13/11/2018

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

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13/11/2018

Sujet Kolumne Wolkenschaufler: Freiflughalle, Hong Kong

©: Zita Oberwalder

Weshalb nicht nichts ist, sondern etwas

Yves Klein, der Meister des Immateriellen und Katalysator der Konzeptkunst, hielt am 3. Juni 1959 einen Vortrag an der Pariser Sorbonne. Unter dem Titel „Entwicklung der Kunst zum Immateriellen“ erklärte er das Nichts zum Ziel der Kunst.
Man könnte nun ein paar Haare spalten. In Nachbetrachtung wäre Yves Kleins Weg zum Nichts wohl eher eine Reihe von Versuchen, die Materialität des Kunstwerks aufzuheben. Was bleibt ist aber allemal ein Kunstwerk, wenn auch eines in Gedanken, das immerhin in der Kunstgeschichte aufgehoben bleibt. Im Fall vom Klein also nicht Nichts, sondern ein Konzeptwerk, das sich in den Handlungen manifestierte. Yves Klein verkaufte damals Zonen immaterieller malerischer Sensibilität indem er Quittungen übergab und einem Käufer vor Zeugen eine Sensibilitätszone übertragen wurde. Der Käufer zahlte mit Blattgold und erhielt einen Scheck, der auf seinen Namen ausgestellt war inklusive der Anmerkung: „Diese übertragene Zone kann von dem Eigentümer nur gegen den doppelten Wert des ersten Ankaufs abgetreten werden. [...] Der Überträger [zunächst Yves Klein] verliert dadurch seine eigene Sensibilität ganz und gar. [...] Um gänzlich der Sensibilitätszone teilhaftig zu werden, muss der Scheck verbrannt und die Hälfte des Goldes ins Wasser geworfen werden, dann ist sie nicht mehr veräußerbar.“ Kleins einbehaltene Quittungen dagegen waren gleichermaßen Belege der Existenz eines immateriellen Kunstwerks wie des stattgefundenen Verkaufs dieses Kunstwerks.
Damien Hirst, der sich vorgenommen hatte, das teuerste Kunstwerk eines lebenden Künstlers zu schaffen (Achtung: Konzept!), ging die Sache eher von der Maschekseite her an.
Mit Lullaby Spring schaffte er im Juni 2007 einen Auktionsrekord bei Sotheby’s in Höhe von circa 14,5 Millionen Euro. Das darauf folgende Konzept war, die elitären Verteilungsstrategien des Kunstmarktes vorführen zu wollen, indem Sotheby’s in einer zweitägigen Auktion im Jahr 2008 die gesamte Jahresproduktion des Künstlers um 140 Millionen Euro vercheckte. Um welche Kunstwerke es sich dabei handelte, spielt in den Kolportagen zur Auktion offenbar keine Rolle, die Rede ist durchwegs von „Flachware“ oder irgendwelchen „Zigarettenkippen“. So bleibt immerhin der Eindruck, auch hier handelte es sich um Kunsthandel, dessen Handelsware eigentlich nichts Materielles ist. Wie man nichts Materielles – aber von Yves Klein – hatte, hatte man nun was von Hirst? Jedenfalls aber von Hirst!
Und jetzt Banksy. Am 5. Oktober 2018 wurde Banksys Girl with Balloon um 1,2 Millionen Euro ersteigert. Wo? Bei Sotheby’s, Stupid! Unmittelbar nach dem Zuschlag ging ein in den Bildrahmen eingebauter Schredder in Betrieb, der Girl with Balloon vertikal und bis zur Hälfte in Streifen schnitt. „Die Zeit“ weiß, dass der nach wie vor anonym verbleibende Künstler vorhatte, das ganze Bild zerschneiden zu lassen. Ob Banksy in der Auktion anwesend war und vielleicht per Fernsteuerung intervenierte, ist Vermutung und spielt keine Rolle. Ein Video, wahrscheinlich von Banksy ins Netz gestellt, zeigt den Bau der Konstruktion, die Versteigerung und den Versuch, das physische Werk zu zerstören. Dann ein eingeblendeter Text: „Bei Proben funktionierte es jedes Mal …“. (s. Link Video)
Um hier noch ein paar Haare zu spalten: Wollte Banksy mit dieser Aktion, wie Hirst, vielleicht „die elitären Verteilungsstrategien des Kunstmarktes vorführen“, indem er zeigen wollte, was man bereit ist, für einen Banksy zu berappen, um nach diesem Quod erat demonstrandum des Preises die Handelsware auf den Wert Null zu setzen beziehungsweise die Handelsware überhaupt aufzulösen, also zu immaterialisieren?
Immerhin weiß „Die Zeit“ auch, dass es sich um eine Käuferin handelt. Und ihr dürfte auch gleich bewusst geworden sein, dass der Inhalt des verbliebenen Kunstwerks nun um Konzept und Aktion erweitert bleiben wird. Es sei, sagt Sotheby’s, „das erste Kunstwerk der Geschichte, das während einer Auktion live entstanden“ ist. Und das ist eben auch nicht Nichts.

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