15/05/2023

Stadtentwicklung Graz: Zukunft statt Stillstand  

Die Immobilienwirtschaft fordert mehr Deregulierung, denn ihr Geschäftsmodell Wohnen als Ware kriselt. Jahrelang wurden damit hohe private Profite erzielt. Nun bricht der Markt ein und die Branche ruft nach kapitalistischer Manier nach dem Staat. Der soll es nun für sie richten.

15/05/2023

After Business Lounge der WKO Graz zum Thema Stadtentwicklung

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Männerpodium

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Podiumsteilnehmer

©: Elisabeth Kabelis-Lechner

Diagramm Versiegelung 2019

Diagramm Versiegelung 2015

Mit diesem Text lud die Regionalstelle der Wirtschaftskammer zur After Business Lounge in die Seifenfabrik ein: 
„Versiegelung, Betongold, Bauwut oder Flächenfraß sind nur ein paar Beispiele für negative Schlagzeilen, die man derzeit regelmäßig in den Medien liest oder hört, wenn es um Baumaßnahmen geht. Kaum ein Neubau kann ohne emotionale Debatte und Kritik umgesetzt werden.
Aber ist jeder Neubau „böse"? Ist jedes alte Gebäude schützenswert? Ist es nachhaltiger, wenn in Graz nichts mehr gebaut wird? Was sind die Herausforderungen für die Stadtentwicklung? Wie günstig oder teuer werden wir in Zukunft wohnen?"

Diese Fragen wollte man mit dem Podium und mit dem Publikum diskutieren.

Am Podium saßen diese Männer:
Bernhard Inninger (Leiter Stadtplanungsamt), Gerald Gollenz (WKO Obmann Immobilientreuhändler), Hans Schaffer (Vorstandsdirektor ÖWG Wohnbau), Peter Schaller (Baufirma PORR), Detlef Heck (Professor am Institut für Bauwirtschaft, TU Graz) und Bernhard Bauer (Obmann WKO Graz). Auch der Moderator und die Fotografen waren Männer. „Mann“ war sozusagen unter sich.

Einige weibliche WKO-Mitglieder waren von der frauendiskriminierenden Einladungspolitik der WKO so empört, dass sie sich mit Unterstützung des Grazer Frauenrats im Vorfeld organisierten. Auf ihre Beschwerdemails an die WKO bekamen sie alle die gleiche Antwort: 

„Sehr geehrte Frau..,
vielen Dank für Ihre ehrliche Rückmeldung. Sie haben natürlich recht und wir geben zu, dass wir selbst nicht wirklich glücklich mit dieser rein männlichen Besetzung sind. Wir hatten natürlich auch Damen am Podium eingeplant und eingeladen. Diese haben uns aber leider abgesagt. Daher hat sich diese Zusammenstellung in dem konkreten Fall so ergeben. Beste Grüße Viktor Larissegger“

Einige Frauen entschieden sich dennoch teilzunehmen und setzten sich geschlossen in die zweite und dritte Reihe, die erste Reihe war ja für das „Männerpodium“ reserviert. Ein kleiner, feiner Protest, der auch den Organisatoren auffiel. Regionalstellenobmann Bernhard Bauer versuchte in seine Begrüßung eine vage Entschuldigung für das zu 100% männlich besetzte Podium einzubauen. Er habe mehr als 20 „Damen“ angesprochen, aber alle hätten abgesagt. Als eine Frau im Publikum zwischenfragte, welche „Damen“ ihm denn abgesagt hätten, konnte er nur die Abteilungsleiterin der Bau- und Anlagenbehörde nennen. Wer soll das glauben? 

Der Tenor am Podium war: Die Bauwirtschaft steckt in der Krise, vor allem die Wohnbauproduktion.
Als Gründe wurden die hohen Bau-und Grundstückspreise, die steigenden Zinsen, die langwierigen Genehmigungsverfahren und die behördlichen Regulierungen genannt. Stadtentwicklung wurde mit Wohnbau gleichgesetzt und weil es dort Stillstand gibt, gilt das aus Sicht der Bauwirtschaft auch für die Stadtentwicklung. Frappierend offen sprachen die „Herren“ über ihre neoliberalen, an Wachstum und Gewinn orientierten Vorstellungen zur Stadtentwicklung. 

Christian Kovac, Hausherr und Projektentwickler, bezeichnete die vergangenen 10 Jahre als positiv, denn da sei viel passiert. (Ergänzung: viel gebaut worden) Nun seien die Rahmenbedingungen schwieriger geworden und die von der Stadt Graz versprochene Nachverdichtung könne er so gar nicht sehen, da sei noch viel Luft nach oben. Bei seinem eigenen Immobilienprojekt „Wohnen am Fluss“ in der Angergasse hätte er sich noch zwei zusätzliche Geschosse gewünscht und leider sei auch aus seinem Projekt Timber in Town nichts geworden. Wolle man mehr Grünraum in der Stadt, müssten die Dichten hinaufgesetzt werden. Ohne Genierer meinte Kovac, dass mehr Angebot nötig sei, wenn Immo-Fonds Projekte aufkaufen wollen und Projektentwickler viel Geld verdienen müssen. Wow! Neoliberale Immobilienwirtschaft in einfachen Worten erklärt und auf den Punkt gebracht.  

Gollenz kritisierte die langen Bauverfahren. Die Verwaltung sei (mit dem Bauboom) nicht mitgewachsen. Man wäre auch bereit mehr an Gebühren zu zahlen, wenn die Verfahren dafür schneller abgewickelt würden. Will heißen: die Baubranche will sich schnellere Verfahren kaufen! Gollenz monierte auch, „dass wir nun irgendwelche Faktoren einhalten müssen (er meinte wohl den Grünflächenfaktor), obwohl eh 70% grün sei“. Er bezog sich auf ein Diagramm, aus der Keynote von Viktor Larissegger, wonach 2015 71,12% der Fläche von Graz unversiegelter Grünraum war und dieses Verhältnis 2019 mit 69.90% fast gleich geblieben sei. (Anmerkung: Wurden da vielleicht begrünte Flächen über Tiefgaragen beschönigend mitgezählt?) Gollenz weiter: Wir können mit der Grazer Klimapolitik nicht die Welt retten!“. Er erwarte sich von der Politik mehr Rücksicht.

Gollenz und Schaffer (ÖWG) kritisierten die neue Bebauungsdichteverordnung, wo nun Laubengangerschließungen zur Dichte zählen. Damit würden sich die Baukosten um 280 Euro pro Quadratmeter verteuern. Dies führe zu mehr Bodenversieglung und treibe die Mieten in die Höhe. (Diese wurden vor allem durch die Finanzialisierung des Wohnens in die Höhe getrieben.)  

Als nach meiner Frage, ob sich das männliche Podium eigentlich selbst genüge, oder ob es doch noch zur versprochenen Diskussion mit dem Publikum kommen werde, endlich das Publikum miteinbezogen wurde, konnte ich auch meine Kritik anbringen, dass am Podium nicht über Stadtentwicklung und ihre Herausforderungen diskutiert, sondern nur über die Krise der Baubrache und die vermeintliche Überregulierungen gejammert wurde. Von Gollenz wurde ich in seiner Antwort als „Gnädige Frau“ tituliert. Auf die Frage aus dem Publikum, welche Städte sich Graz hinsichtlich Stadtentwicklung zum Vorbild nehme, antwortete Bernhard Inninger: „Bezüglich Wohnbau sei das Freiburg und sonst sei ja Graz selbst ein gutes Beispiel.“ Offensichtlich ist er der Meinung, dass die für Stadtentwicklung verantwortlichen Beamten sich nur ihr eigenes Tun zum Beispiel nehmen sollen.

Barbara Kaspar vom Vorstand des Grazer Frauenrats wollte von den Männern wissen, ob sie die Veranstaltungsreihe Stadt der Frauen im HDA verfolgt hätten und über die Bedürfnisse von Frauen bezüglich Stadtentwicklung, öffentlichen Raum und Wohnbau Bescheid wüssten. Außer Inninger kannte niemand diese vom Referat für Frauen und Gleichstellung organisierte Veranstaltungsreihe. Gollenz antwortete so: Da ich schon mehr als 1000 Wohnungen gebaut habe, kenne ich die Bedürfnisse von Frauen. 

Schallendes Gelächter unter den Frauen in der zweiten und dritten Reihe.

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