22/05/2017

Im Wartezimmer der Denkmalpflege

Lukas Vejnik zum geplanten Teilabriss des Kulturzentrums Mattersburg, einem wichtigen Vertreter des Brutalismus in Österreich.

Lesen Sie dazu auch den zur mangelnden Transparenz beim KUZ- Wettbewerbsverfahren verfassten Artikel von Maik Novotny im
Falter, s. Link unten.

22/05/2017

KUZ Mattersburg, 1972 – 1976

Architektur: Herwig Udo Graf©: Lukas Vejnik
©: Lukas Vejnik

"Wer lässt sich gerne verarzten?" Mit dieser Frage starteten die Kabarettisten Peter und Tekal ihre Abendvorstellung im Kulturzentrum Eisenstadt am 16. Oktober 2014. Auf dem Programm standen im Wartezimmer gestrandete Patienten und tagelanges Warten auf Termine, Befunde und den erlösenden Satz: "Der Nächste bitte!". Eigentlich hätte die Veranstaltung im Kulturzentrum Mattersburg stattfinden sollen, dieses war jedoch kurz zuvor bis auf Weiteres geschlossen worden und ist seither selbst in Warteposition.

Seit September 2014 ist Spielpause im Kulturzentrum Mattersburg (KUZ), einem seltenen Beispiel brutalistischer Architektur in Österreich. Die Webseite der burgenländischen Kulturzentren berichtet kurz darauf von einer Neuerrichtung und "umfangreichen bauvorbereitenden Maßnahmen". Bald kursieren die ersten Abrisspläne. Da das markante Gebäude in der Bevölkerung durchaus Sympathie hervorruft, bildet sich eine lokale BürgerInneninitiative. Die Gruppe rund um den Kunstgeschichte‐Studenten Johann Gallis fordert zurzeit in einer parlamentarischen Petition eine artgerechte Erhaltung des Betonrohlings (s. Artikel unten).

Die fünf burgenländischen Kulturzentren sind das Produkt eines ambitionierten kulturpolitischen Projekts der frühen 1970er Jahre. Treibende Kräfte dahinter waren Fred Sinowatz als Bundesminister für Unterricht und Kunst sowie Gerald Mader, damaliger Kulturlandesrat im Burgenland. Mit gezielten baulichen Maßnahmen sollte das Stadt-Land-Kulturgefälle abgebaut werden. 
In Mattersburg wird der Entwurf von Herwig Udo Graf realisiert. Die feierliche Eröffnung findet 1976 statt. Der Komplex umfasst neben dem Kulturzentrum mit eingeschriebenem Literaturhaus eine Schule mit Sporthalle. Das Ergebnis: Viel roher Beton und ein Hauch von Mahagoni. Das Ensemble, zusammengesetzt aus drei Baukörpern, folgt der Topographie und legt sich, auf halbem Weg zwischen Bahnhof und Pappelstadion, in den Hang. Von unten kommend überquert man zunächst eine Fußgängerbrücke, die über die Wulka führt. Eine großzügige Treppenanlage leitet die Besucher zu den Eingängen von Kulturzentrum und Schule. Innen ist Raum für Seminare, Veranstaltungen und das gemütliche Plauscherl am offenen Kamin.

In den vergangenen vier Jahrzehnten gab es immer wieder Verarztungsversuche. Die heutige Mittelschule bekam einen Gips aus Styroporplatten, das KUZ eine Wellblechplombe in Kunstbox‐Form und die außenliegende Treppenanlage wurde einem Asphaltlifting unterzogen. Das Kehren der Stufen wäre laut Betreiber zu aufwändig gewesen, so Johann Gallis, der sich seit 2014 für den Erhalt des KUZ einsetzt. Gemeinsam drehen wir eine Runde um den Bau. Zwei Skater üben am Fuß der Arena Kickflips und Ollis. Die geschwungenen Pflanztröge und Sitzstufen im Außenbereich laden ein zum Slide. Bald sollen die skulpturalen Elemente weichen. Das Bundesdenkmalamt hat bisher den expressiveren Teil der Außenfassade unter Schutz gestellt, nicht aber den Kern des Gebäudes. Eine Degradierung des Bestandes zu einem Potemkinschen Dorf, kritisiert Gallis. In der parlamentarischen Petition wird von der Initiative eine Gesamterhaltung in Verbindung mit einer adäquaten Sanierung dieses wichtigen Vertreters des Brutalismus in Österreich gefordert. Mangelnde Transparenz zog sich zudem durch das Wettbewerbsverfahren. Ein Gutachten, das die Denkmalwürdigkeit der Struktur bewertet, wird unter Verschluss gehalten, so Gallis.

Fakt ist: Der Brutalismus ist dieser Tage wieder in aller Munde. Das Deutsche Architekturmuseum (DAM) bereitet sich gerade auf eine umfangreiche Brutalismus‐Ausstellung, die im Oktober 2017 startet, vor. Unter # SOS BRUTALISM arbeitet das DAM an einer roten Liste, in die das KUZ umgehend aufgenommen wurde (s. Link rechts).
Die Kuratorinnen der kommenden Architekturbiennale in Venedig 2018, Yvonne Farrell und Shelley McNamara, haben 2016 den RIBA International Price für ihr jüngstes Projekt in Lima erhalten – ein Universitätscampus als ausschweifende begehbare Betonskulptur. Ergo: Die Erhaltung von Gebäuden wie dem KUZ könnte mit Blick in die nicht allzu ferne Zukunft einen internationalen kulturellen Mehrwert schaffen.
Reyner Banham stellte Ende der 1960er Jahre in seinem Buch The New Brutalism die Frage, ob der Brutalismus aus ethischem oder ästhetischem Bewusstsein entstanden ist.
In Friedrich Achleitners österreichischem Architekturführer wird dem KUZ das Liebäugeln mit letzterem attestiert. Es sei schade, so Achleitner, dass man hier auf die Potenz der neueren österreichischen Architektur verzichtet und sich für eine Nachahmung des Sichtbeton‐Brutalismus der frühen sechziger Jahre entschieden habe. Im politischen Kontext der Zeit ist dieser Befund durchaus nachvollziehbar. Für Johann Gallis bringt dieser Absatz jedoch Probleme mit sich. Immer wieder werde der kurze Textabschnitt, der ohne Foto im Architekurführer daherkommt, als Argument gegen den Erhalt verwendet.

Was könnte gegen die Abbruchstimmung im Betonburgenland helfen? Dass sich möglichst viele UnterstützerInnen für die parlamentarische Online Petition finden, meint Gallis. Es ist die letzte Chance neben der Fassade auch die Innenräume des KUZ zu erhalten. Bis auf Weiteres sitzt es wie ein Patient ohne Krankenversicherung im Wartezimmer und hofft auf einen Befund sowie eine ordentliche Verarztung. Denn Amputationen, das ist bekannt, können noch Jahre nach der Abtrennung des betroffenen Körperteils Phantomschmerzen verursachen.

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