12/05/2014

Andreas Ledl:
Bauprojektmanagement mit Fokussierung auf Bestandsbauten und Denkmalschutz, Leiter der Technischen Organisation in der Präsidialabteilung der Stadt Graz; derzeit Dissertation zum Thema Verfahrensanweisung für Instandsetzung und Instandhaltung im Kontext der Gemeindefusionen in der Steiermark

Sigrid Verhovsek:
Studium der Architektur und der Soziologie/Stadtforschung; Dissertation zum Thema "Stadt: Relation(en) von Architektur und Politik am Schauplatz Graz"; Forschung als Univ. Assistentin am i_w (Institut für Wohnbau der TU Graz) zu verschiedenen Aspekten der Siedlungsentwicklung sowie zu Herstellung und Unterhalt von leistbarem Wohnraum

12/05/2014

TURN TO STONE. Umbau Chemie-Institut der TU Graz, Karl Raimund Lorenz, 1954 - 1961

©: Sigrid Verhovsek

STRANGE MAGIC. Umbau Chemie-Institut der TU Graz, Karl Raimund Lorenz, 1954 - 1961

©: Sigrid Verhovsek

SUSPENDED IN TIME. Umbau Chemie-Institut der TU Graz, Karl Raimund Lorenz, 1954 - 1961

©: Sigrid Verhovsek

LOOK AT ME NOW. Umbau Chemie-Institut der TU Graz, Karl Raimund Lorenz, 1954 - 1961

©: Sigrid Verhovsek

CONFUSION. Umbau Chemie-Institut der TU Graz, Karl Raimund Lorenz, 1954 - 1961

©: Sigrid Verhovsek

OUT OF THE BLUE. Umbau ehemaliges Studentenheim Hafnerriegel, 1961 - 1964

©: Sigrid Verhovsek

ABOVE THE CLOUDS. Umbau ehemaliges Studentenheim Hafnerriegel, 1961 - 1964

©: Sigrid Verhovsek

TIGHTROPE. Umbau ehemaliges Studentenheim Hafnerriegel, 1961 - 1964

©: Sigrid Verhovsek

SECRET MESSAGES. Umbau ehemaliges Studentenheim Hafnerriegel, 1961 - 1964

©: Sigrid Verhovsek

Sigrid Verhovsek im Gespräch mit Andreas Ledl zum Thema Umgang mit Bausubstanz der Nachkriegsmoderne, begleitet von einigen überraschend aktuellen "Unzeitgemäßen Betrachtungen"...

"...es gibt einen Grad von Schlaflosigkeit,
von Wiederkäuen, von historischem Sinne,
bei dem das Lebendige zu
Schaden kommt
und zuletzt zugrunde geht,
sei es nun ein Mensch oder ein Volk oder eine Kultur.“
(1)


"Was hätte man mit 2 Milliarden Dollar alles machen können?“
, wird die Sanierung des UN-headquarters in NY, in die Jahre gekommene Ikone der Moderne, hinterfragt. Wenn nicht gerade das „Sekretariatsgebäude“, die Beamtenburg sozusagen, zufällig zugleich das repräsentative BILD der UNO wäre, seine baukulturelle Bedeutung hätte es wohl kaum vor einem Abbruch gerettet. Das ehrgeizige Ziel, Nachhaltigkeit, Denkmalpflege und Sicherheit im Zuge der Modernisierung miteinander zu verknüpfen, zeigt sich in Details wie dem Austausch der ehemals undichten Fenster, die sich nun zwecks Explosionsschutz nicht mehr öffnen lassen und so gleichzeitig die Klimaanlage entlasten, oder in stromsparenden Bewegungsmeldern, die gnädig das Licht ausschalten, wenn die Mitarbeiter auf der Tastatur in den Mittagsschlaf versinken.

Gerade bei Gebäuden der Nachkriegsmoderne (grob datiert mit 1945 - 1975) besteht durch die oftmals mangelhafte und in die Jahre gekommene Bausubstanz des „Wiederaufbaus“, und die experimentelle Verwendung neuer Baustoffe und Konstruktionen großer Sanierungsbedarf. Der im derzeitigen Trend „weg vom Neubau, hin zur Bauen im Bestand“ immer auffälliger werdende Instandhaltungsrückstau verschlimmert sich zudem durch die Ratlosigkeit ob des Vorhandenseins diverser Zu- An- und Einbauten, den im Alltag entstandenen Schichtungen, den Überlagerungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Während bei Bauten der Moderne langsam –auch hier meist zu spät – ein gewisses Bewusstsein über deren baukulturelle Bedeutung wächst, scheint der Umgang mit der Nachkriegsmoderne besonders schwierig, weil emotional behaftet. Diese Emotionalität erwächst nicht nur aus einem längerfristigen, tatsächlich historischen Zusammenhang (siehe Negativbeispiel Sanatorium Purkersdorf - Betrieb 1975 eingestellt und 20 Jahre dem Verfall preisgegeben), oder aus der Bedeutung des Standorts (Stichwort: ORF-Zentrum Küniglberg), sondern aus der geringen zeitlichen Betrachtungsdistanz, die das Bild des Gebäudes mit persönlichen Empfindungen verbindet:

"Das Kleine, das Beschränkte, das Morsche und Veraltete
erhält seine eigne Würde und Unantastbarkeit
dadurch,
dass die bewahrende und verehrende Seele des
antiquarischen Menschen in diese Dinge übersiedelt
und sich darin ein heimisches Nest bereitet.
Die Geschichte seiner Stadt wird ihm zur Geschichte seiner selbst…“
(2)

So ist am Beispiel beim ehemaligen Studentenheim Hafnerriegel der Abbruch der Fluchttreppe rationell durchaus argumentierbar, aber wieviele Grazer Studierende sind auf dieser Stiege-fest-gesessen?
Die zunehmend immer weniger ambivalenten Debatten, die den Wandel in Richtung Wertschätzung dieser nach- aber noch nicht postmodernen Architekturen spiegeln, gipfeln oftmals in der Forderung nach einer schnellen Unterschutzstellung durch das Denkmalschutzamt.

Aber wäre der Status Denkmal in jedem Fall wünschenswert – vor allem in Hinblick auf eine Modernisierung?

Andreas Ledl: "Beim Denkmal darf man eigentlich gerade mal gar nichts. Gerade soviel, das es nicht zusammenfällt. Strenggenommen auch keine Maßnahmen mit Unterfangungen setzen, das müsste schon eine Notsituation sein, die „moderne“ Mittel erlaubt. Wenn man Stahlbeton reinpumpt in den Keller, beschädigt man es ja schon wieder. Das ist ja die Crux bei dem ganzen. Bei allem was man angreift, wird’s kritisch. Du musst aber zeitweise Einschnitte machen und was angreifen, um zum Beispiel die OIB-Richtlinien für Nutzungssicherheit zu erfüllen.
Das Denkmalamt „reagiert“ mittlerweile zielorientierter, d.h. um eine Weiterverwendung zu gewährleisten, muss man ein paar Eingriffe auf sich nehmen. In einer öffentlichen Diskussion sollte man einmal fragen: Wer von Ihnen hat einen Unfall gehabt, und ein paar Schrauben oder Nägel im Körper? Wer hat ein künstliches Hüftgelenk, ein Kniegelenk? Alle aufstehen, Sie dürfen sich entfernen, Sie sind nicht mehr Original Mensch, Sie dürfen nicht mehr mitreden. Wer ohne Plombe sei, der werfe den ersten Stein gegen den Umbau eines Denkmals.
Bei drohendem Leerstand muss schnell entschieden und rasch gehandelt werden. Nur wenn ich es verwende, kann ich es erhalten. Wenn ein Denkmal nur dasteht und abgesperrt ist, ist das nicht zielführend. Und damit es genutzt wird, muss es geändert und angepasst werden. Dieses Verändern und Anpassen ist die ganze Zeit schon geschehen. Unsere Altvorderen haben immer wieder angepasst und weiterentwickelt. Und genau daraus ergibt sich die Kontinuität: aus dem stetigen Wandel."

Da Gebäude – mit oder ohne Denkmalschutz -  zwangsläufig irgendwann ihre ursprüngliche Funktion verlieren, Technik und Substanz veralten, und die aktuellen Standards nicht mehr erfüllt werden können, sollte möglichst schnell reagiert mit geeigneten Maßnahmen reagiert werden, um Leerstand zu verhindern.

Gibt es für den Begriff Sanierung eine genaue Definition?

Andreas Ledl: "Nein, das ist nirgends wirklich festgelegt. Sanierung kommt explizit nicht vor in den österreichischen technischen Normen, außer einmal als Kanalsanierung und im Städtebau (Stichwort Stadtteilsanierung). Das ist ein Begriff, der einfach verwendet bzw. in einigen Nebensätzen definiert wird. Da gibt es umfassende Sanierung, kleine Sanierung, Teilsanierung, technische Sanierung, energetische Sanierung, thermische Sanierung und schlussendlich hat sich die Firma saniert, weil sie eine Sanierung angeboten und nicht wirklich durchgeführt hat.
Wichtiger, weil genauer, ausdrucksstärker als dieser irgendwie uferloser Terminus der Sanierung sind die Begriffe ERHALTUNG (Instandhaltung und Instandsetzung), und VERÄNDERUNG bzw. Modernisierung als Umbau und/oder Erweiterung, und in Richtung Funktionalität der Begriff der UMNUTZUNG, der in Zukunft immer wichtiger werden wird."

Problematisch für die Bauwerke der Nachkriegsmoderne sind die gestiegenen Anforderungen durch Normen wie die OIB Richtlinie 2 zu Brandschutz, die OIB Richtlinie 4 zu Nutzungssicherheit & Barrierefreiheit, oder die OIB Richtlinie 6 zu Energieeinsparung & Wärmeschutz, die wahrscheinlich die augenfälligsten Probleme aufwirft. Die haptische Sinnlichkeit und Körperlichkeit von Sichtbetonbauten der Nachkriegsmoderne würde bei einer thermischen Umhüllung der Fassade zwangsläufig  verloren gehen; aber der vorherrschende Schluss zwischen Erhöhung der Energieeffizienz = Fassadensanierung ist ohnedies verfrüht. Gerade die Anpassung an die Forderungen der OIB R6 wird oftmals nur mit der thermischen Umhüllung der Fassade in Verbindung gebracht, diese ist aber nur eine von mehreren Möglichkeiten energieeffizienter Architektur.
Der allerwichtigste Faktor für Energieeffizienz ist durch Lage bzw. Standort des Gebäudes gegeben: das Passivhaus auf grüner Wiese ist sowohl durch innere wie äußere Erschließung, fehlende (soziale) Infrastruktur und voranschreitende Zersiedelung und Versiegelung alles andere als nachhaltig.
Ein zweiter, wesentlicher Faktor ist die Entfernung von Giftstoffen (Asbest, PCB) und Kontaminationen. Auch die Reduktion des Energiekonsums innerhalb des Gebäudes (Licht, Heizung, Wasser) spielt eine wesentliche Rolle, auch das Verhalten der Nutzer selbst ist von zentraler Bedeutung. Dann erst sollte man sich Gedanken um die Hülle machen.

Hier sind wiederum Materialwahl (graue Energie!) und konstruktive Details wesentlich:

Andreas Ledl: "Wichtig sind trennbare Materialkonstruktionen, nicht so wie jetzt, wo alles nur geklebt wird, und dass man nicht problemlos wieder trennen kann. Wenn man jetzt Kunststoff raufklebt auf die Mauer, muss man, wenn man irgendwann das Fenster tauschen will, draußen die halbe Fassade runterreißen.
In diesem Sinn geben uns oft 200 Jahre alte Gebäude doch einiges vor und sind einfach besser, schlauer. Eine konstruktive Lösung muss vorausdenken können.
Außerdem ist gerade bei den Dämmsystemen, beim Thema Energieeffizienz, sehr wichtig zu wählen, welches WD-System ich da nehme, ist das tatsächlich zielführend? Rechnet sich das wirklich?
Der Kredit für die Sanierung der Kunststoffdämmung, die mit Garantie auf 20 Jahre hält, ist auf 25 Jahre angelegt, das ist nicht logisch.
Als problematisch erweist sich oftmals auch die Qualität der Ausführung: oft gibt es z.B. Schimmelbildung nach der Herstellung einer „dichten“ Gebäudehülle, weil irgendwo Wärmebrücken existieren."

Welche Faktoren gilt es vor der Entscheidung für eine wie auch immer geartete Maßnahme zu berücksichtigen?

Andreas Ledl: "Zunächst einmal die schon angesprochene emotionelle, im sozialen verhaftete Komponente, also Standort und Geschichte eines Gebäudes.
Dann die Frage: Kann man noch was daraus machen? Wie schaut es mit den Verwendungsmöglichkeiten aus, mit einer möglichen Funktion und/oder Umnutzung.
Damit stehen einige zu beachtende Faktoren in einer sensiblen Balance: Erhaltungswürdigkeit (nicht „voller Denkmalschutz, der die Käseglocke überstülpt“), versus Verwendungsmöglichkeit, Denkmalschutz (als sinnvolle Bewahrung von Baukultur) versus Modernisierung; behindert der Denkmalschutz die Modernisierung, sinkt die Chance auf die Verwendungsmöglichkeit, nicht verwendet (Leerstand) wäre es aber auch nicht erhaltenswürdig. Oder: Extreme Modernisierung zerstört das baukulturelle Denkmal, und somit unter Umständen auch die Erhaltenswürdigkeit. Und zwischen Verwendungsmöglichkeit und Modernisierung eingebettet liegen die Fragen nach Funktion bzw. Umnutzung.
Das sensible Gleichgewicht dieser Faktoren, und dann auch noch die emotionalen und sozialen Faktoren, die ebenfalls in dieses Wechselspiel eingreifen, sowie die Berücksichtigung der Rahmenbedingungen der OIBs, lassen leider kein allgemeines Handlungsrezept nach Schema F oder ein einfaches Bewertungsschema mit +/- zu."

Wo steht die Ökonomie in diesem Spannungsfeld?

Andreas Ledl: "Für einen Ökonomen mag es vernünftig sein, dass er das Gebäude wegreißt und etwas „Gscheites“ baut; der Denkmalschützer sagt, es wär aber gescheit, wenn ich dieses Gebäude als wertvolles Baukulturerbe erhalte – er hat eine andere, differenziertere Sichtweise von Ökonomie.
Wirtschaftliche Abwägungen müssen über kurzfristigen Gewinn hinausschauen, das wäre dann wirklich nachhaltiges Handeln.
Eine Einbeziehung der Komponente der Ökologie, über den Rahmen der bestehenden OIBs hinaus, berücksichtigt dann auch die Raumplanung, die Lagekomponenten: d.h. weniger Zersiedlung, weniger Flächenverbrauch, weniger Versiegelung.
Das alles beschert uns dann einen sechsdimensionalen Christbaum. Aber trotzdem entsteht nur aus diesem transdisziplinären Gesamtpaket die Differenzierung der Maßnahmen im Eingriff, die schlussendlich zu einer Erhaltung einer bestehenden Bausubstanz durch die Weiterverwendung führen kann."

Wie könnte eine  Bewertung eines baukulturell wertvollen Einzelobjekts, eines erhaltenswürdigen Gebäudes, formal ablaufen?

Andreas Ledl: "Zunächst stellt sich sicher die Frage: Brauch ich das Objekt noch für irgendwas? Kann, will oder muss ich damit Geld verdienen? Oder gibt’s eine andere Verwendung dafür, Nutzungsvarianten? Und dann erst mache ich eine Objektaufnahme.
Ab einer gewissen Entscheidungsebene brauche ich diese Informationstiefe – weitere Entscheidungen kann ich nur fällen, wenn ich um die Umnutzungsmöglichkeit weiß, und um die Umnutzungsmöglichkeit bewerten zu können, muss ich das Objekt kennen; das erfordert eine professionelle Objektaufnahme bzw. Zustandsbewertung, auch ein genaues Wissen um die Materialität.
Ein gutes Beispiel wäre das Studentenheim Hafnerriegel: Stiegenturm ja oder nein.
Grundlegende Frage war doch: Steht er noch oder nicht. Statisch ja, aber wie lange? Nach gültigen OIB-Richtlinien geht’s nicht mehr, er darf auf alle Fälle nicht begangen werden. (Ist ein nicht begangener Stiegenturm noch ein Stiegenturm oder bereits reines Kunstobjekt?) und er ist sofort vor weiteren Zerfall zu schützen, das würde jedoch bedeuten, dass ich über das ganze Ding mit Kunststoff drüber geh, damit ist es aber als Denkmal hinfällig."

"...erst durch die Kraft, das Vergangene
zum Leben zu gebrauchen und aus dem
Geschehenen wieder Geschichte zu
machen,
wird der Mensch zum Menschen"
(3)

Was also tun mit Gebäuden zwischen Abbruch und Mumifizierung?

Andreas Ledl: "Man kann kein Gebäude in Frieden und Ruhe sterben lassen. Das geht nicht. Das fällt dann in sich zusammen. Das erschlägt vielleicht jemanden! Das müsste man unter eine Glasglocke stellen, dann ist es aber Kunst. Also modernisieren, abbrechen, Teile verwenden….
Für die Hybris zwischen Denkmalschutz – gar nix angreifen -  oder einer Sanierung, die uns im schlimmsten Fall die Gebäude einfach aushöhlt, und die ursprüngliche Baukultur zerstört, gibt es ein hübsches Beispiel, das Berliner Stadtschloss: Die „Fassadenrekonstruktion“ soll mit dem letzten Stück Balkon, den es noch gibt, aufgewertet werden. Der ist allerdings längst in einem mittlerweile denkmalgeschützten Haus eingebaut, das jetzt allerdings teilweise abgebrochen werden soll, um dieses Stück Balkon wieder in den fake, die Rekonstruktion einzubauen…
Weiterverwenden, modernisieren und verwenden bringt in Summe sicher den größeren Nutzen für den Denkmalschutz; Spekulationsobjekte, die unter Denkmalschutz stehen, werden zu oft dem Verfall anheimgegeben, bis die Abbruchreife bescheinigt wird."


(1) Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen II,Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben 1, 250

(2) Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen II, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben 2, 265

(3) Friedrich Nietzsche, Unzeitgemäße Betrachtungen II, Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben 1, 253

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+