06/12/2022

Wolkenschaufler_65
Günther Domenig revisited

Bemerkungen zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) von Wenzel Mraček

Diese Kolumne erscheint jeden 2. Dienstag des Monats und heute ausnahmsweise eine Woche früher.

06/12/2022

Die Spar-Version des Nix-Nuz-Nix, vormals Z-Sparkasse, heute Sparfiliale Dietrichsteinplatz

©: Wenzel Mraček

Ausstellungsansicht Kunsthaus Muerz

©: Wenzel Mraček

Dias aus den Vorlesungen „Grundlagen der Gebäudelehre“, angelegt von Laszlo Pap

©: Wenzel Mraček

STADT RAGNITZ, Peter Kaschnig 2022

©: Wenzel Mraček

Steinhaus, Modell: Gruber, Kharnpec, Kleinhapl, Koberg, Sammer, Widernschek

©: Wenzel Mraček

Ich werde aus der Darstellung nicht ganz schlau: Der Architekt Günther Domenig wurde am 6. Juli 1934 in Klagenfurt geboren. Zur Feier dessen 51. Geburtstags, schreibt Ausstellungskurator Michael Zinganel auf Facebook (9. Okt. 2022), wurde dem Architekten in einer Buschenschank bei Graz „mit einem Kran ein Vogel namens Nix-Nuz-Nix zugestellt“. Das Ereignis ist auf Fotografien von Helmut Tezak festgehalten, die mit 1983 bezeichnet sind – sowohl auf dem Facebook-Eintrag als auch in der Ausstellung im Kunsthaus Muerz. 1983 müsste Günther Domenig aber 49 Jahre alt geworden sein. Sei’s drum, die Geschichte der sieben Meter langen Skulptur ist in einem Wandtext im KH Muerz erläutert. Nach Domenigs Entwurf von 1983 wurde der Nix-Nuz-Nix, der „Zitate einer Concorde und einer Harley-Davidson verbindet“, von Andreas Gruber konstruiert und im selben Jahr „von Herrn Tüchler, dem besten Mann bei Metallbau Treiber, gebaut“. Dann müsste die Geburtstagsfeier stattgefunden haben und der Vogel kam am Kran geflogen.

Geplant war, den Nix-Nuz-Nix als „Verstärkermal“ im Eingangsbereich der Z-Filiale am Grazer Dietrichsteinplatz (Domenig 1981 – 1986, heute Spar) zu installieren. Allein, die Herstellung hatte 1,5 Millionen Schilling gekostet, – weiß Michael Zinganel „nach Domenigs eigenen Angaben“. Zu teuer für die Auftraggeber und auch insofern zu groß, als die Skulptur das Fenster „über dem Eingang in die Bank durchstieß“. Ob der Schnabel des originalen Vogels das Fenster nun bei versuchter Anbringung durchstoßen hatte – oder nur hätte, weil man merkwürdig spät erkannte, dass er zu groß war, – wissen wir nicht. Jedenfalls wurde eine kleinere Variante konstruiert, die dem Gebäude bis heute erhalten geblieben ist. Der große Vogel dagegen tourte infolge durch einige Ausstellungen und fand seinen Landeplatz schließlich als Lichtobjekt im großen Kubus des Steinhauses am Ossiacher See.

In diese Leben und Werk beschreibende Ausstellung über den vor zehn Jahren in Graz verstorbenen Günther Domenig hat Ausstellungsgestalter Michael Zinganel schiere Unmengen Materials eingebracht, für deren gründliche Betrachtung wohl einige Tagwerke veranschlagt werden müssten. Zinganel selbst stellt sich in der Schau unter dem Titel Wir Günther Domenig – Eine Korrektur eingangs insofern vor, als damit auch schon auf die Intention der Anlage dieses Konvoluts geschlossen werden kann: Ab 1979 studierte Zinganel Architektur an der TU Graz. Er habe den „Aktivismus“ des Professors erlebt, seine Einladungspolitik für Gastvortragende oder die „elitären Exkursionen, zu denen nur ausgesuchte Studierende zugelassen waren“. Über Vermittlung seines älteren Bruders Peter, der zehn Jahre für Domenig und Hermann Eisenköck gearbeitet hat, erhielt Michael 1985 den Auftrag, ein Haus für Domenigs Schwägerin zu entwerfen und 1987/88 für Entwürfe zum Umbau des Funder Werks II in St. Veit an der Glan. Letztere führten dazu, dass der Chef und sein beauftragter Mitarbeiter aneinander gerieten, weil dieser eine Überladung durch zusätzliche künstlerische Interventionen verweigerte. Dennoch „intervenierte sich“ Domenig 1991 als Zweitprüfer in die Diplomarbeit Zinganels „hinein“ und schlug ihn später als Assistent bei seinem Nachfolger Hrvoje Njirić am Institut für Gebäudelehre vor. 

Im besten Sinn strukturalistisch angelegt, ist die jeweils detaillierte Darstellung nicht allein wegen einer Erläuterung von Entwürfen und Bauten, vielmehr von Lebensumständen seit der Kindheit des Künstlerarchitekten, mit Porträts seiner offiziellen Büropartner und seiner Mitarbeiter beziehungsweise mit Kommentaren von Beamt*innen, Baumeister*innen, Sammler*innen und Kritiker*innen. Auch wenn Zinganel einleitet, das „Wort ‘Wir’ existierte im Sprachgebrauch Günther Domenigs nicht“, war er keine solitäre Erscheinung, wofür zunächst die Büropartnerschaften stehen: mit Eilfried Huth von 1965 (1963 nach AZ-Wien) bis 1975 in Graz und München, mit Hermann Eisenköck und Herfried Peyker von 1998 bis 2006 und mit Gerhard Wallner von 2003 bis 2012 in Graz. In der Zeit von 1974 bis 1998 unterhielt Domenig Architekturbüros in Klagenfurt, Graz und Wien.

Die im Untertitel anklingende „Korrektur“ gegenüber dem nicht existierenden „Wir“ in seinem Sprachgebrauch wird eingangs schon durch eine Videothek vorgenommen. Zu Demonigs (er war mit dieser Verballhornung offenbar ganz zufrieden; durchaus vorstellbar, sie stammte ursprünglich von ihm selbst; bei einer Veranstaltung im Forum Stadtpark zu Anfang der 2000er meldete er sich aus dem Publikum zu Wort und stellte sich so vor – I was witness!), zu Domenigs 70. Geburtstag also, im Jahr 2003, legten Christian Fröhlich und Günter Koberg eine Serie von Videointerviews mit Volker Giencke, Giselbert Hoke, Eilfried Huth, Peter Noever und Walter Pichler an (Gesamtdauer etwa vier Stunden), in denen immer wieder auf Charakterzüge des Protagonisten eingegangen wird. So beschreibt Eilfried Huth ihn etwa als hervorragenden Sportler, Handball-, Eishockey-Tormann, „als Fußballgoalie war er vielleicht etwas zu klein“ und als versierten Pianisten. In jungen Jahren, so Huth, sei er immer wieder durch Ironie und Witz aufgefallen, die sich allerdings – und Huth zögert hier, dann aber doch – später in, ja, „nicht immer angenehmen Zynismus verkehrt“ hätten. Der Bildhauer Walter Pichler erzählt, man habe einander während seiner Ausstellung (mit Hans Hollein) Architektur 1963 in der Galerie nächst St. Stephan kennengelernt. Seit Pichlers Interesse am Bau der Z-Sparkasse in Favoriten sei Domenigs Zeichentechnik von der Pichlers beeinflusst wie auch Domenigs Tendenz zu Plastizität und eigenständigen künstlerischen Objekten. Im Interview zeigt sich Pichler allerdings skeptisch gegenüber Domenigs „Fluchtversuchen“ in die bildende Kunst.

Freilich sind so gut wie alle realisierten wie im Konzept verbliebenen Projekte Domenigs und Beteiligter in der Ausstellung aufgeführt, sind in Modellen, Plänen und Stellungnahmen ausgebreitet. Ein Kapitel etwa handelt von dessen Lehrtätigkeit und seinen Schüler*innen inklusive eines Auszugs aus der Sammlung von Dias zu Architektur und bildender Kunst (angelegt bis 1989 von Laszlo Pap), die in den Vorlesungen gezeigt wurden. Michael Zinganel führt dazu aus (Wandtext), dass die späteren, „immer seltener werdenden Vorlesungen“ deutlich von „Angriffen auf die Institution Universität oder Abrechnung mit den Gegnern seiner Architekturauffassung, die er überall vermutete“ geprägt waren. Die Hörsäle aber „waren voll – und die scharfe Polemik blieb allen Anwesenden in Erinnerung“.

Auch wenn ich mich hier in die Nesseln setze, gebe ich wieder, was in der Ausstellung so zu erfahren ist (vgl. auch Anselm Wagner, https://www.gat.st/news/wie-die-grazer-schule-zweimal-erfunden-worden-is...): Kritik – auch an Eilfried Huth – kam vonseiten Bernhard Hafners, der 1969 in der Architekturzeitschrift DER BAU „gewissermaßen das Urheberrecht für die ‘Strukturelle Architektur’ der ‘Grazer Schule’ sowie die Rolle ihres führenden Theoretikers mit den Architekturzeichensälen als deren tragende Institution“ beanspruchte. Hafners Anliegen vor allem war es, „Pionierleistungen garantiert“ zu wissen und sie „vor älteren Nachahmer*innen“ zu schützen. Gegenüber (auch) dem mit 1963 datierten Entwurf der STADT RAGNITZ von DOMENIG+HUTH (1969 mit dem Grand Prix in Cannes ausgezeichnet) verwies Hafner auf von ihm angelegte Ausstellungen 1965 in Kapfenberg und 1966 in Graz („Struktureller Städtebau“). Womit, wie auch Anselm Wagner andeutet, in Hafners BAU-Text „eine Art Plagiat“ anklingt. In Zinganels Ausstellungstext ist darüber hinaus zu lesen, dass Bernhard Hafner auch später auf seiner kritischen Haltung gegenüber Domenig beharrte und ihm vorwarf, „jeden ‘modischen Trend’ zu absorbieren und sich durch rückdatierte Skizzen zum Trendsetter zu machen“.

Schließlich zwei Beispiele aus den etlichen Korrekturen, die in dieser Ausstellung einer „fragmentarischen Biographie und Werkgenese“ vorgenommen werden, wobei der Fokus stets auf für die Umsetzung maßgeblichen Mitarbeiter gerichtet ist. Weil man, nachdem sich Domenig und Eilfried Huth getrennt hatten, die Autorenschaft während der Büropartnerschaft „anhand vermeintlicher Handschrift“ klären wollte, wurde der Entwurf für die Mehrzweckhalle der Schulschwestern in Graz-Eggenberg (1974 – 1979) Günther Domenig zugesprochen. Huth, der seit 1972 (nach AZ-Wien, Zinganel schreibt 1974) an der Deutschlandsberger Eschensiedlung arbeitete, führt an, der Mehrzwecksaal sei noch in gemeinsamen Dialogen entwickelt worden. Als Projektleiter habe Volker Giencke einen Großteil der Verantwortung getragen. Im Juni dieses Jahres (nicht in der Ausstellung) meldete sich Eilfried Huth in der Kleinen Zeitung mit einer „Klarstellung“ zu Wort (14.06.2022). Den Auftrag habe das Büro Domenig und Huth erhalten. Der realisierte Entwurf aber stamme von Volker Giencke, dem man „das Projekt übertragen“ habe, während die wellige Dachform vom Statiker Otto Thaller entwickelt wurde. Form und Bauweise wiederum sind angelehnt an Pascal Häusermanns organisch anmutende Bauten aus Spritzbeton. Häusermanns war 1974 von Huth und Domenig auch ins Forum Stadtpark eingeladen worden.

1965 erhielten Huth und Domenig den Auftrag, eine „Studie“ für eine Wohnanlage in Graz-Ragnitz zu erstellen. Gegenüber der groß dimensionierten „Megastruktur“ (deren Entwurf in der Ausstellung mit 1963 bezeichnet ist) um ein technoides Traggerüst mit Versorgungsschächten, einzusetzenden Wohnmodulen etc. zeigte sich der Auftraggeber überfordert, zahlte die Architekten aus und ersparte sich den Umsetzungsauftrag. Für eine Ausstellung 1967 im Forum Stadtpark (mit der Werkgruppe Graz) wurde das Konzept zur endlos wachsenden Stadtstruktur STADT RAGNITZ erweitert. 1969 wurde STADT RAGNITZ in Cannes mit dem Grand Prix d’Urbanisme et d’Architecture ausgezeichnet. In der Schau wiederum ist das jüngste der dazu angefertigten Modelle zu sehen. Für die Präsentation im Forum Stadtpark bauten Hartmut Skerbisch, Peter Stöffler und Hansjörg Zessik ein erstes. Nicht in der Ausstellung: Auf nextroom (https://www.nextroom.at/building.php?id=18987) lesen wir, dieses Modell sei nach zahlreichen Ausstellungen in Europa auf dem Rückweg nach Graz zerstört worden. Im Kunsthaus Muerz führt Zinganel deutlicher aus, das Modell sei „absichtlich so fahrlässig verpackt“ worden, dass es zerstört in Graz ankam, worauf man sich eine Versicherungssumme auszahlen lassen konnte. Nach einer Anfrage des FRAC Centre-Val de Loire in Orléans um Ankauf von Zeichnungen und Modellen wurde Peter Kaschnig 2001 mit dem Bau eines zweiten Modells beauftragt. Und auf Initiative von Wolfdieter Dreibholz, baute Kaschnig sein Modell in diesem Jahr ein zweites Mal.

Sehen Sie sich das – und noch viel mehr – an!

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WIR GÜNTHER DOMENIG. Eine Korrektur. Die Ausstellung ist im Kunsthaus Muerz bis 5. Februar 2023 zu sehen. Wiener Straße 35, 8680 Mürzzuschlag. kunsthausmuerz.at

Tschavgova

Zitat:
Huth, der seit 1972 (nach AZ-Wien, Zinganel schreibt 1974) an der Deutschlandsberger Eschensiedlung arbeitete, ......
Im Katalog: 13 Standpunkte, Grazer „Schule“ Architektur-Investitionen (1984, zur Ausstellung im Forum Stadtpark) ist in den biographischen Anmerkungen bei Huth der Beginn der Planung der Eschensiedlung auch mit 1972 angegeben (was ich ehrlich gesagt nicht für erheblich halte). Das Ende der Partnerschaft mit Huth wird dort mit 1973 angegeben, auch von Domenig im Biographieteil des Katalogs persönlich kommentiert, und ist auch mit diesem Datum nachvollziehbar, da die Arbeit in München vorbei war, wo Domenig auch schon der Alleinvertreter des Büros vor Ort war und Huth schon in seinem Mitbestimmungsmodell tätig. Man könnte natürlich noch Volker Giencke selbst dazu befragen, Giencke immer noch mit ck, trotz allgemeiner physischer Schrumpfung im Alter (ist nicht ironisch gemeint).
Ob der Nixnutznix wirklich nur NICHT über dem Eingang der Z-Filiale hing, weil er zu groß dafür geplant war, wage ich zu bezweifeln. Im Katalog schreibt Falk Jaeger, der damalige Kurator, vom „Objekt, dem gegenwärtig seine (Anm.:Domenigs) ganze Zuneigung gilt. Ursprünglich war der Vogel als Eingangsobjekt für eine Bankfiliale in Graz gedacht. Mit der Arbeit an dem technischen Edelstahlobjekt wuchs seine Verbundenheit mit ihm; jetzt gibt er ihn nicht mehr her.“ Nachdem Domenig damals viel Zeit bei Metallbau Treiber verbrachte, fasziniert davon, was dieses Unternehmen und man/Architekt mit ihm schaffen konnte, ist diese Version durchaus plausibel. Laut Jaeger hat Domenig bereits 1984 davon gesprochen, dass der große Vogel einen Raum in seinem „Steinhaus“ (damals noch eine Vorstellung, ein Traum Domenigs und in Parenthese geschrieben) bekommen würde.
Eine banalere Erklärung, warum der Nixnutznix als Prototyp doch nicht im Eingang der heutigen Sparfiliale hängt, könnte sein, dass Domenig ihn ohne klaren Auftrag der Bank, eigenmächtig, bei der Firma Treiber beauftragte und der der Bank dann einfach zu teuer war....
Wie auch immer: auch so eine Geschichte würde das sehr gering entwickelte „Wirgefühl“ Domenigs erklären, wäre sie so gewesen. Zu empfehlen ist auch Falk Jaegers Erzählung darüber, wie sich Domenig das Steinhaus und seine ideale Nutzung dachte und zugleich selbst vermutete, dass es eh nie fertig werden würde. In der Nutzung als Werkstatt für Architektur gab es ein „Wir“, allerdings wäre das ein elitäres Wir für 25 Leute gewesen, die laut Domenig dort zeitweise wohnen und arbeiten sollten. Was jetzt, wo das Steinhaus im Besitz des Landes Kärnten ist, eh passiert, mit Workshops im Sommer, soweit ich informiert bin. Und was auch gut ist so – ein Freiraum für die Entwicklung eines Ichs im Wir.

Do. 08/12/2022 19:39 Permalink
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