16/09/2019

Rezension von Wenzel Mraček zu Operation Goldesel von Christian Kühn

.

Christian Kühn:
Operation Goldesel
Texte über Architektur und Stadt 2008-2018.
Birkhäuser Berlin 2018
332 Seiten, € 39,95
ISBN 978-3-0356-1684-2

.

16/09/2019

Christian Kühn: 'Operation Goldesel. Texte über Architektur und Stadt 2008-2018'. Birkhäuser Berlin 2018. 332 Seiten, € 39,95, ISBN 978-3-0356-1684-2

Der Architekturkritiker Christian Kühn hat einen weiteren Band seiner Besprechungen zum zeitgenössischen Bauwesen vorgelegt.

Nach Ringstraße ist überall (veröffentlicht 2007), dem ersten Kompendium seiner Architekturkritiken, die im Spectrum der Tageszeitung Die Presse erschienen waren, legte Christian Kühn nun im Vorjahr einen zweiten Band unter dem Titel Operation Goldesel vor, der seine Auseinandersetzungen mit überwiegend in Österreich zur Debatte stehenden Fragen zum aktuellen Bauwesen über den Zeitraum 2008 bis 2018 versammelt. Einleitend wiederholt Kühn sein Ansinnen, das schon dem Band von 2007 vorangestellt war. Es handle sich auch hier um ein „Handbuch für Träumer, die an die Bedeutung von Architektur als Medium des gesellschaftlichen Fortschritts glauben“. Er lenkt aber den Entwicklungen geschuldet ein, neben den Träumern sei inzwischen auch den Realisten bewusst, dass „viele Zukunftsfragen nur dann erfolgreich beantwortet werden können, wenn auch architektonische, städtebauliche und raumplanerische Aspekte berücksichtigt werden“.
Formal ist der Band als „kondensierte Tageszeitung“ angelegt, 124 Texte in der Chronologie von 2018 zurückreichend bis 2008, wobei der titelgebende Artikel Operation Goldesel vom 25. Mai 2013 stammt. Ähnlich wie in zahlreichen weiteren Beispielen veranschaulicht Kühn hier die Geschichte der Bebauung des Wiener Heumarktes um das Areal des Eislaufvereins und das Hotel Intercontinental und die Probleme des Architekten Carl Appel, der schon 1964 Rücksicht auf den „Canaletto-Blick“ vom Belvedere auf das Stadtzentrum nehmen musste. „Wachgeküsst“ sollte das Areal ab 2013 von einem Investor werden, der nicht nur mit dem Anspruch des Weltkulturerbes der UNESCO in Konflikt kommen sollte. Es sind über die Jahre mehrere Artikel, in denen sich Kühn mit dem Problem auseinandersetzt. Am 15. März 2014 titelt er bereits mit Money Maker. Der Investor – der gegenwärtig mit Anzeigen um Untreue und Betrug im Zusammenhang mit drei burgenländischen Wohnbaugesellschaften konfrontiert ist – warb schon 2012 mit dem Gewinner eines Architekturwettbewerbes, während Kühn resümiert, es habe sich damit kein Projekt gefunden, das die gewünschte Rendite bringt und gleichzeitig stadtplanerisch und architektonisch überzeugt. Aus dem Jahr 2014 stammt dann Kühns Rezension der Ausstellung des Siegerprojekts und der Werkschau des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld, der nach Kühn vor allem mit „Kunstgewerbe für brasilianische Millionärs-Oberschicht“ glänzt. Nochmals tauchen die Kalamitäten im Artikel vom 31. Januar 2015 auf, als die Stadt Wien ein neues Hochauskonzept vorlegte, das vom Autor als „Schubumkehr der Stadtplanung“ erkannt wird, nachdem ein Hochhaus doch nach einem städtebaulichen Leitbild geplant werden sollte und nicht umgekehrt.
In die Kategorie Goldesel reicht etwa auch die Kritik an den ebenfalls in mehreren Kapiteln behandelten Vorgängen um Intransparenz und ausgebootete Wettbewerbsgewinner am Bau der Stadtgalerien Schwaz in Tirol. Den frei finanzierten, sogenannten Wohnbau einer für viele stehenden Entwicklerfirmen behandelt Kühn 2013 am Beispiel eines Objekts im 10. Wiener Bezirk. Abgesehen von katastrophalen Grundrissen in einem Geschossbau vermutet der Autor, dass ein Käufer eine solche Wohnung – „als Beimischung zu seinem Vermögensportfolio“ – wahrscheinlich nie betreten wird, geschweige denn, sie ließe sich nur irgendwie einst wieder verkaufen. Kühn besuchte einen Projektentwickler, der ihm auf entsprechende Frage tatsächlich antwortete: „Samma uns ehrlich“, selbst er würde hier niemals wohnen wollen.

Wenn Kühn, entsprechend Buchtitel und Vorwort, einen Schwerpunkt auf dem Goldesel, also „zunehmenden Einfluss von Kapitalinteressen auf die Produktion von Architektur und Stadt“ vermuten lässt, handelt dennoch der überwiegende Teil der Besprechungen von gelungener Architektur, fallweise von Theorie, so es um Avantgarden, Moderne oder Baukultur im Zusammenhang mit den österreichischen Architekturzentren geht. Bauen im Bestand oder Renovierungen werden an Beispielen wie dem Wiener Stadthallenbad von Roland Rainer oder dem ideologisch konterminierten Zentrum von Innsbruck verhandelt respektive in Artikeln mit Kritik an Public-private-Partnership. Wenn nicht gerade Stadt-, dann Ortsentwicklung: Als Vorschlag für ein Pars pro toto sieht Kühn in einem – derzeit endenden – zweijährigen Baustopp, den sich die Gemeinde Velden am Wörthersee verordnet hat. Die hier anklingende Hoffnung auf nachhaltige Raumentwicklung, die man aus Kühns Artikel liest, dürfte sich wohl ins Gegenteil gewendet haben, nachdem etliche Investoren derzeit in den Startlöchern scharren.
Schulbau ist ein immer wieder aufgenommenes Thema mit positiven Aspekten hinsichtlich Campusanlagen respektive offenen Raumentwürfen, die, um es hier kurz zu beschreiben, den Frontalunterricht zusehends in die Geschichte verdrängen. Beispiele dafür finden sich in Wien, der Seestadt Aspern oder an einer Volksschule in Graz Mariagrün. Bauen nach den Gebrüdern Grimm behandelt ein Wiener Wohnbauprojekt von ARTEC inklusive Erinnerung an die Werkgruppe Graz. Mehrgeschossige Wohnungen mit Frei- und Grünraum haben sich inzwischen als „Vorbildlich“ (Kühn) erwiesen.
Christian Kühn erinnert immer wieder an die Möglichkeit, aktuellen Bestand entsprechend der Chronologie seiner Rezensionen mittels Satellitenschau im Internet zu vergleichen. Eine praktische Ergänzung zur Operation Goldesel, die damit einer über die Jahre angelegten Enzyklopädie gleichkommt.

Christian Kühn (geb. 1962) ist Professor für Gebäudelehre und Studiendekan für die Studienrichtungen Architektur und Building Science an der TU Wien. Er ist Vorsitzender der Architekturstiftung Österreich, seit 1992 Architekturkritiker für Die Presse und Architektur & Bauforum, er war Kommissär für den österreichischen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig 2014. Seit 2015 ist Christian Kühn Vorsitzender des Beirats für Baukultur im Österreichischen Bundeskanzleramt.

anonym

man kann zumn heumarkt Projekt des Investors Trojner stehen wie man will. Aber die Arbeiten des brasilianischen Architekten Isay Weinfeld "als Kunstgewerbe für die brasilianische Millionärs-Oberschicht“ zu bezeichnen, ist grob daneben weil völlig unzutreffend. Ich war vor einigen jahren bei einer österreichweit ausgeschriebenen Exkursion in Brasilien (Rio de Janeiro, Brasilia und sao Paulo) mit und am Programm stand einiges von Weinfeld, unter anderem sein eigenes Bürohaus, noch ein zweites, eine sehr schöne Buchhandlung und ein Schuhgeschäft der berühmten Havaijanas. Alles eine echte Entdeckung und alles andere als Kunstgewerbe, wie der Herr Professor Kühn meint. Hinter der Bosheit vermute ich etwas anderes als kritische Einschätzung. Auch war er selbst, soweit ich mich aus meiner Wiener Zeit erinnere, im Expertenbeirat, der den Heumarkt samt wettbewerb als kooperatives verfahren vorbereitet hat. Mit etlichen Workshops, städtebaulichen Entwürfen und Empfehlungen. Bei den Arbeiten anderer Architekten hätte Kühn mehr zu kritisieren, wenn er offen und fachlich top beurteilen würde (siehe Frau Tschavgova's letztes Aber Hallo über die Landesgalerie in krems, die ich mir auch angeschaut habe).

Mo. 16/09/2019 4:44 Permalink

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+