10/11/2020

Kolumne
Wolkenschaufler_40

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

.

10/11/2020
©: Zita Oberwalder

Hallendilemma

Während meines Kunstgeschichtestudiums fasste ich – weil alle anderen schon vergeben waren – ein etwas konstruiert anmutendes Thema für eine Seminararbeit aus: Architekturmotive im Nibelungenlied. ??? dachte ich mir und fand bei rascher Durchsicht eine Fensterlaibung in Xanten und eine Halle mit Tonnengewölbe in Worms. Das Thema erwies sich damit als reichlich unergiebig und ich erfand mir ein neues um die Errichtung der Liechtensteinkapelle in Seckau. Ulrich von Liechtenstein, Minnesänger und Marschall der Steiermark finanzierte zu Ende seines Lebens den Bau vermutlich ab 1270. Wir wissen wenig um diese Kapelle, die 1832 abgebrochen wurde. Der Kunsthistoriker Günter Brucher beschreibt sie im Vergleich mit österreichischen Bauten der Gotik jedenfalls als am deutlichsten dem Typus der hochgotischen Saint-Chapelle in Paris und damit auch dem Typus einer Hallenkirche entsprechend. Zugegeben, eine etwas weit ausgeholte Einleitung, um von Hallen in der Steiermark zu handeln, deshalb nun in die nicht ganz so ferne Vergangenheit.
Nach Plänen von Robert Haueisen und nach den Vorstellungen seines ersten Direktors Leo Scheu wurde 1951/52 das Künstlerhaus in Graz errichtet. Vorbild für den freistehenden Ausstellungsbau war die Wiener Secession, wenngleich Scheu sich offenbar hinsichtlich Grundriss und Kubatur an Sakralbauten orientierte. Die große Ausstellungshalle (mit quasi Nebenschiff Grafikraum) wird von einer Apsis abgeschlossen. Was mich an diesem Bau eigentlich immer irritiert hat, sind zwei Dekorobjekte an der Treppe zum Portal, die doch frappant an Feuerschalen erinnern und die wohl auch auf Leo Scheu zurückgehen. Wessen Geistes Kind der war, behandelt etwa der Endbericht der ExpertInnenkommission für Straßennamen Graz (2017) (1).
Das tut aber weiter nichts zur Sache, es geht hier nämlich darum, dass das Künstlerhaus im Wesentlichen dem Typus einer Halle entspricht. Als nun 2013 die Leitung des Künstlerhauses seitens des Landes Steiermark an den „unabhängigen und gemeinnützigen Trägerverein“ Kunstverein Medienturm im Künstlerhaus mit dessen Obmann Sandro Droschl übergeben wurde, erweiterte dieser auch den Namen der Institution auf Künstlerhaus Halle für Kunst & Medien. In dieser Benennung klingt die Halle bereits an, wenngleich es gemeinhin und in Medienberichten durchwegs bei der weniger sperrigen Bezeichnung Künstlerhaus geblieben war. Der inhaltlichen Neuausrichtung seit 2013 mag ebendieser mit dem Namen Künstlerhaus verbundene Verweis auf die ursprüngliche Widmung an die Grazer Künstlerschaft gewissermaßen im Weg gestanden sein, die bis heute in fünf Künstlervereinigungen repräsentiert sind und ihre Jahresausstellungen im Künstlerhaus absolvierten.
Nun wissen wir nach Pressekonferenz und Presseaussendung vor wenigen Tagen, dass mit „einer feierlichen Eröffnung am 5. März 2021 […] das Künstlerhaus, Halle für Kunst und Medien in die KUNSTHALLE Steiermark transformiert“ wird. Endlich wird also die Enklise vorgenommen, endlich wird das sperrige Halle für Kunst & Medien den weithin bekannten Vorbildern in Hamburg, Wien, München, Karlsruhe et al. angeglichen: KUNSTHALLE nämlich und zudem noch die der Steiermark. Dass bisher auch eine Kunsthalle in Feldbach, eine in Leoben und die Kunsthalle Graz bestehen, einerlei, es handelt sich offenbar nicht um eingetragene Markennamen, und was sich bewährt hat, dem kann sich mit Segen der Kulturreferenten der Steiermark und Graz wohl auch der leitende Kunstverein Medienturm im Künstlerhaus annehmen. Aufgrund vor allem budgetären Vermögens und öffentlichem Auftritt könnte man durchaus vermuten, eine KUNSTHALLE Steiermark wird die schon länger bestehenden Kunsthallen in den Schatten aller Aufmerksamkeit stellen.

Einigermaßen überrascht ob der Entscheidung zur Umbenennung zeigt sich die Kunsthalle Graz mit Sitz und Ausstellungsraum in der Conrad-von-Hötzendorf-Straße. Als eingetragener Verein besteht diese Kunsthalle seit Juli 2012. Eine, gegenüber dem vormaligen Künstlerhaus freilich kleinere, aber architektonisch nichts anderes als eine Halle, wurde seit Gründung aus der Ruine einer Bäckerei in Eigeninitiative errichtet. In der ersten Ausstellung 2014 wurden Fotografien von Klaus Pichler gezeigt, Installationen in der Folge beispielsweise der Staatspreisträgerin Anita Witek oder provokant kritische Malerei von Josef Schützenhöfer. Derzeit sind Die Puppen des Nikolaus Habjan zu Gast. Allemal damit ein small space but smart place wie es Arnold Reinisch, Leiter der Kunsthalle Graz, einmal formulierte. Offenbar aber ist der small place – in mehrfacher Hinsicht – der Grund, weshalb sich ein demgegenüber großer Spieler eines bewährten Namens annehmen kann, den Namen annimmt, und nun zusieht, wie sich die kleine Halle – aber Halle – behaupten wird.

(1)  Endbericht der ExpertInnenkommission für Straßennamen Graz  
      > siehe Link graz.at

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+