17/01/2010
17/01/2010

Wilhelm Hengstler
ÖKOLOGISCHER FUSSTRITT

„Ich bin auf der Welt“, sagt der Homo sapiens, und das soll man ihr gefälligst auch ansehen. Von Anbeginn an wurden meine Mitexemplare von allem, was da kreucht und fleucht, gefressen: von Tigern, Ichtiosauriern, Anakondas, Bären, Krokodilen usw. Kaum hörte sich das auf, wurde „Zivilisation“ zum Synonym des Rachefeldzuges der Wehrlosen an der gerade noch mörderischen Natur. Ob das Abholzen der mediterranen Zedern für Kriegsschiffe, das Aushöhlen des Silberberges in Potosi, das Durchschneiden der weiten Prärien durch Schienenstränge, ob die Vernichtung der Regenwälder, lecke Öltanker, Megacities oder Monsantes, Verwandlung der Pflanzenvielfalt durch patentierte Monokulturen: der ökologische Fußabdruck war nie ein Thema. Im Gegenteil, es ging eher darum, der Welt sooft wie möglich donnernde Fußtritte zu verpassen. Wobei die Trittfrequenz 500 Jahre lang, die ganze Neuzeit über und zuletzt noch enormer beschleunigt wurde.

Bis zum großen Paradigmenwechsel …

Der Paradigmenwechsel kündigte sich schon um die vorletzte Jahrhundertwende an. Um 1912 wurden z. B. Menschen und Güter in New York hauptsächlich von riesigen Kaltblütlern transportiert. Der Pferdemist verstopfte die Straßen von Big Apple täglich mit tausenden Tonnen. Gewiss, die Seidenschuhe der Damen litten darunter, aber das war es auch schon, Ende der Debatte. Sie flammte Mitte des vorigen Jahrhunderts wieder auf, als die treuesten Freunde des Menschen, unentbehrlich für seine emotionale Festigkeit, überhand nahmen und die Kinderspielplätze vollschissen. So unangenehm dieses übel riechende Braun in geriffelten Schuhsohlen auch sein mag, den Hunden ihre Lebensberechtigung gerade wegen ihrer Lebensfunktionen abzusprechen, erscheint mir doch zu radikal. Ähnlich wie den Rindern der argentinischen Weiten das Methangas vorzurechnen, mit dem sie beim Wiederkäuen nicht unerheblich zur Erderwärmung beitragen.

Sogar der philosophische Sozialignorant Sloterdijk erinnert in diesem Zusammenhang an Richard Buckminster Fuller: den Harvardabbrecher, Marinesoldat, joblos, suizidgefährdet, aber auch genialer Designer, Konstrukteur, Architekt und unorthodoxer Experimentator seines eigenen Lebens, das er sorgfältig dokumentierte. „Bucky“ Fuller, selber ein Mythos der Fünfziger- und Sechzigerjahre, prägte den genialen Mythos vom „Raumschiff Erde“. Da der Menschheit die „Bedienungsanleitung“ für das hochkomplexe „Raumschiff Erde“ fehlte (oder sie diese nicht lesen wollte), sei sie im Begriff, es gegen die kosmische Mauer zu fahren …

Der Mythos bzw. die Metapher stottert, ein Raumschiff kann schließlich nicht hinken. Die Erde hat weder einen WARP-Antrieb noch lässt sie sich wie die „Enterprise“ auf Kurs setzen. Fullers Bedienungsanleitung bezieht sich „nur“ auf die „innere“ Steuerung, auf Material- und Energieeffizienz, Synergien, Verkleinerung (Ephemerisierung) bzw. Minimalismus im Technikbereich und Nachhaltigkeit. Reduziert aufs Konkrete handelt es sich um Überlegungen, wie in einem komplexen Betrieb Strom und Heizung gespart werden, nebst Strichlisten über die Reinigung des WCs im Hintertrakt. Das „Raumschiff“ evoziert also einen utopisch-religiösen Aspekt und „Erde“ den dazugehörigen Hausmeisteraspekt, wobei sich beide gegenseitig verstärken.

Das ließ sich (um darauf zurückzukommen) schon bei den politisch korrekten Hundehaltern beobachten, deren religiöses Besteck aus Kinderschaufel, Wegwerfhandschuhen und Plastiksäckchen bestanden. Und auf der anderen Seite Bösewichter, die ihren tierischen Freunden beim Verrichten des „Geschäftes“ gleichsam unbeteiligt, wenn nicht sogar stolzerfüllt, zusahen. Die verbissenen Attacken und Gegenattacken zwischen Hunde- und Kinderhaltern sind ja beinahe Religionskriege „in nuce“.

Das war nur der Beginn eines Themenwechsels auf dem moralischen Schlachtfeld. In der Folge wurden Gottlosigkeit, eheliche Untreue, Verdammung der Nazigräuel oder gar Homosexualität zu unterhaltsamen Topoi der Massenkultur. Die Gläubigen der neuen Religion – nach wie vor auf „Schmutz“ und „Reinheit“ fixiert – tabuisieren schmutzigen Atomstrom, krebserregenden Zigarettenkonsum, gewissenlosen Fleischverzehr, ineffiziente Kühlschränke oder E-Herde. Geächtet wird, wer eine Hunderterbirne anstelle der Energiesparlampe einschraubt, wer seine Geräte standby laufen lässt, eine Öl- statt eine Hackschnitzelheizung betreibt, auf Strom oder Gas, statt eine Wärmeaustauschpumpe setzt, einen PKW den politisch korrekten, öffentlichen Verkehrsmitteln vorzieht. Der ultimative Bösewicht in dieser religiösen Hierarchie ist der Hobbyfahrer eines gepanzerten Mercedes der E-Klasse mit V8-Benziner mit 388 PS und sein Gegenspieler die Lichtgestalt auf einem Puch-Silberfahrrad.

Der Autofahrer wirkt trotzdem cooler als der Radler mit seiner Hosenklemme; ohne exzessive Zigarettenrituale gäbe es die schönen Gangster- und Westernfilme Hollywoods nicht und verglichen mit einer Energiesparlampe ist die Hunderterbirne eine elektrische Venus von Milo. Dass die Schönheit und die politische Korrektheit so schwer zusammengehen, macht ja auch Kunst und Künstler so verdächtig. Zuweilen ändert sich etwas an der Umweltdogmatik – etwa wenn sich die Energiesparlampe als einigermaßen giftiges, aber einträgliches Projekt einer EU-Lobby herausstellt – aber die fundamentale Theologie bleibt unangetastet.

Unter http://www.mein-fussabdruck.at/footprint/contact betreibt das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft einen „ökologischen Fußabdruck-Rechner“, entwickelt auf Basis eines Modells der Wissenschaftler William Rees und Mathis Wackernagel.

„Sie haben Footprints als Maßstab für den globalen Ressourcenverbrauch vorgeschlagen. Ihre Forschungsfrage lautete: Wie viel Fläche beanspruchen wir, wie viel haben wir zur Verfügung? Der Ökologische Fußabdruck einer Person, eines Landes wird in Global Hektar (1 gha = 10.000 m²) gemessen. Je größer der Footprint, desto stärker wird die Umwelt beansprucht. Dem Footprint (Flächenbedarf) ist die Biokapazität einer Region gegenüberzustellen, das ist die Fähigkeit der Natur, Rohstoffe auf- und Schadstoffe abzubauen. Finden Sie hier heraus, wie groß Ihr persönlicher Ökologischer Fußabdruck ist!“

Der Leser kann sich entlang eines Punktesystems seine eigenen Footprints hinsichtlich Wohnen, Ernährung, Mobilität und Konsum erarbeiten. Die perfekteste Biopolitik ist immer noch jene, die vom Einzelnen internalisiert und via Selbstzwangapparatur ausagiert wird. Das erinnert nicht zufällig an die Indoktrination religiöser Schuldgefühle. Und während die Amtskirche des Kapitalismus noch aus der ephemeren Behebung der generellen Zerstörung, die sie angerichtet hat, Profit schlägt, agiert ihre Inquisition gegen Raucher oder gegen Fahrer veralteter Autos …

Jesus soll einst übers Wasser gegangen sein. Vom politisch korrekten Ökogläubigen wird viel Schwereres verlangt. Er muss die volle Arbeits- und Konsumleistung erbringen, darf nicht ins Wasser pissen, soll keinen Schatten in der Sonne werfen und vorsichtig atmen (siehe sonnTAG 312), damit sich sein übel riechender CO2-Ausstoß in umweltverträglichen Grenzen hält.

WILHELM HENGSTLER ist Filmregisseur und Autor, ausgezeichnet mit dem Manuskriptepreis 2004, lebt in Judendorf/Strassengel bei Graz.

Verfasser/in:
Wilhelm Hengstler
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