28/02/2014

El Lissitzky – Ilya und
Emilia Kabakov.

Utopie und Realität

Die Ausstellung im Kunsthaus Graz ist bis zum 11. Mai 2014 zu sehen

28/02/2014

Ilya & Emilia Kabakov: The Fallen Angel, 1997. In der Ausstellung El Lissitzky – Ilya und Emilia Kabakov im Kunsthaus Graz

©: Ilya & Emilia Kabakov
©: Ilya & Emilia Kabakov

Ilya & Emilia Kabakov: Listening (in the Room), 2001

©: Ilya & Emilia Kabakov

El Lissitzky: Einrichtungsprojekt für die F-Type einer Wohnzelle, 1927 (Kollektivhaus des Architekten M. Ginzburg), Foto des Modells, Scan aus dem Katalog

©: Staatliche Sammlung Tretyakov-Galerie, Moskau

El Lissitzky: Lenin-Tribüne, 1927 (Modellrekonstruktion)

©: Universalmuseum Joanneum

Vergleichbar der Methode Arno Schmidts könnte man einen Artikel zu dieser Ausstellung in zwei parallelen Kolumnen mit inhaltlichen Querverbindungen verfassen. Solchem – hier nur als Vergleich zu denkendem – Versuch entspricht die formale Anlage der Schau im Kunsthaus Graz, in der Ilya und Emilia Kabakov ihrem Landsmann El Lissitzky – aus zeitlicher Distanz – die Entwicklungen infolge sozialistischer Utopie (mittels Kunst) als Scheitern des realen Sozialismus (mittels Kunst) entgegenhalten.

Aufstieg und Niedergang, oppositionelle politische Haltungen und ihre künstlerische Interpretation sind deutlich symbolisiert in der durchlässigen Achse der beiden Abteilungen Lissitzkys gegenüber jener der Kabakovs: El Lissitzkys Roter Stern, 1927 entworfen für den sowjetischen Pavillon der Internationalen Presseausstellung 1928 in Köln („… Proletarier aller Länder, vereinigt Euch …“), scheint Ilya und Emilia Kabakovs Gefallener Engel (1997) gezeitigt zu haben. Die treffend „übermenschlich“ große Plastik eines geflügelten Wesens passt durchaus auch zu der dem Sturz vorangegangenen Hybris im Mythos von Ikarus.

Die einen Zeitraum von etwa 100 Jahren verhandelnde Gegenüberstellung zweier (mit Emilia sind es eigentlich drei) russischer Künstler wurde vom niederländischen Van Abbemuseum übernommen und von Ilya und Emilia Kabakov für das Kunsthaus Graz adaptiert, nachdem sie im Vorjahr in Eindhoven (NL), in der St. Petersburger Eremitage und im Multimedia Art Museum in Moskau zu sehen war. In jeweils sechs Kapiteln ist somit ein begehbares Zwiegespräch angelegt, das im Grunde von Aufstieg und Fall der Sowjetunion, von Konstruktion und kritischer Gegenposition eines gesellschaftlichen, also politischen Systems handelt.

Ilya Kabakov absolvierte in Moskau eine Ausbildung zum Illustrator und bebilderte in der Folge zahlreiche Kinderbücher. Währenddessen setzte er sich aber auch mit westlicher Kunst auseinander. Heute gilt er als einer der bedeutendsten Vertreter des „Moskauer Konzeptualismus“. Schon 1987 verbrachte Ilya Kabakov während eines Arbeitsstipendiums des Grazer Kunstvereins sechs Monate in Graz, seit 1988 leben er und Emilia in Long Island. Mit der Installation Der rote Pavillion (Konzept und Entwürfe in der rezenten Ausstellung) vertraten sie 1993 Russland auf der 45. Biennale in Venedig.

Der erwidernde Dialog zwischen dem Konstruktivisten Lissitzky – Architekt, Zeichner, Maler, Typograf, Buchkünstler – und den Konzeptualisten Kabakov – Ilya: Illustrator, Maler, Bildhauer, Buchkünstler – erfolgt nun etwa in den Kapiteln Sieg über den Alltag versus Der Alltag siegt. Lissitzkys auf Minimalbedarf ausgerichtete Innengestaltung für ein Kollektivhaus seines Kollegen Moisei Ginzburg (es dürfte sich um den Narkomfin-Block von Ginzburg und Ingnatij Milinis in Moskau handeln, errichtet zwischen 1928 und 1932) halten die Kabakovs in Installationen die Erfahrung verordneten gemeinschaftlichen Lebens in der Kommunalka entgegen. „Zentraler Ort war die Küche, die von allen benutzt, beschmutzt und ungern aufgeräumt wurde. Alles gehörte allen und niemandem.“ Die Gemeinschaftsküche war damit auch der Ort der Fliege(n), die in Kabakovs Werk sinnbildlich immer wieder auftaucht und auf die Omnipräsenz des politischen Regimes verweist.

Projekte zur Bejahung neuer Formen in der Kunst, PROUN, nannte Lissitzky seine Arbeiten, die, folgend dem Suprematismus Malewitschs und ausgehend von der zweidimensionalen Zeichnung, immer wieder die Tendenz in den Raum thematisieren. Lissitzkys Bilder gleichen damit durchwegs einer Vogelschau auf die Stadt, die schließlich auch in den Entwurf des Wolkenbügels (1925) münden, einer quasi sozialistischen Antwort auf kapitalistische Idee amerikanischer Wolkenkratzer. In der Rekonstruktion des Prounenraums zudem werden die Bilder begehbar.

Eine neue Gesellschaft, der Neue Mensch, verlangten nach Ansicht Kasimir Malewitschs auch nach einer neuen Kunst. Eine Idee bzw. Entwicklung, der auch El Lissitzky folgte, was sich im Versuch, einen neuen „kollektiven Stil“ zu entwerfen, äußerte. Dass der „Nullpunkt der Kunst“ damit in Richtung Gleichschaltung wies, wurde als Gefahr offenbar nicht wahrgenommen. 1924, nach dem Tod Lenins, entwarf Lissitzky mit Studenten ein Monument für einen Führer; eine formal reduzierte, multifunktionale Rednertribüne, von der aus – hoch über den Straßen – die Neue Ökonomische Politik propagiert werden und der Person Lenins gehuldigt werden sollte. Darauf reagieren Ilya und Emilia Kabakov 2005 mit ihrem Monument für einen Tyrannen: Ein, seiner Haltung nach Untoter (sichtlich ist es Stalin), ist offenbar gerade von seinem Sockel gestiegen und will auf Passanten zugehen. Die allerdings ergreifen die Flucht.

Eine gleichermaßen ironische wie sarkastische Installation aus dem Jahr 1985 changiert allerdings zwischen den sowjetischen – vielleicht Urbild zu nennenden – Programmen, in den Kosmos vorzudringen und dem Freiheitsdrang des Individuums. Der Mann, der aus seinem Zimmer in den Kosmos flog zeigt einen mit Propagandaplakaten austapezierten Raum. Über einem bemerkenswert schlichten Katapult ist ein Loch in die Decke gerissen. Zeichnungen erklären die zuvor erwartete Flugbahn, ein Text erzählt die fiktive Geschichte eines Nichtkonformen. – The dissident has left the building!

El Lissitzky – Ilya und Emilia Kabakov. Utopie und Realität ist im Kunsthaus Graz bis zum 11. Mai 2014 zu sehen.

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