11/10/2022

Wolkenschaufler_63
Die Schule der Hirten

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

11/10/2022
©: Zita Oberwalder

Ausstellungsansicht Animal Spirits

©: UMJ/J.J. Kucek

Ausstellungsansicht Animal Spirits

©: Wenzel Mraček

Als Hito Steyerls Ausstellung A Sea of Data im Mai dieses Jahres in Seoul (Südkorea) eröffnet wurde, scherzte sie gegenüber Journalisten, man solle nicht versuchen, alles auf einmal anzusehen. Das sei wohl ein bisschen zu viel, „take it easy“.
Präsentiert und besprochen wurde vor allem der neue Videoessay der deutschen Filmemacherin, Philosophin und Autorin – Animal Spirits. Der sollte in der Folge auch auf der documenta fifteen in Kassel gezeigt werden – wurde er kurzzeitig auch. Doch schon zu Anfang Juli zog Steyerl ihre Arbeit aufgrund der „polarisierten Debatte“ (Steyerl auf 3sat, 13.09.22) um antisemitische Symbolik in Bildwerken der indonesischen Gruppe Taring Padi von der documenta ab. Jetzt und bis Anfang Jänner kommenden Jahres ist Animal Spirits im Kunsthaus Graz zu sehen.

Nicht alles auf einmal sehen respektive verstehen zu wollen gilt auch hier. Der Film selbst läuft auf einer von vier Videoprojektionen und ist wiederum Teil einer Installation im nahezu völlig abgedunkelten Space01. Von der Decke abgehängte, beleuchtete Herbarien mit lebenden Pflanzen wirken wie Laternen in einer Höhle, die in den Bildprojektionen virtuell um Bilder des Höhlensystems von Lascaux erweitert scheint. Teil des Konzepts ist es auch, dass der Strom für die Herbarien wie die Videoprojektoren von einer PV-Anlage auf dem Dach der blauen Blase kommt.

Auf den Ökonomen John Maynard Keynes geht die Bezeichnung „animalische Instinkte“ zurück, nach denen irrationale Elemente wie Instinkte, Emotionen und Herdenverhalten wirtschaftliche Entwicklungen bedingten. Davon ausgehend legt Hito Steyerl ihren Film assoziativ an, wobei Fiktion und Dokumentation fließend ineinander übergehen. Der mallorquinische Historiker und Schäfer Nel erzählt von seiner Schule für Hirten, in der Wirtschafts- und Naturkunde gelehrt werden und für die sich – in Filmschnitten eingeblendet – etliche Künstler anmelden. Die Pandemie habe ihre wirtschaftliche Situation beeinträchtigt und man müsse sich um neue Geschäftsmodelle bemühen. Nel stellt nicht dar, ihn und seine Schule gibt es wirklich und er erzählt von den Problemen mit Wölfen, die Schafherden im Gebirge angreifen „sobald der Nebel einfällt“. Man müsse also vom Verhalten der Wölfe lernen, selbst zum Wolf werden, um die Tiere zu verstehen. Dann, so die Filmerzählung, versucht ein spanischer TV-Sender eine Realityshow in Nels gebirgigem Nationalpark Pico zu inszenieren. Nel tarnt sich als Wolf, um von den Kameras nicht erfasst zu werden. Schließlich, als eine Folge der Pandemie, wird die Real-Show abgesagt und ein Videospiel entworfen, in dem nun John Maynard Keynes auftritt und es darum geht, für getötete Tiere mit Bitcoins bezahlt zu werden. Nel aber hat eine Idee. Nachdem er auch Schafskäse produziert, will er „Cheesecoins“ als virtuell reale Währung einführen.

Witzig, surreal, dennoch nachvollziehbar kritisiert Hito Steyerl den anscheinend vernunftwidrigen kapitalistischen Markt. Das Überleben des Stärkeren in den NFTs und der Hype um Bitcoin wird den Hirten gegenübergestellt, die auf die Bedeutung der Natur und der Koexistenz pochen. Betreffend den Wirbel um NFTs (Repräsentationen digitaler Daten in Blockchains), über die auch Kunst gehandelt wird, äußerte sich Steyerl schon in Korea kritisch. NFTs änderten nichts an den Mechanismen des Markts, wenngleich damit ein neues Produkt erfunden wurde.

Was ist es denn, fragt sich der Wolkenschaufler, wenn man sich die digitalisierten, zentimetergroßen Bildausschnitte von Gustav Klimts Der Kuss um jeweils 1.850 € gekauft hat? Man verfügt exklusiv über den digitalen Zugang zu einer Datenmenge, die nichts ist als ein Puzzleteil der digitalen Abbildung des Gemäldes. Seitens des Belvedere zu Wien wurde Anfang Mai des Jahres der bisherige Erlös mit 4,4 Mio. Euro beziffert. Erste Käufe wurden auch schon rückabgewickelt. Vielleicht aufgrund der Einsicht, nun eigentlich Cheesecoins zu besitzen.

Peter Laukhardt

Dermaßen vom Wolkenschaufler vorgebildet, werde ich es wagen. Vor den NTFs und den blockchanes grausts mir dennoch schon jetzt. Dagegen ist ja das Weltall leichter zu überblicken.

Di. 11/10/2022 18:32 Permalink
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