10/01/2013
10/01/2013

"Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres oder sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?" Diese Frage steht im Zentrum der Volksbefragung, die österreichweit am kommenden Sonntag, dem 20. Jänner 2013, durchgeführt wird.

Wilhelm Hengstler
Entscheiden unter Unentscheidbarkeit

Mit diesem Mail sucht Michi Wambacher, meine geschätzte GAT-Redakteurin, Erhellung: „Wie so viele weiß ich auch noch nicht, was ich mit der Volksabstimmung machen soll. Macht es Sinn, hinzugehen, macht es Sinn, weiß zu stimmen, oder ist das völliger Blödsinn.... Mich ärgert, dass die Politiker da wieder eine Entscheidung auf das Volk abwälzen und sich dann auf das Ergebnis berufen, ihre Hände in Unschuld waschen können.“

Im ersten Impuls strapazierte ich unter Heranziehung allerlei böser Schnurren aus meiner Wehrdienstzeit 1964 das sogenannte Integrationsargument für die Allgemeine Wehrpflicht. Wo sonst kommen so viele unterschiedliche Österreicher in einer Stube zusammen wie beim Heer? Und steht nicht das Berufsheer für weniger, das Volksheer für mehr Staat, von dem sowieso immer weniger wird?

Ohne daran zu denken, an welch tiefen, historisch gewachsenen Mentalitäten sie damit rührt, hat die Regierung mit ihrer ersten „Volksbefragung“ eine Frage österreichischer Identität zu einem vorgezogenen Wahlkampfthema denaturiert. Das Volksheer, ein „Kind“ der Französischen Revolution und des Nationalstaates, steckt so tief im kollektiven Bewusstsein, dass selbst ehemals tief frustrierte Wehrdiener (wie ich) ihm noch widerstrebend anhängen. Dabei meinen die meisten Befragten weniger ein Faible für das Heer als ein (vielleicht unbewusstes) Bedürfnis nach einem auf Verantwortung gegründeten Zusammenhalt.

Tatsächlich haben sich mit dem Ende des Kalten Krieges, das Österreich von einem Grenz- zu einem Kernland Europas werden ließ, mit der Bedrohung durch Cyberkriege in Folge der digitalen Revolution und mit Auslandseinsätzen und Attentaten die militärischen Rahmenbedingungen verändert. Wenn sich die Erscheinung des Nationalstaates ändert, mag sich auch das an ihm hängende Heereswesen ändern. An einer Verbesserung des bestehenden Heers darf allerdings gezweifelt werden. Über zu viele Jahrzehnte hat die Politik jede Chance dazu peinlichst vermieden.

Nicht nur Darabos, alle beteiligten Parteien haben während der letzten Jahre in einem geradezu höfischen Meinungstanz ihre Positionen bezüglich des Heeres mehrmals um 180 Grad gewechselt. Das ist noch keine Schande, man darf dazulernen. Leider haben ÖVP und SPÖ wenig dazugelernt, nur behalten, dass es immer gut ankommt, die Wehrdienstzeit zu verkürzen und das Heer finanziell auszuhungern. Mit der Ausnahme des Ankaufs wahnsinnig teurer Flugzeuge natürlich. Da wurde dann plötzlich mit der Nato-Eignung argumentiert, der Österreich in anderen Zusammenhängen wegen seiner Neutralität doch nicht beitreten darf. Dass Darabos als Minister gegen diesen Kauf, wenn auch mit zweifelhaftem Erfolg, angetreten ist, muss man ihm zugute halten.

Ein Berufsheer muss nicht automatisch Ausdruck von weniger Staat sein. Und Angehörige eines Volksheeres zu sein, hat Soldaten selten daran gehindert, auf ihre Mitbürger zu schießen. Darabos mag die wahren Kosten seines Konzeptes verheimlichen, das spricht noch nicht gegen seine Brauchbarkeit. Billiger wird keine brauchbare Lösung – Berufsheer oder Erneuerung des  Bundesheeres – werden. Bisher gibt Österreich im internationalen Vergleich so wenig für sein Heer aus, dass sich die Regierung ohne weiteres um die Ehrenmitgliedschaft bei der internationalen Friedensbewegung bewerben könnte.

Die Politik, für die das Heer vor allem Spielmaterial im Parteien-Hickhack ist, hat es verabsäumt, entsprechende Szenarien und darauf gründende Militärdoktrinen zu entwickeln – oder sie ziemlich gut versteckt. Und noch bevor der Umriss eines neuen Konzepts zu erahnen ist, wird es schon in der Luft zerrissen: verfassungsrechtliche Bedenken, die Kosten eines Berufsheeres, Milchmädchendrohungen, dass Sozialdienst und Katastropheneinsätze nicht oder nur mit „Ausländern“ aufrechtzuerhalten seien.

Tatsächlich sind rationale, für längere Zeiträume „richtige“ Entscheidungen für das Heer unmöglich. Zu viele Imponderabilien (oder Variable) sind im Spiel: Naturkatastrophen, geopolitische Entwicklungen außerhalb Österreichs, Kriege, die noch keiner ahnt, wirtschaftliche und technische Entwicklungen, Verfassungsprobleme, EU-Recht und und und ...
Entscheidungen für eine Heeres(re)form sprengen jeden rationalen oder betriebswirtschaftlichen Rahmen. Entscheidungen für eine Heeres(re)form sind Wertungen aus einer auch emotional getönten  Haltung heraus. Und genau davor drückt sich die Politik, indem sie „das Volk“ befragt. Selber unwillig zu entscheiden (haltungsunwillig) überlassen die regierenden Parteien dem Souverän – uns - die Entscheidungsgewalt. Geblendet von scheinbarer Rationalität soll der Souverän unter Unentscheidbarkeit entscheiden. Dass die „Frager“ mit ihrer Veranstaltung eigentlich „Wahlkampf“ und nicht das Heer meinen, steht außer Frage. Das Verlangen nach besseren Informationen widerspricht dem oben Gesagten nicht. Die bisher angebotenen Entscheidungsgrundlagen sind (bei all ihrer naturgemäßen Begrenztheit) beschämend oberflächlich.

Wenn schon Volksbefragungen, dann auf der Grundlage eines korrekten Ablaufes und einer möglichst optimalen Aufklärung. Hastig verordnete Volksbefragungen gleichen einem Flyover zur Lösung eines Verkehrsstaus. Nur lösen Flyovers, wie jeder weiß, keine Verkehrsprobleme, sie verschlimmern sie nur. Durch ihre Volksbefragung, an sich ein ehrenwertes Instrument der direkten Demokratie, vergrößern die Parteien nur die Frustration der Bürger. Sie fahren, um im Bild zu bleiben, die repräsentative Demokratie gegen die Wand.

Manchmal muss man etwas verändern, damit alles beim Gleichen bleibt sagt der Fürst in Lampedusas „Der Leopard“. Die Frage ist also nicht, für welches Heer man ist. Eher, wie man wählt, um die Demokratie vor ihren professionellen Demokraten zu retten. Am wenigsten Angst flößen einem derzeit die Grünen ein, bisher die einzigen mit sauberer Weste. Und die sind für ein Berufsheer.

Martin Brischnik

Mir stellt sich betreffend das Berufsheer die simple Altersfrage. Derzeit haben wir tausende gesunde ca. 18 bis 20 Jährige, welche Muren und Lawinen wegschaufeln, Sandsäcke gegen das Hochwasser schleppen und uns vor fiktiven Feinden beschützen. Wenn wir nun ein Berufsheer haben, in welchem ein haufen vitaler junger Söldner 2013 (oder wann auch immer) die Arbeit antritt - was tun die dann in zwanzig oder dreissig Jahren, wenn der Zahn der Zeit sie mit Kreuzschmerzen und Bierbäuchen gesegnet hat? Und was tun wir mit ihnen, wenn das Schaufel - Schwingen und das Robben nicht mehr klappt? Schaffen wir dann Military - Rollatoren an?

Do. 17/01/2013 9:53 Permalink
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