, soll zwischen den Buchdeckeln verhandelt werden. In drei Kapiteln wird von der Mikroebene des Grazer Annenviertels ausgehend auf die Makroebene europäischer Fallbeispiele und Vorbildprojekte urbaner Partizipation gewechselt. Zum Abschluss schreiben Wissenschaftler über den städtischen Raum und dessen Verhältnis zur Kunst. So wird zum Beispiel über die Mikropolitik zur Wiederaneignung der Stadt mit dem Atelier D’Architecture Autogeree erwähnt, „dass Rückeroberung und selbstverwaltete Nutzung des Stadtraumes“ durch künstlerische Strategien angestoßen werden könnten.

Die begleitende Diskussion unter dem Titel Der emanzipierte Stadtmensch sollte ebenso der Stadt gehören und Bezug auf partizipatorische Aktivität im künstlerischen Sinne nehmen. Neben den Podiumsgästen aus Graz, saßen Anrainer wie Robert Reithofer von Isop aus dem Annenviertel, Simone Reis als Stadtteil-Managerin des Annenviertels im Publikum und Gäste aus Wien, Hamburg und Berlin waren gekommen, die Input und den Blick aus der Distanz mitbringen sollten. „Die Stadt - Man redet jetzt viel drüber“ erwähnte auch Christoph Laimer, Herausgeber der Stadtforschungszeitung derive.

So gut das Buch einen Überblick über den Stand der Dinge vermittelt, so unklar war die Motivation für das Podium und dessen Zusammensetzung. Die Stadt ist ein konfliktreiches Feld. Das Podium stattdessen war sich in allen Aussagen einig.

Es ging vornehmlich um die Gegenstimme zur Ökonomisierung einzelner Nachbarschaften. Im Verlauf der Diskussion wurde eine skeptische Haltung gegenüber partizipativer Angebote von Seiten der Politik eingenommen und gemeinsam entschied man, dass Kunst einen öffnenden und sozialverträglichen Anstoß zur Gemeinschaftsbildung in der Stadt leisten kann. 
Die Partizipation wurde einseitig durch die negative Brille einer in Mode gekommenen und von der falschen Seite instrumentalisierten Strategie betrachtet.
Kommentatorisch wurden die Begriffe Aktivierung und partizipative Praktiken der Diskussion vorangestellt und betrachtet. Demnach wären sie Ausdruck einer verdeckten Hierarchie: Wer andere Menschen aktivieren will, sage, dass diese passiv seien - er mache also den Unterschied und ziehe so bereits ein Grenze.
Leo Kühberger, Historiker, Radiomacher und Aktivist, erklärte welchen Beigeschmack das Vokabular der sozial-künstlerischen Interventionen für ihn hat: „Aktivierung benennt ein hierarchisches Verhältnis und ist deshalb schon ein falscher Begriff. Auch intervenieren passt da nicht! Statt dessen? Organisierung wäre die Alternative.“ Vernichtend simpel lässt sich jedoch auch dieses „organisieren“ negativ argumentieren, wenn man davon ausgeht, dass dann ein nicht-organisiertes Gegenüber existiert, ein Verhältnis, welches wieder durch eine versteckte Hierarchie gekennzeichnet ist.
Anton Lederer verteidigte zu diesem Zeitpunkt der Diskussion bereits die Ansätze des , indem er seine Arbeitsweise beschrieb. Er konnte deutlich machen, welche Rolle der und sein Programm in der Stadt spielen. Aktivitäten im öffentlichen und sozialen Raum, Spaziergänge, Workshops, Ausstellungen, Zeitung, Radio und on-going in vielen Formaten agierend, scheint er neue Netzwerke zu bilden, gleichfalls in der eigenen direkten topografischen Umgebung, wie in Richtung Osteuropa. Der „aktiviere dabei nicht, sondern führe Expertisen zusammen, um Wirkung zu zeigen“. Am ehesten zeige hier das gegenseitige Kennenlernen und Begegnen auf lokalem Spielfeld Wirkung, nicht die Kunst oder eine stadtpolitische Maßnahme.
Ähnliches war wohl auch mit der Aussage von Johanna von Rolsoven gemeint „Der Stadt sehr nahe kommen!“. Sie sprach davon, für die Stadt eine „schwebende Aufmerksamkeit“ zu generieren. Auch keine entschieden andere Position in dieser Diskussion, sondern nur eine etwas andere Art die Gegenstimme gegen die Ökonomisierung des öffentlichen Raums zu erheben.

Die Einigkeit des Podiums ließ leider die wenigen kontroversen Anregungen aus dem Publikum ins Leere laufen. Weder auf die Anmerkung, dass die Konfliktebenen einer Stadt viel eher mit dem politischen Umgang in Bezug auf den privaten Raum, den Mietraum, zu tun haben könnten, noch die Anmerkung, dass einzelne Projektbeispiele, Parkfiction aus Hamburg z.B., zu unkritisch behandelt wurden, wurden aufgegriffen. Ein Berliner Gast bestätigte den Eindruck, dass auch das „organisiert werden“ kein Ausweg aus dem Vokabulardilemma künstlerischer Interventionen oder Proteste sei, aber sein Einwand, dass die Ökonomisierung einzelner Stadtteile oder auch von Leerständen, je nach Standpunkt, enorme Vorteile haben kann, wurde nicht weiter gedacht.

Doch wie macht man Mut dazu, sich selbst zu organisieren ohne zu hierarchisieren? Wie kann man ein Missverhältnis der Stimmen in der Stadt - Bürger, Politiker, Geschäftsleute, Migranten - wieder mehr ins Gleichgewicht bringen? Als Anton Lederer erwähnt, dass vornehmlich der Bürger glaubt, dass Stadt vom Bürgermeister gemacht wird, legte das am Ende doch noch ein paar Konfliktzonen frei. Die Grünenpolitikerin und Kulturstadträtin Lisa Rücker spielte aus dem Publikum den Ball zurück an die Stadtbewohner und an die Künstler, die doch bitte nicht die Politik aus ihrer Verantwortung entlassen sollten und „nicht aufarbeiten sollen, was die Politik liegenlässt“. Eine „neoliberale Wunschidee“ nennt Elke Rauth das, „dass der Bürger sich selbst die Stadt und die Politik macht“.

Der so schleppend aufgeladene Dienstagabend wurde eine Geduldprobe und ließ leider bis zum Schluss viele Fragen unerwähnt. Nicht die Individualität einer Skizze, die die Karte auf dem Buchdeckel noch zu vermitteln weiß oder die Dynamik eines städtischen Gefüges blieben vom Abend übrig, sondern eher der Eindruck latenter Müdigkeit in Beteiligungs- und Verhandlungsprozessen, als wäre man selbst schon erschöpft von den Themen der Stadt, des Urbanen, der Kunst und der Partizipation. Man war viel zu sehr ein und derselben Meinung. So eine Diskussion verebbt dann eher.

Und was nun tun? „Nichts tun ist auch keine Lösung“, wie der Titel von Elke Rauth und Christoph Laimer im Buch beschreibt:

Reden Sie lieber noch mal drüber oder lesen Sie besser das Buch.

Die Kunst des urbanen Handelns / The Art of Urban Intervention
Hrsg. von Judith Laister, Margarethe Makovec & Anton Lederer
Löcker Verlag
Broschur, Deutsch/ Englisch
288 Seiten, 15,5 x 23,5 cm
Euro 29,80
ISBN 978-3-85409-702-0

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