25/05/2020

gelungen | nicht gelungen 3

GELUNGEN. Die Straßenbahnhaltestelle Mandellstraße

Architektur
Architekturbüro Windbichler
um 1988

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In der Kolumne gelungen | nicht gelungen zeigt Architekt und Stadtplaner Bernhard Hafner anhand realisierter Beispiele auf, was aus architektonischer und/oder städteplanischer Sicht in der Stadt Graz gelungen oder nicht gelungen ist.

25/05/2020

Abb. 1: Straßenbahnhaltestelle Mandellstraße, Blickrichtung Dietrichsteinplatz

©: Architekturbüro Windbichler

Abb.2: Grundriss und Ansicht mit Tribeca-Café

©: Architekturbüro Windbichler

Abb.3: Detail-Foto Richtung Mandellstraße

©: Architekturbüro Windbichler

Abb.4: Ansicht Richtung Technikerstraße

©: Ankünder Team, R. Kalcher

Abb.5: Straßenbahnhaltestelle Mandellstraße, ab 1988 im Betrieb

©: Ankünder Team, R. Kalcher

Abb.6: Plexiglas-Sitzbank

©: Ankünder Team, R. Kalcher

Abb.7: Ansicht Richtung Mandellstraße und Vorplatz des Tribeca-Cafés

©: Ankünder Team, R. Kalcher

GELUNGEN. Die Straßenbahnhaltestelle Mandellstraße (1)

  • Auftraggeber: Stadt Graz, Errichtung eines Straßenbahn-Wartehauses der Linie 3 in Graz, Station Mandellstraße
  • Planung: Architekturbüro Windbichler: Irmfried Windbichler, Gerhard Kuebel, Joe W. Kollegger. Der Auftrag umfasste Entwurfszeichnungen der Herstellung
  • Herstellung: Glas Meisl, Metallbau Treiber, Subunternehmer, beide Graz
  • Entstehung: Um 1988 (nach Dieter Ecker, ARCHITEKTUR IN GRAZ 1980- 1990)

Das Wartehaus der Straßenbahnhaltestelle Mandellstraße der Linie 3 im Kreuzungsbereich von Sparbersbachgasse und Technikerstraße war überraschend da und war dann eines Vormittags wieder weg (Abb.1). Als gelungener Streich war es da, als sei es Müll war es wieder weg, von der Stadt auf einem Lagerplatz entsorgt: eine als Aktion zwar gelungen, als Demontage eines künstlerischen Objektes ein misslungener Eingriff in die Gestaltungsvielfalt öffentlichen Raumes.
    Weil es ein Objekt mit künstlerischem Anspruch war, muss man sich fragen: wie das? Wie konnte es zum Spielball einer von der Politik und von ausgelagerten Institutionen der Politik zu verantwortenden Unkultur werden? Wie konnte man sich damit so schnell abfinden? Wie kam es dazu, dass man sich nicht solidarisieren konnte und sich über seinen Abbruch nicht empörte? Noch dazu, wenn es durch ein Objekt ohne vergleichbaren künstlerischen Wert ersetzt wurde. Nun, unter Architekten, wie unter Künstlern, ist kaum jemand jemandes Freund und sieht sich zur Unterstützung eines Kollegen aufgerufen, der ja auch Konkurrent ist. Ich selbst bekam von all dem kaum etwas mit, habe aber eine Bringschuld zu leisten, was ich mit diesen beiden Artikeln zum Wartehaus hiermit tue (abgesehen davon, dass sich Barbara Hafner, den Verbleib der Skulptur unterstützend, geäußert hatte).
    Es gibt Verwirrung um Entstehung und Vergehen, viele Fragen und widersprüchliche Antworten. Da ich aber keineswegs unterschätze, dass mir nicht Wohlgesinnte Unsachlichkeit vorwerfen könnten, werde ich allen Stimmen Gehör geben, die zur Lösung des Sachverhalts beitragen konnten. Eine solche Lösung kann ich nur dadurch gewinnen, dass ihre Logik auch Leser überzeugt. Hören wir also verschiedene Stimmen in Folge und im Dialog (IW: Irmfried Windbichler, Textformatierung laut IW, HR: Heinz Rosmann, HM: Herfried Marketz, PW: Peter Waitz, BH: Bernhard Hafner):
IW: "... hat mir das stadtplanungsamt geholfen, dieses projekt umzusetzen, vor allem herfried marketz, mitarbeiter der stadtplanung. er hatte auch die idee einer architektur- und design- straßenbahnlinie und mir den auftrag für die erste station dieser linie gegeben/oder verschafft; ich weiß nicht mehr, ob herr meisl oder die stadt mich beauftragt hat. es gab auf jeden fall eine konstruktion mit baurecht auf öffentlichem grund, sodass glas meisl sich dort in form einer haltestelle präsentieren konnte. die grazer linien haben relativ wenig mitgeredet, ansprechpartner waren herfried marketz auf seiten der stadt und eben herr meisl (2). Seinerzeit sei angedacht gewesen, eine ganze Straßenbahnlinie mit designten Stationen auszustatten, nichts sei daraus geworden.“ (3)
HM: "Ich war bei der Bauverhandlung zur Errichtung eines Wartehauses 'Mandellstraße' der Straßenbahnlinie 3 als Vertreter des Stadtplanungsamtes und Gutachter anwesend. Der Standort lag einige Meter stadteinwärts vor einem Geschäft der Firma Glas Meisl. Ich wollte dort etwas Anderes als den vorgesehenen Dutzendentwurf sehen. Also fragte ich Herrn Meisl, ob er nicht etwas Individuelles machen wolle, was er bejahte. Dann rief ich Irmfried Windbichler an, ob er nicht einen Entwurf dafür machen wolle, was er bejahte. Schließlich rief ich Vizebürgermeister Edegger an und unterrichtete ihn von meiner Idee und dem Stand der Dinge: dass die Firma Meisl die Station in Eigenregie errichte und Windbichler sie plane. Edegger sagte seine Unterstützung zu und dass er das Honorar für Windbichler bezahle. Alle diese Kontakte spielten sich während der Bauverhandlung ab."
HR: "Die Verkehrsbetriebe wollten mit dem Ankünder ein Wartehaus mit einer großformatigen Plakatwand und kleinem Dach machen. Wir von der Stadtplanung wollten durchgängig Stationen einheitlicher Art haben, wovon die Verkehrsbetriebe nicht begeistert waren. Marketz habe einen individuell gestalteten Prototyp mit den Verkehrsbetrieben als einmalige Sache abgesprochen. In dieser Sache kann ich die Aussage von Marketz bestätigen. Später kam es dann zur Verwirklichung einheitlicher Stationen nach dem Berliner System. Über die Zeit der Errichtung werde ich noch etwas finden!"
HR: "Ich fand das Projekt in Dietrich Ecker, ARCHITEKTUR IN GRAZ 1980- 1990, Verlag Droschl, Sonderbauten, Tramstop Sparbersbachgasse, aus 1988."
BH: "Ich habe gehört, es habe ein Konzept für die individuelle Gestaltung von Straßenbahnhaltestellen für eine ganze Linie gegeben. Auch Windbichler deutet das an. War die Haltestelle Mandellstraße eventuell eine davon?"
HM: "Von so einem Konzept weiß ich nichts. Bei „meiner“ Haltestelle handelt es sich um eine Einzelaktion.
BH: "Peter Waitz, ich höre widersprüchliche Aussagen zur Errichtung des Wartehauses Mandellstraße der Linie 3. Irmfried Windbichler deutet an, es soll ein Gesamtkonzept gegeben haben. Herwig Marketz vom Stadtplanungsamt sagt, es sei sicher eine Einzelaktion gewesen, ein Projekt, das er durch Telefonate mit Meisl, Windbichler und Edegger auf den Weg gebracht habe."
PW: "Ich meine mich zu erinnern, dass in einer Gruppe mit (Gerhard) Haberl ein Konzept für eine individuelle Gestaltung von Haltestellen für Straßenbahnen in Graz mit Beauftragung von Künstlern oder Architekten angedacht und diskutiert wurde."
BH: "Die Verbindung mit Haberl ist naheliegend. Ernst Schmidt, seine rechte Hand und Freund Irmfried Windbichlers, besuchte mich im Büro, nachdem ich den geladenen Wettbewerb der Fa. Humanic im Nachbarhaus meines Büros am Hauptplatz gewonnen hatte. Er verlangte gewisse Planänderungen, einen Durchgang in die Mitte des Blocks betreffend, die zu machen ich ablehnte. Irmfried Windbichler hat den Auftrag erhalten und den Umbau gemacht, später dann auch den Umbau des Stiefelkönig von Humanic in der Herrengasse. Ich kann mir vorstellen, dass dieses Naheverhältnis zu Haberl dazu geführt haben könnte, von einer „idee einer architektur- und design- strassenbahnlinie“ zu sprechen. Also ist die Haberl-Connection nicht abwegig."

Was sich aus diesen Stimmen ableiten lässt, ist dies. Auftraggeber für den Entwurf der Straßenbahnhaltestelle Mandellstraße ist die Stadt Graz, vertreten durch Vizebürgermeister Edegger. Initiator des Projektes war Herfried Marketz, Mitarbeiter im Stadtplanungsbüro der Stadt Graz. Die Herstellung geschah in Eigenregie durch die Firma Glas Meisl in Zusammenarbeit mit Metallbau Treiber als Subunternehmer. Das Herstellungsdatum ist um 1988.
    Was ist es nun, ein Wartehaus für eine Straßenbahnhaltestelle oder eine von der Stadt geförderte private Skulptur in öffentlichem Raum? Es ist Skulptur und Objekt, das eine Straßenbahnhaltestelle markiert, zugleich (Abb.2). Es ist weniger ein Wartehaus. „unser projekt ist so etwas wie ein abbild von shelter, nicht unbedingt aber shelter. ich bin nicht sicher, ob es wirklich vor regen geschützt hat. aber darum ging es nicht. es ging darum, den öffentlichen raum zu gestalten und definieren, die stadt interessant zu machen“, sagt Windbichler (4) und „..ich hab auch nie behauptet, dass es wirklich trocken ist unter diesem Wartehäuschen. Das war auch nie so gedacht oder gemeint. Es ging um Exponiertheit und Schutz. Es ist das Bild eines Wartehäuschens, ein Spiel, ein formales Statement. Es tut so wie ein Wartehäuschen“ (5), (Abb.4), (Abb.3). Weiter schreibt Windbichler: „..ich hab zu dieser zeit mit gerhard kuebel und joe kollegger zusammengearbeitet, sie haben wesentlich an dem projekt gearbeitet, von ihnen stammt auch der großteil der arbeit am projekt. die glasteile kamen von glas meisl, darunter eine 16cm dicke freistehende glasscheibe, sie wurde einfach in einen schlitz im boden gestellt. wenn ich mich richtig erinnere, kamen die metallteile von metallbau Treiber“ (6).
    Zusammen mit der Installation der Verkehrsbetriebe war das Wartehaus deutlich als Haltestelle erkennbar (Abb.5). Auch eine Sitzbank aus Plexiglas war vorgesehen (Abb.6). Die Verkehrsbetriebe hätten die Station offensichtlich nicht geliebt, sie vergammelte zusehends. Bald habe es erste, schwere Beschädigungen gegeben: Ein auf dem Gehsteig reversierender LKW habe den Kopf der Skulptur gerammt und verbogen, sodass der Spiegel nicht mehr die einfahrende Straßenbahn zeigte. Dieser Schaden sei nie repariert worden, vielmehr sei der Kopf eines Tages verschwunden. Es gab auch Beeinträchtigungen, weil das Objekt nicht verstanden worden sei. So habe es etwa genau choreografierte Anlehnestangen und Halterungen für Fahrpläne gegeben, deren Schräge mit der Neigung der frei stehenden Glasscheibe abgestimmt gewesen sei. Diese Komposition sei durch brutal hineingeknallte Verkehrszeichen und Hinweistafeln zerstört worden, so Windbichler. Auch Tribeka, dessen Außenraum das Café durch das Objekt beeinträchtigt sah, liebte es nicht (Abb.7).
    Aber die Station war immer noch da, rücksichtslos behandelt, war sie zwar beschädigt und reparaturbedürftig, aber immer erkennbar als das, was sie war: Eine Skulptur von künstlerischem Anspruch und Haltestelle zugleich, überdauernd in einer Zeit, in der Politik und die Positionsinhaber in von ihr ausgelagerter Verwaltung Kulturbewusstsein einzubüßen begonnen hatten, reparierbar und vernachlässigt zugleich, einem (erwünschten?) Ende entgegengehend. Da und lebendig war sie noch, die Station. Am nächsten Mittag war sie weg. War sie auch tot? Niemand wusste es, niemand weiß es wohl. Was dazu zu sagen ist, wird im zweiten Artikel gesagt werden. Das aber ist eine neue Geschichte.

(1) Anlass für diesen Artikel waren Errichtung und Demontage des Wartehauses „Mandellstraße“ der Straßenbahn Linie 3. Unter GELUNGEN wird versucht, den Sachverhalt des Entstehens der Station durch zahlreiche Telefonate und Texte zum Thema zu klären.
(2) E-Mail von Irmfried Windbichler an den Autor vom 31.03.2020
(3) Großes Echo rund ums Wartehäuschen, Kleine Zeitung, Hans Andrej, 24.03.2014
Quelle: https://www.kleinezeitung.at/steiermark/graz/4139269/Graz_Grosses -Echo- rund-ums-Wartehaeuschen
(4) wie (2), Abs. 3
(5) Ausschnitt aus Interview von Emil Gruber mit Irmfried Windbichler im GAT vom 09.04.2014, Es fehkt die kritische Masse (s. Artikel unten)
(6) E-Mail von Irmfried Windbichler an den Autor vom 31.03.2020

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