04/06/2013

Studierende: Verena Müller, Melinda Temesi, Nino Bijelic, Adil Krasniqi, Martin Kukuvec, Stefan Schöttl, Bernhard Schabbauer.
BetreuerInnen: Simone Hain, Manfred Omahna, Oliver Jungwirth.

04/06/2013

Heartzmi Workshop: Arbeitsmodell

©: Nino Bijelic

Heartzmi Diagramm: Kommunikations- und Netzwerk

Heartzmi Stammtisch

©: Melinda Temesi

Thrust at 4 Grand: Weihnachtsfeier 2010

©: Melinda Temesi

Heartzmi Workshop _ Die Jugendgruppe legt den Baubeginn für den Umbau des Proberaums fest

©: Nino Bijelic

Die Eisenerzer MusikerInnen vor dem, von ihnen ausgewählten Proberaum

©: Nino Bijelic

Unsere (Heartzmi) Antwort auf die Anschuldigungen

Ein partizipatives Jugendprojekt der TU Graz in Eisenerz, von dem nicht viel übrig geblieben ist.

Im Wintersemester 2010/2011 fand über das Institut für Stadt- und Baugeschichte der TU Graz eine Masterprojektübung unter dem Titel Jugend(t)räume statt. Dies war die zweite Masterlehrveranstaltung in Eisenerz und sollte sich in einem transdisziplinären Rahmen zwischen Architektur und Kulturanthropologie der Erforschung der Jugendmilieus in Eisenerz widmen. Bereits in der Vorgängerlehrveranstaltung im Sommersemester 2009/2010 entdeckten die Studierenden, dass sich keine einzige von über 70 Studien mit der Jugend in Eisenerz auseinandersetzt.
Unter der Begleitung des Architekten und Kulturanthropologen Manfred Omahna fand zu Beginn der Lehrveranstaltung eine Exkursion nach Eisenerz statt, wo wir, eine Gruppe von Studierenden, mittels teilnehmender Beobachtung der Feldforschung für Architekten die sozialen Funktionsmechanismen erfassen sollten. Die Aufgabe der Architektur war es, die Beziehung zwischen sozialer sowie räumlicher Ebene und die daraus resultierenden Konsequenzen zu verstehen.
Wir agierten nach den Prinzipien der Bottom-up-Methode und des Null-Euro-Urbanismus. So kamen wir durch unsere Anwesenheit und Teilhabe an gesellschaftlichen Veranstaltungen in Kontakt mit lokalen Akteuren. Während unseres Aufenthalts lernten wir die Band Thrust at 4 Grand aus Eisenerz kennen, die schon längere Zeit auf der Suche nach einem Proberaum gewesen war. Sie wurde für uns in weiterer Folge ein wichtiger Kontakt.
Weiteres unterhielten wir uns mit dem Pfarrer, Angestellten der Gemeinde, den SchülerInnen des BORG sowie mit Jugendlichen, die wir außerhalb der Schule trafen. Dabei stellten wir vielerorts resignative Tendenzen fest. 

Es verdeutlichten sich eine tiefe Sehnsucht der Jugendlichen nach Leben und Zugehörigkeit, ein Konflikt zwischen der älteren und jüngeren Generation sowie allgemeines Misstrauen in die Gemeinde.
Ersteres zeigte sich an der Tatsache, dass das Fehlen von Zugehörigkeitssymbolen einer kapitalisierten Welt (Shopping Center, Kino, Fast-Food-Ketten; lt. Meinungserhebungen der Jugendlichen) für den Großteil der Jugendlichen ein Problem darstellt. Den Generationenkonflikt interpretierten wir aus einem Defizit von Vertrauen und aberkannter Mündigkeit der Jugend. Das Misstrauen der Gemeinde gegenüber ist Resultat der mangelhaften und strategielosen Jugendarbeit. Selbst der Jugendbeauftragte der Gemeinde konnte uns keine klaren zukünftigen Strategien bei der Jugendarbeit nennen.

Nach einem internen Ideenwettbewerb entschieden wir, gemeinsam nach Eisenerz zurückzukehren, um die Jugendlichen dabei zu begleiten, einen Proberaum zu finden und diesen für sich einzurichten. Diesem, auf Grundlage unserer Beobachtungen entwickelten Vorhaben gaben wir den Titel heartzmi. Der Titel beschreibt das Bestreben der Jugendlichen, sich auszudrücken bzw. gehört und akzeptiert zu werden. Die Qualität dieser Idee ist vor allem in dem Potential begründet, allen Eisenerzer Jugendlichen einen Ort anzubieten, wo sich Musik, Malerei und Design begegnen können.

Die Plattform hatte folgende Ziele:
•    Empowerment: Selbstermächtigung der Jugendlichen im sozialen und gesellschaftlichen Prozess
•    Aneignung des Lebensraums durch Eigeninitiative und Engagement
•    Stärkung der Gruppendynamik und des Zugehörigkeitsgefühls
•    Emanzipation und Herausbildung eines Mündigkeitsgefühls
•    Entfaltung von Verantwortungsbewusstsein und Organisationsfähigkeit durch Autonomie
•    Entwicklung eines reflexiven Urteilsvermögens über die Situation in Eisenerz
•    Identifikation mit Eisenerz im strukturellen Wandlungsprozess
Es sollte ein Platz für alle gefunden werden, der autonom organisiert und geführt wird und der IHNEN gehören muss.

Neben der Band schlossen sich bald auch andere Jugendliche unserem Team an. Es bildete sich eine Kerngruppe von etwa 15 Jugendlichen, mit denen wir uns immer donnerstags bei den heartzmi-Stammtischen in Eisenerz über „Gott und die Welt“ unterhielten und an der Organisation arbeiteten. Im BORG präsentierten in einem Vortrag unser Nutzungskonzept der Gemeinde, der Gemeinnützigen Industrie-Wohnungs-AG (GIWOG), dem Verein Wir für Uns, der regionalen Schmankerlstube Erzhoamat sowie der Pfarre und den Schulen.
Von der GIWOG bekamen wir das Fisikatenhaus im Zentrum der Altstadt als Unterkunft zur Verfügung gestellt. 

Leute, die an unserem Studio vorbeigingen, leisteten uns Zuspruch. Sie mochten unsere Herangehensweise, unser Engagement und vor allem unsere Anwesenheit, die Teil des Bottom-up-Konzepts war. Als heartzmi immer mehr Form annahm, wurden erste Risse in der gesellschaftlichen Unterstützung spürbar und es bildeten sich bürokratische Hindernisse, die vermeidbar gewesen wären. Gemeinde und der Zuständige der GIWOG beglichen zu unseren Lasten alte Rechnungen.

Endgültig brach die Unterstützung zusammen, als wir nach einem Kreativworkshop mit den Jugendlichen schon alle konkreten Vorbereitungen für einen Umbau des Proberaums fixiert hatten und der Baubeginn eine Woche später öffentlich gemacht wurde. Plötzlich rollte uns eine Welle der Ablehnung entgegen und wir mussten das Vorhaben abbrechen. Man warf uns Vandalismus und mangelnde Professionalität vor. Die Jugendlichen wurden öffentlich beschimpft und an den Pranger gestellt. Irgendwann käme man in ein Alter, wo man für die Jugend keine Nerven mehr hätte, hieß es bei einer öffentlichen Veranstaltung.

 Es wurde immer schwieriger. Viele Jugendliche verloren Mut und Hoffnung und kamen nicht mehr zu den Stammtischen. Unser Terminplan löste sich buchstäblich in der Luft auf, Termine wurden hinausgezögert. Die zuvor aufgebaute Dynamik und Energie ging wieder verloren. Man hatte uns deutlich signalisiert, dass wir nicht willkommen waren.

Das Projekt ist deshalb aber weder als erfolgreich noch als gescheitert zu beurteilen. heartzmi kann man als Abbild für die Bewältigung eines Wandlungsprozesses, der in komplexen Zusammenhängen mit dem Leben der Menschen steht, sehen. Die oberste Prämisse sollte es sein, nicht zu resignieren, sondern die Qualitäten der neuen Lage zu erkennen und das Leben trotz schwieriger Umstände lebenswert zu machen.
In Eisenerz ist zu beobachten, dass der Schrumpfungsprozess zwar schon vor über 40 Jahren begonnen hat, es aber immer noch weder Reflexionsprozesse, noch intellektuelles Verständnis, geschweige denn eine Strategie gibt, mit der Situation umzugehen. 

Denn die Folgen sind vielschichtig. Die massive Abwanderung, verursacht  durch den Strukturwandel, hat einen Zusammenbruch der herkömmlichen sozioökonomischen Logik bewirkt. Geldwerte können somit nicht mehr nach marktüblichen Kriterien beurteilt werden, sondern werden zwangsläufig neu definiert. Diese neue Werteskala beruht beispielsweise auf kulturellen, historischen, sozialen oder emotionalen Faktoren. Eine der Herausforderungen ist, dies auch anzuerkennen.
Man hatte in bestimmten Positionen nie daran geglaubt, dass wir unser angekündigtes Vorhaben tatsächlich umsetzen würden. Das lässt sich zu einem Großteil auch darauf zurückführen, dass wir ohne finanzielle Mittel auskommen (Null-Euro-Urbanismus) und den oben geschilderten Paradigmenwechsel beispielhaft vorführen wollten: aus den vorhandenen Materialien und mit den kreativen Potentialen der Jugendlichen einen neue Identität aufzubauen.

Wir haben gelernt, dass Eisenerz noch nicht bereit ist, den Tatsachen ins Auge zu sehen und den irreversiblen Schrumpfungsprozess zu akzeptieren, um sich einer neu ausgerichteten Zukunft zu widmen. Mittlerweile ist, nach langem Hin und Her, heartzmi als Untersektion in den Jugendverein Frixx integriert. Von der eigentlichen heartzmi-Idee ist dabei nicht viel übrig geblieben, aber immerhin gibt es jetzt einen Proberaum. Die Fremden sind auch weg und nach ein paar aufgewirbelten Staubflocken nimmt das Leben in Eisenerz allmählich wieder seinen üblichen Lauf.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+