24/09/2020

Kalter Krieg und Architektur – Das Buch

Zur Ergänzung der gleichnamigen Ausstellung im Az W, empfohlen von Emil Gruber.

24/09/2020

Kalter Krieg und Architektur, Cover

©: park books

DER AUFBAU, Nr. 1/2, 1947, Cover, 'Plan von Stevenage'

©: Az W Architekturzentrum Wien

Französische Informationsschrift: Cover, La zone d'occupation française en Autriche, Innsbruck 1947

©: Az W Architekturzentrum Wien

DIE BRÜCKE, November 1951, Cover, 'Der Sozialismus ist verwirklicht.'

©: Az W Architekturzentrum Wien

Der Vereinfacher: aus DIE BRÜCKE, 6, 1956. „Vereinfachungs- und Verbilligungsaggregat, der lang erwartete umwälzende Arbeitsbehelf für die Planungsbüros der Architekten – Eine Anspielung auf die Neuausrichtung der russischen Architektur

©: park books

Ferdinand Kitt, Paula-Preradović: Haus in Alpbach, 1951.

©: Az W Architekturzentrum Wien

Der Aufteilung Österreichs in vier Zonen durch die Alliierten nach Kriegsende folgte (wie in Deutschland) rasch eine ideologische Auseinandersetzung über die Form der neuen gesellschaftlichen Ordnung. Im folgenden Kalten Krieg bündelten sich die westlichen Kräfte im Wettstreit gegen sowjetische Vorstellungen. Das Leben in Nachkriegsösterreich verlief je nach Zone unterschiedlich. Welche Auswirkungen diese Einflüsse und Auseinandersetzungen geo- und gesellschaftspolitisch sowie kulturell für die Zeit nach 1955 hatten, dazu gibt es reichlich Dokumentationen und Publikationen. Völlig außer Acht gelassen wurde bisher die Bedeutung der unterschiedlichen Positionen der vier Mächte für die Architektur der Besatzungszeit.
Mit der informationsgewaltigen Ausstellung Kalter Krieg und Architektur im Architekturzentrum Wien stellte sich die Leiterin der Sammlung und Kuratorin im Az W, Monika Platzer, dieser Thematik. Für alle, die mehr über einen weißen Fleck in der Kulturgeschichte nach 1945 erfahren wollen, aber es nicht in die Ausstellung schafften, gibt es mit dem gleichnamigen Buch zur Ausstellung eine ebenbürtige zweite Chance.
In den vier zentralen Kapiteln – Großbritanniens Beitrag zum sozialen Aufbau, Frankreichs Beitrag zum Aufbau einer Elite, Der Beitrag der USA zu einem „besseren Leben“ und Der „freundschaftliche“ und „friedfertige“ Beitrag der Sowjetunion – wird auf die Ausrichtung inklusive Erwartungshaltung der vier Siegermächte, begleitet von umfangreichem Bildmaterial, eingegangen.
Großbritannien brachte mit London – Bild einer Weltstadt und England im Aufbau schon 1947 zwei gut besuchte Ausstellungen nach Wien. In DER AUFBAU, dem einflussreichsten österreichischen Architekturperiodikum dieser Zeit, wurden städtebauliche Lösungen wie „New Towns“ oder „Greater London Plan“ vorgestellt. Für die Wiener Stadtbaudirektion waren darin enthaltene Überlegungen wie Gartenstadt oder Nachbarschaft Inspirationshilfen bei der eigenen Neugestaltung. Nicht zu vergessen, das Konzept des Wohlfahrtstaats, das Großbritannien als eines der ersten europäischen Nachkriegsländer verwirklichte. Das gab sowohl Stadtregierung wie auch der Architektur die Chance, Ansätze aus der NS-Zeit weiter zu verfolgen ohne ideologisch angreifbar zu werden.
Ganz anders wurde Frankreich wahrgenommen. Papst oder Antichrist titelte Die Wochen-Presse am 6.4.1957 über Le Corbusier. Seine Idee zur vertikalen Stadt, die zuerst in Innsbruck und danach in Wien gezeigt wurde, polarisierte. Der Vorwurf an die französische Architektur lautete, weniger am konkret notwendigen sozialen Wohnbau Interesse zu haben. Vielmehr verliere man sich in Utopien, Monumentalismus und unrealisierbaren Vorstellungen zur „idealen“ Stadt. Trotzdem (oder darum) zog es eine Reihe junger österreichischer Architekten nach Paris.
Die USA hatte in Wien, wie in vielen anderen Ländern, ein Büro für Foreign Building Operations (FBO), das für den Bau von Botschaften, Konsulaten und Truppenunterkünften verantwortlich war. Es brachte technisches Know-how, wie im Werk vorgefertigte Betonelemente. Objekte konnten schneller fertiggestellt werden. Das wirkte sich besonders auf die Industrie- und Unternehmensbauten der 1950er aus. Amerikanische Hotelketten expandierten nach Wien. Der Marshallplan investierte stark in den Aufbau des Fremdenverkehrs. Der „American Way of Life“ wurde mit Ausstellungen und Schulungen, finanziert durch das ERP (European Recovery Program) – die korrekte Bezeichnung des Marshallplans – bis in die Familie getragen. Natürlich war das Hauptinteresse der USA, jeder Einflussnahme der Sowjetunion auf die österreichische Zivilbevölkerung entgegenzusteuern.
Der Sowjetunion gelang nur im Herbst 1945 ein großer Aufmerksamkeits-Coup: mit einer Spende von zwei Millionen Schilling und einer Großlieferung von Baumaterial für den Wiederaufbau der Wiener Staatsoper. Die Oper wurde aber erst 1955 wiedereröffnet und in der Zwischenzeit war die KPÖ nur mehr im niedrigen Einprozent-Bereich in der Politlandschaft vorhanden. Die Maßnahme verpuffte. Versuche, mittels bekennenden österreichischen kommunistischen Architektinnen und Architekten, eine Ost-West-Achse zu errichten gelang nicht wirklich. Als Zeitzeugen von damals blieben gerade einmal das Globus Verlagsgebäude und das „Befreiungsdenkmal“ über.
Ein weiterer Spezialabschnitt des Buches – Netzwerke der Moderne – widmet sich den Internationalen Hochschulwochen in Alpach, also den Anfängen des heutigen Forums. Ab Ende der 1940er wurde in Arbeitskreisen intensiv über Architektur diskutiert. Sigfried Giedion, Clemens Holzmeister, Max Bill, Walter Zeischegg oder der Grazer Karl Raimund Lorenz waren unter den Referenten.
1951 erfolgte der Spatenstich des Paula-Preradovic Hauses, finanziert  aus Mitteln des ERP. Ferdinand Kitt gewann die Ausschreibung für das 1958 fertiggestellte neue Tagungsgebäude.
Ebenfalls wird im Netzwerk-Abschnitt an die CIAM Austria erinnert. Margarete Schütte-Lihotzky reaktivierte 1947 die österreichische Landesgruppe der „Congrès Internationaux d’Architecture Moderne“ (CIAM). 1928 von Le Corbusier und Sigfried Giedion gegründet, wurde im großen Kreis bis 1958 quer durch Westeuropa regelmäßig über die Aufgabe der Architektur und der Stadtplanung debattiert.

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Monka Platzer
Kalter Krieg und Architektur
Beiträge zur Demokratisierung Österreichs nach 1945
Vorwort von Angelika Fitz
Herausgegeben vom Architekturzentrum Wien
344 Seiten, 193 farbige und 118 sw. Abbildungen
20 x 27 cm; Park Books, 2019
ISBN 978-3-03860-168-5344

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