09/05/2023

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

09/05/2023

Über Wasser gehen, 2020, Videostill

©: Wenzel Mraček

Steinbilder – Vera-Icon, 1987-89, Öl auf Jute

©: Wenzel Mraček

Schatten, 2013/2023, Schwarzlotmalerei auf Glas, sandgestrahlt

©: Wenzel Mraček

IRIS, 2022, Videostill

©: Wenzel Mraček

Das hat jetzt nichts mit der infolge besprochenen Ausstellung zu tun, aber eine kleine ironische Verkehrung gegenüber Wilhelm Scheruebls Über Wasser gehen (Video, 2020) sei mir gestattet. Wenn es also darum geht, über Wasser zu gehen – und der Künstler ironisiert unsere Assoziation ja selbst –, denkt unsereins freilich an das überlieferte Wunder, als Jesus den Jüngern im Boot auf dem See Genezareth zu Fuß entgegen kam.
Doch siehe, also ecce, einige Weile darauf ward der Sport erfunden und es begab sich in der Stadt der Engel anno Domini 2005, dass Ben Harper anhub zu singen: „they keep telling me jesus walked on water / he shoulda surfed“.

In seinem Video dagegen, und meist bergan, geht Wilhelm Scheruebl auf Schiern über gefrorenes Wasser, nämlich durch eine wie unberührt erscheinende, von schneebedeckten Bäumen durchsetzte Winterlandschaft vor leicht bewölktem Himmel. Ein Kunstwerk aus einem ungenannten Winter-Wunder-Land vor dem wir uns fragen, ob es so überhaupt existiert (hat). Kurator Johannes Rauchenberger begreift den 71 Minuten langen Film als eine kontradiktorische Kritik, wenn er schreibt: „Die Schönheit, die Scheruebl zeigt, ist nicht mehr zu genießen, ohne ihr aufgrund des Massentourismus offenkundig devastiertes Gegenteil mitzudenken. Und der Titel, ‘Über Wasser gehen’ lässt eher an die steigende Schneefallgrenze denken als an die Bibel …“.

Ingredienzien für seine Kunst findet der 1961 in Radstadt geborene und dort lebende Wilhelm Scheruebl zumeist auf Wanderungen durch österreichische Berglandschaften, aber auch während Arbeitsaufenthalten in Paris, in Schottland oder zuletzt, 2022, in Mexiko. Er sammelt Pflanzen oder lässt, wie in der Serie von Minusaquarellen, aufgebrachtes Indigo auf Papier gefrieren, woraus Bilder entstehen, die an Fotografien denken lassen. Der Ausstellungstitel GEHEN & VERGEHEN bezeichnet somit einerseits die Arbeitsweise, deutet aber auch auf die zeitbedingte Existenz von pflanzlichem Material hin, das in Scheruebls Arbeiten sinnbildlich für die Existenz schlechthin steht respektive für eine Art Metamorphose wie er sie schon bald nach seinem Studium (Bildhauerei bei Bruno Gironcoli) etwa durch photosynthetische Verfahren veranschaulichte. Das „Vergehen“ im Titel ist freilich auch mehrfach zu interpretieren. Neben dem Zerfall und dem Verlaufen mag es gleichermaßen für die Konvention- oder Genreüberschreitung stehen nach der bildhauerisches Prozedere in Scheruebls Tafelmalerei führt. Großformatige Werke unter dem Titel Steinbilder – Vera-Icon lassen abermals den Glaubenskontext vermuten. Tatsächlich handelt diese Form von Malerei aber von Bild und Abbild, von der direkten Übertragung des Motivs, zugleich Malmittel, auf einen Bildträger und der Frage, was schließlich das wahre Bild sein könnte. Die Abfälle früher Steinbildhauerei übergießt Scheruebl mit Leinöl und gelbem Pigment und fixiert sie zur Trocknung auf einen Bildträger. Schließlich wieder abgenommen, verbleiben Vertiefungen und Farbstrukturen als Abstraktion der Steine.

Von der Ähnlichkeit physiologischer beziehungsweise vegetabiler Strukturen handelt schließlich ein weiteres Video mit dem Titel IRIS (2022). Auf den ersten Blick glaubt man, Makroaufnahmen eines Augapfels zu erkennen. Tatsächlich aber sind es von oben gefilmte, kahle Bäume vor schneebedecktem Grund. 

Die Ausstellung GEHEN & VERGEHEN mit Arbeiten von Wilhelm Scheruebl ist bis zum 15. Juli im KULTUM, Kulturzentrum bei den Minoriten, Mariahilferplatz 3, Graz, zu sehen.

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