09/07/2019

Wolkenschaufler_24

Fliehkraft

Herr Bürgermeister der Stadt Graz! Wir verglühen hier demnächst!

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Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

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09/07/2019

Graz, Sommer 2019 – Mariahilferplatz: Der Baum

©: Wenzel Mraček

Baustelle Augartenbucht an der Mur

©: Wenzel Mraček

Wohnbau 'greenbox COOLCITY' – Graz, Waagner-Biro-Straße

©: Wenzel Mraček

Schön schattig in Graz-Geidorf

©: Wenzel Mraček

Graz-Reininghaus: Geplante Fertigstellung 2018; bisher besteht ein Rendering

©: Wenzel Mraček

Graz, Rieshang: Vormals Streuobstwiese, jetzt „Ausblick Rieshang“

©: Wenzel Mraček

Wohn- und Businesspark so weit das Auge reicht: Graz, Waltendorfer Hauptstraße

©: Wenzel Mraček

Auch schön warm: Rasenopfer an der Grazer Oper

©: Wenzel Mraček

Fliehkraft
Herr Bürgermeister der Stadt Graz! Wir verglühen hier demnächst!
Gut, das ist hoffentlich nur eine Übertreibung, aber fällt Ihnen die bisher nicht erlebte Hitze auf? Ich nehme an, die Klimaanlage in Ihrem Büro läuft auf Hochtouren. Da lässt sich’s im Rathaus sicher ganz gut regieren. Denken Sie, Herr Bürgermeister, vielleicht manchmal daran, dass Klimaanlagen zwar die Temperatur in Innenräumen erträglich machen, während der Außenraum durch Abwärme zusätzlich beheizt wird? Und der Energiebedarf ist auch nicht ohne. In seiner Studie Losing Our Cool kam der US-Autor Stan Cox 2010 zu der Ansicht, mit zunehmendem Gebrauch von Klimaanlagen in den USA seit den 1990er Jahren habe sich auch das Sozialverhalten der Menschen geändert. Dies zeigt sich an dem Phänomen, dass sich Amerikaner nachweislich weniger im Freien, dagegen vermehrt in klimatisierten Räumen aufhalten. Nach Cox entsprechen die Kosten für Klimaanlagen in den USA einem Fünftel des gesamten Aufwandes für Energie. Die Studie aber ist – zugegeben – neun Jahre alt und die USA sind hinsichtlich der Distanz zu Graz einigermaßen abgelegen. Zusätzliche Energie liefert uns ein Kraftwerk in Puntigam, das demnächst in Betrieb geht. Dafür wiederum wurden ein paar Tausend Bäume eliminiert. Muss ich jetzt erklären, dass Bäume Feinstaub filtern und Temperatur beeinflussen? Bestehen eigentlich inzwischen Bauvorhaben an vormals bewaldeten Arealen an den Murufern?

„Wer sagt, Autofahren ist kein Sport, soll mal, wie ich’s in einem DTM-Wagen gemacht hab‘, mitfahren!“, werden Sie in einer Wochenzeitung zitiert. Ich gratuliere! Sie unternehmen ja Abenteuer, die für unsereins wohl kaum erreichbar bleiben. Abgesehen davon, dass mir etwa die Fliehkräfte in einem Rennwagen, verzeihen Sie, ziemlich Powidl sind, nehme ich an, diese Empfehlung ist Ihnen entglitten, während ein Formel-1-Bolide auf den Schloßberg gebrettert ist. Fraglos ein heißer Event bei strahlendem Sonnenschein. Wetterglück nennt man das in solchem Zusammenhang. Nach dem Steiermärkischen Naturschutzgesetz von 1988 wurden immerhin „größte Teile“ des Schloßbergs zum „Geschützten Landschaftsteil“ erklärt. Für jedes Vorhaben, das über Instandhaltungsmaßnahmen hinausreicht, ist seither eine naturschutzrechtliche Bewilligung einzuholen. Das prädestiniert den Ort meines Erachtens nicht gerade für eine PR-Aktion, die Graz in eine Verbindung zur Formel 1 bringen will. Und, Herr Bürgermeister, wozu eigentlich diese Verbindung? In der Hoffnung auf interessierte Touristen? Um die Grazer Zulieferer der Autoindustrie zu protegieren? Der Wirtschaft wegen, schließe ich, muss also ein Formel-1-Wagen durch ein Naturschutzgebiet fahren?

Bäume kühlen und filtern; die Luft nämlich. Abends, am 24. Juni 2019, wurden die Hainbuchen in der nördlichen Conrad-von Hötzendorfstraße gefällt. Laut Holding Graz, war in der Kleinen Zeitung vom 26. Juni zu lesen, sei dies aus Sicherheitsgründen geschehen. Haben uns, Herr Bürgermeister, die Hainbuchen bedroht? Nachgepflanzt wird mit „passenden Sträuchern, die nur eine bestimmte Höhe erreichen“, will die Holding kompensieren. Die Kleine Zeitung schreibt auch, man habe Ihrem „Wunsch“ entsprochen, „die wichtige Einfahrtsstraße nach Graz optisch schöner zu gestalten“. Sind wir damit angehalten, Ihrem Begriff von Schönheit zu folgen? Schön warm ist es beispielsweise im Bereich der Oper. Weil der Kaiser-Josef-Marktplatz umgebaut wird, wird eine Ersatzfläche, ein Rasenstück an der Oper, jetzt asphaltiert. Weil es tatsächlich keine andere Möglichkeit gab oder weil es ja hoffentlich nur während der Umbauarbeiten als Asphaltfläche gebraucht wird? Weil das bei der Hitze jetzt auch schon keine Rolle mehr spielt?

An der Liebenauer Tangente wird The Rock gebaut. Ein 75 Meter hoher Turm, ein Trum, mit Büroflächen und Skybar und 202 Zimmern und 28 Appartements und einem 1000 Quadratmeter großen Konferenzzentrum und … und. Anlässlich des Baubeginns werden Sie im September des Vorjahres zitiert: „Ich hätte gerne eine Skyline in Graz.“ Wofür, Herr Bürgermeister? Schwebt Ihnen ein Weichbild wie jenes von Frankfurt vor? Außerdem sollen Sie gesagt haben: „Die ganze Conrad-von-Hötzendorfstraße wird zur Businessstraße. Die Nachfrage nach Infrastruktur ist in der Stadt enorm.“ Mussten hier deshalb die Bäume weichen? Abgesehen von noch mehr Beton, noch mehr Versiegelung, noch mehr Verdichtung, noch mehr Gebäudeflächen, die die Stadt aufheizen, führt das doch insgesamt zu verminderter Wohn- und damit Lebensqualität in der Stadt. Mental, also im alltäglichen Umgang miteinander, wenn Block an Block gebaut wird, Wohnkosten steigen, Belichtung und Durchlüftung zusehends gemindert werden, macht das doch die Bewohner der Stadt einander nicht mehr grün. Die Vielzahl der Bewohner ist auf erschwinglichen Wohn- und möglichst qualitätsvollen Lebensraum angewiesen. Das macht Wohlbefinden und hätte positive Wirkung auf den zwischenmenschlichen Umgang in der Stadt. Eine liquide Minderheit dagegen wird wohl der Empfehlung des vormaligen Kanzleramtsministers Blümel folgen (können), der in einem Radiogespräch meinte, die beste Altersversorgung bedingt, dass man sich rechtzeitig um Immobilieneigentum kümmert. Wie Ihr Parteikollege denken Sie hoffentlich nicht, Herr Bürgermeister?

Ihr Wunsch nach einer Skyline, Herr Bürgermeister, liegt mir seit Ihrem Amtsantritt im Ohr. Sie lieben offenbar das Bild von Kränen allenthalben im Stadtgebiet und den für uns Bewohner schwer erträglichen Baulärm. Sie „wünschen“ sich – und um es nach einer aktuellen Filmdokumentation zur vergleichbaren Lage Berlins krass auszudrücken – die Stadt als Beute? Sie wünschen sich U-Bahn, Robo-Garagen im Zentrum, Gondelbahn entlang der bald nicht mehr fließenden, sondern aufgestauten Mur und darauf Restaurant-Schiffe, Sie wünschen sich neue Gastronomie im auf Ihren Wunsch hin umgebauten Augarten, Sie wünschen sich eine Gondelbahn über den Plabutsch. Arbeiten Sie an der Verwirklichung Ihrer Träume, während alles dazu unternommen wird, unsere Träume nach Wohlbefinden und Lebensqualität in der zweitgrößten Stadt Österreichs nur ja nicht erfahren zu müssen? Wann werden wir danach befragt, ob wir uns eine Gondel über den Plabutsch – verbunden mit Waldrodungen – wünschen? Wann respektive wie wurden wir danach befragt, ob wir uns den Umbau des Augartens wünschen und neue Infrastruktur, die Gastro-Unternehmen neue Einkommensmöglichkeiten bieten? Nachdem in diesem Bereich unsererseits nichts mehr einzuwenden war, haben Sie eine Umfrage in Auftrag gegeben, nach der sich 60 Prozent der GrazerInnen Ihren Augarten wünschten. Ich darf anmerken: Sie haben diese Umfrage in Auftrag gegeben. Oder der Ausbau der Josef-Huber-Gasse, wodurch sich das Verkehrsaufkommen logischerweise erhöht – es gäbe fragwürdige Beispiele sonder Zahl: Ist Lebensqualität Ihrer Ansicht nach gleichzusetzen mit Vorteilen, die die Bauwirtschaft genießt? – Smart City, Reininghaus, Waltendorfer Hauptstraße, Sankt-Peter-Hauptstraße, dichteste Wohnanlagen gegenüber dem Liebenauer Stadion etc. Ja, Sie betonen immer den immensen Zuzug nach Graz. Werden – und müssen? – diese Menschen in solchen Anlagen wohnen oder geht es eher um Anleger, die in Sankt Peters Amalfi – vormals Waldbestand – hin und wieder vorbeischauen?
Ach ja, Sie zeigen sich solchen Fragen gegenüber engagiert und wünschen sich Graz als „gesündeste Stadt in Europa“. Feinstaub, Klima, Verdichtung und Versiegelung stellen Sie den Veggie Day gegenüber. Mit Verlaub, Herr Bürgermeister, mir erscheint das hanebüchen. Nach seiner Herkunft ist der Ausdruck „hanebüchen“ übrigens mit der „Hainbuche“ verbunden.

Anonymous

Besten Dank für Ihren - leider sehr traurigen - Kommentar.
Ihren Vorwürfen an die von uns gewählten Zuständigen kann ich nichts mehr beifügen - Ihre Aufzählung genügt.
Wir trauern alle den tausenden Bäumen nach, die mutwillig abgeholzt wurden, einen Lebensraum für viele Tiere darstellten und für die Grazer und Grazerinnen die lebensnotwendige Luft-Schneise bildeten.
Hoffentlich hört dieser Unfug bald auf.

Di. 09/07/2019 1:00 Permalink
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