07/07/2016

Transformation findet STADT.
Vom Vorteil und Nutzen historischer Architektur

Bericht über das 7. internationale Symposium des ISG – Internationales Städteforum Graz – vom
23. - 25. Juni 2016 im Franziskanerkloster Graz

von Sigrid Verhovsek und Konstantin Knauder, Institut für Wohnbau, TU Graz

07/07/2016

7. Internationales Symposium des ISG, 23. - 25. Juni 2016 im Franziskanerkloster Graz.

©: Konstantin Knauder

Pause im Klosterhof

©: Konstantin Knauder

Tagung im Berhardinsaal

©: Konstantin Knauder

Tagung im Berhardinsaal

©: Konstantin Knauder

Rundgang durch das Franziskanerkloster

©: Konstantin Knauder

Rundgang durch das Franziskanerkloster

©: Konstantin Knauder

Klosterführung durch Pater Josef

©: Konstantin Knauder

Klosterführung durch Pater Josef

©: Konstantin Knauder

Klosterführung durch Pater Josef

©: Konstantin Knauder

In dem Maße, wie Nachverdichten und Bauen im Bestand zu einem immer selbstverständlicheren Bestandteil der Arbeitswelt von ArchitektInnen wird, desto weniger nimmt man das Internationale Städteforum Graz (ISG) als einen exklusiven, eingeschworenen Kreis von AltstadtbewahrerInnen und DenkmalsschützerInnen wahr, sondern als eine offene Gruppe, die sich diskursiv überlegt, wie Stadt weitergebaut werden kann, wie sie sich selbst, wie sie uns und wie wir sie transformieren.

Das ISG besteht nun seit 40 Jahren; 1976 erfolgte, vom Europarat beauftragt, die Vereinsgründung eines Dokumentations- und Informationszentrums zur Kulturerbeerhaltung von historischen Städten und Gemeinden. Auch wenn Altstadtschutz und -erhaltung nach wie vor im Zentrum des Interesses stehen, erlaubt man sich einen durchaus kritischen Blick auf dieses mitteleuropäische Kulturerbe, und akzeptiert bzw. fordert qualitätsvolle Transformation statt musealen Verharrens. 
Zu den Aufgaben des Vereins gehört neben der vierteljährlichen Information der internationalen Mitglieder mittels ISG-Magazin, die Pflege einer kleinen, aber erlesenen (und zu erlesenden!) Fachbibliothek zu den Themen Denkmalpflege, Ortsbilderhaltung, Stadtentwicklung, Entwicklung des ländlichen Raums und aktuelle Architektur im historischen Kontext. Auch die Spotlight Kulturerbe Rundgänge haben sich bereits etabliert, Stadtrundgänge, auf denen man neben den „offiziellen“ Highlights der Grazer Altstadt auch so versteckte Orte wie den intakten Theatersaal des Gesellenvereins oder den Dienstbotentrakt des Palais Attems zu sehen bekommt, oder auch die Möglichkeit, in die Tiefe eines aus dem 16. Jhs stammenden Basteibrunnens abzutauchen.
Und last but not least gab es nun von 23. – 25. Juni 2016 zum 7. Mal ein dreitägiges Symposium, das gemeinsam mit der Stadt Graz veranstaltet wurde: Transformation findet STADT. Vom Vorteil und Nutzen historischer Architektur.

Eingeleitet wurde es Donnerstagabend im beeindruckenden Grazer Gemeinderatssitzungssaal bei einem Empfang durch Bürgermeister Siegfried Nagl, der auch als Präsident der Vereins fungiert, gefolgt von einem Stadtrundgang, der – beinahe ironisch – auf der Dachterrasse des Kaufhauses Kastner & Öhler begann, wobei die Location natürlich prompt für Diskussionen sorgte, die sich erst im Witwenpalais und im „großen“ Palais Attems wieder auflösten.
Mittelpunkt dieser dreitägigen Veranstaltung, die ihren Schlusspunkt dieses Jahr in einer Exkursion nach Ptuj und Maribor fand (dazu siehe auch Reportage im  ISGMagazin 02- 2016), war aber das Symposium am Freitag, das – eine zusätzliche Freude an einem heißen Tag! – in den einladend kühlen Gemäuern des Franziskanerklosters stattfand.
Die offizielle Begrüßung durch die Stadt Graz erfolgte durch Gemeinderätin Sissi Potzinger, kurze Einleitungen durch DI Mag. Dr. Bruno Maldoner und ISG-Vizepräsident Arch. Mag. Tomaz Kanzler, moderiert wurde das Symposium durch ISG-Geschäftsführer und Vizepräsident Arch. DI Hansjörg Luser.

Im ersten Beitrag von Dipl. Ing. Walter Hauser mit dem Titel Gegenstück, nicht Gegensatz löste das Paradigma „alt“ gegen „neu“ auf: alte, und durchaus homogen erscheinende Bauwerke bestehen oftmals aus vielen verschiedenen Baustufen; sie wurden im Laufe der Jahrhunderte selbstverständlich „weitergebaut“, alt und neu sind somit nicht 1+1, sondern n+1. Die Frage nach modern/unmodern stellt sich im Laufe der Zeit weniger wie die Frage nach Qualität. Angemessenheit und Balance wurden gefordert, Kontrast ist gewünscht, braucht jedoch Kontext, sonst endet es in einem bloßen Gegenüber. Die Fuge – derzeitig herrschendes Credo bei Bauen im Denkmal – wurde angezweifelt, die Selbstverständlichkeit des Weiterbauens betont – dazu auch später.

Für die leider kurzfristig verhinderte PD Dr.in Silke Steets konnte ein sehr interessanter „Ersatz“ gefunden werden: Dr. Nadja Alaily-Mattar von der TU München hinterfragte den Trend der Bilbaoisierung, den Versuch, durch hochbezahlte Stararchitektur Selbst- und Marktwert einer Stadt zu erhöhen. Die Forscher an der Münchener TU versuchen, die Effekte, die aus dem (Medienspektakel) entstehen, von jenen, die aus dem Gebäude selbst resultieren, zu trennen und zu bewerten; wobei die eigentliche Funktion immer mehr zugunsten eines besucherlockenden Flagshipstores in den Hintergrund tritt.

Arch. ETH Tom Munz aus St. Gallen spricht in Sowohl als Auch die Notwendigkeit von Transformationsprozessen an, um Fragmentierung zu vermeiden, und einen urbanen Zusammenhang herzustellen.

Baudirektor Dipl.-Ing. Mag. Bertram Werle, Welterbebeauftrager der Stadt Graz, hakt mit der brisanten Frage nach dem Platz für alle nach: Wem gehört der öffentliche Raum? Raum als Produkt der Gesellschaft, als Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse (mithin auch ein Korrektiv, wenn man ihn reflexiv betrachtet) muss flexibel und nutzungsoffen bleiben, um jene Vielzahl von Funktionen aufzunehmen, die unsere immer dispersere Stadtbevölkerung von ihm verlangt. Aber gerade globale Trends und der soziodemographische Wandel verlangen auch klare Entscheidungen, eindeutige politische Bekenntnisse, die sicherlich manchmal auch unbequem sein müssen.

Mag. arch. Mag. art. Maximilian Lugers These Keine Angst vor dem Denkmal wäre durchaus nachvollziehbar, seine Beispiel-Projekte (ein Heustadel am Hallstädtersee, das Seetalerhaus in Hallstadt sowie der Umbau der Kaserne Wels) wurden jedoch durchaus kontrovers diskutiert und beurteilt.

Einen weiteren spannenden Beitrag lieferte der aus Ljubljana stammende Architekt und Professor Dipl.-Ing. Jurij Kobe. Anhand eines detaillierten Werkvortrags über die schrittweise Revitalisierung des geschichtsträchtigen Minoritenklosterensembles in Maribor erläuterte er die Strategien seines Architekturbüros im Umgang mit historischer Bausubstanz. Die in verschiedenen Maßstäben realisierten architektonischen Interventionen und vor allem das Reagieren auf Unvorhersehbares im Planungsprozess konnten bildreich veranschaulicht werden.

Mag.a arch. Mag.a art. Sonja Gasparin sucht mit ihrem Villacher Architekturbüro Gasperin & Meier nicht das „ewig Junge“, sondern vielmehr nach „Lösungen, die Altern in Würde ermöglichen“. Gezeigt wurden Projekte unterschiedlicher Dimension mit dem gemeinsamen Ziel, möglichst respektvoll mit dem Vorhandenen umzugehen. Immer wieder wurde dabei die Fuge zum Thema, was in Bezug auf die kurz zuvor von Walter Hauser angeregte Diskussion sowohl für gesteigertes Interesse als auch Schmunzeln im Publikum sorgte.

Mit der wortspielerischen Bemerkung, dass es sicher kein „Schaden“ wäre, ihn hierzuhaben, wurde der letzte Vortragende Dipl. Ing. Markus Schadenbauer-Lacha begrüßt. Erfrischend interessant war der Einblick „von der anderen Seite“, in diesem Fall die Perspektive des Vorarlberger Projektentwicklers, der sich mit seiner Firma die Wiederbelebung des Hohenemser Stadtzentrums zur Aufgabe gemacht hat. Ambitioniertes Ziel ist „ein denkmalschutzgerecht saniertes und maßvoll nachverdichtetes, belebtes Ökoquartier“. Die über weite Strecken recht textlastige Präsentation konnte schließlich doch veranschaulichen, welche kleinteiligen Strategien entwickelt wurden, um die Bereitschaft der Bevölkerung zur Niederlassung im Ortskern wiederzubeleben. Dass die teilweise subtilen Maßnahmen unter dem Motto "neue Wege gehen" erste Früchte tragen, beweisen am Schluss des Vortrags sowohl fotografische Impressionen als auch die Statistik aus Hohenems: 18 Mio. Euro Investitionsvolumen, 170 neue Innenstadtbürger.

Beschlossen wurde das 7. ISG-Symposium mit einem geführten Rundgang durch die Gemäuer des Franziskanerklosters. Gemeinsam mit Architekt Hansjörg Luser gewährte Guardian und Pfarrer Josef Höller Einblicke in die sonst nicht öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten des Ordens. Besonderes Augenmerk galt, ob der thematischen Ausrichtung des diesjährigen Symposiums, den von HoG Architektur realisierten Um- und Ausbauten in der historischen Bausubstanz. Für einen stimmungsvollen Ausklang des Abends sorgte schließlich die Verabschiedung der Symposiumsgäste bei einem Glas Rebensaft im Weinkeller des Klosters.

Ein wenig offen blieb naturgemäß die grundsätzliche Frage nach Wert und Nutzen der Historie, die aber immer wieder neu gestellt und individuell beantwortet werden muss.
Diesmal besprochene Ansätze waren: Antworten auf die Geschichte zu suchen und womöglich zu finden; Raumsituationen zu beantworten; nicht unbesprochen „Altes“ einfach stehen- (und damit oft verfallen-) lassen; bewusst zu sehen, was wichtig ist und was nicht, was schadet oder einengt, was verändert werden muss, was neu gedacht werden muss.

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