19/11/2018

YOSTAR – Nachlese und Rezension

Eine der vielfältigsten Ausstellungen des Architektursommers 2018 in Graz war sicher YOSTAR vom 20.06. – 08.07.2018 im HDA

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Buch
YOSTAR – Young Styrian Architecture
Hrsg.: Petra Kickenweitz, Armin Stocker, Ziga Kresevic
Paperback, 376 Seiten, sw
Deutsch, Slowenisch
Verlag der Technischen Universität Graz, 2018
ISBN: 978-3-85125-624-6

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Ausstellung
YOSTAR
Architektur Galerie Berlin
Karl-Marx-Allee 96
10243 Berlin
30.11.– 8.12.2018

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19/11/2018

Ausstellung YOSTAR vom 20.06. – 08.07.2018 im HDA Graz

©: Thomas Raggam

YOSTAR im HDA Graz

©: Thomas Raggam

YOSTAR im HDA Graz

©: Thomas Raggam

YOSTAR, Buch

Eine der vielfältigsten Ausstellungen des heurigen Architektursommers in Graz war sicher YOSTAR vom 20.06. – 08.07.2018 im HDA Graz. Die Intention der drei VeranstalterInnen Armin Stocker, Petra Kickenweitz und Ziga Kresevic war, in Form einer Momentaufnahme eine Art atmosphärische Übersicht auf die „jungen“ Architekturbüros der näheren Umgebung zu geben.
Kriterien für eine Teilnahme waren eine Büro- oder Ateliergründung ab dem Jahr 2000 und ein eindeutiger Bezug zur Region der österreichischen oder slowenischen Steiermark – kurz „Styria“. YOung STyrian ARchitecture also...

Das zeitliche Teilnahmekriterium einer Gründung seit 2000 führte zu einem geradezu generationenübergreifenden Spektrum – zwischen vielen neuen Gesichtern bzw. Arbeitsgruppen fanden sich einige mittlerweile durchaus arrivierte Büros, die im Vergleich aber oftmals frecher auftreten als die „next generation“…
Der räumliche Parameter zwingt ebenso zum Nachdenken, vor allem im Jahr 2018: Die Region Styria ist jenseits der nationalstaatlichen Grenzziehung von 1918 eine Gegebenheit, aber den InitiatorInnen lag nicht daran, „falsch verstandene Heimatbegrifflichkeiten“ in den Mittelpunkt zu stellen, sondern einfach zu sehen, was in der näheren Umgebung bzw. Nachbarschaft entsteht, und ob es einen inneren Zusammenhang gäbe. Gemeinsamer Kulturraum jenseits von Nationalstaatlichkeit und Regionalismus war ja schon Thema der TRIGON – Biennalen, wo in einem überregionalen Diskurs nach einer gemeinsamen Aussage, einem Beitrag zur mitteleuropäischen Moderne gesucht wurde.
Die jungen ArchitektInnen aus Styria – Wer sind sie, wofür stehen sie, was treibt sie an, wohin wollen sie? – und gibt es überhaupt ein „sie“ – sind es nicht Fragmente, Individuen, die zufällig die gleiche „Profession“ haben, aber deren „Zielvorstellungen“ und „Handlungsstrategien“ weit auseinanderliegen?
Ein Eingangsstatement zur eigenen Position als ArchitektIn, drei Fragen zu prägenden Vorbildern und eigenem beispielhaften Schaffen, drei Bilder zur Dokumentation. So luftig war dann auch die erste Ausstellung im HDA. Die Portraits und Kommentare der 76 eingereichten Büros oder Ateliers waren steckbriefartig an der Wand befestigt, während die den drei Fragen zugehörigen Bilder an Stahlseilen abgehängt von der Decke schwebten.
Der fehlende Bezug zwischen Wort und Bild sorgte leider auch für gehörige Verwirrung, aber man konnte unwissenschaftliche Erkundungsgänge unternehmen, und zwischen allen möglichen Eindrücken, Beispielen und Vorbildern pendeln – in einer Wolke Puzzlespielen.
Eines wurde dabei schnell deutlich: „Die Szene“ gibt es tatsächlich nicht – wenn es sie jemals gegeben hat. Ein „eindeutiger“ Stil wird ja nur von der Nachwelt entdeckt oder „beschworen“, so, wie es auch der Grazer Schule ergangen ist....
Aber man kann es ja auch anders formulieren: Der am ehesten gemeinsame Nenner der (gegenwärtigen?) Architekturszene ist – trotz allen der Globalisierung und politischen Korrektheit geschuldeten geglätteten Statements – heterogen. So hat diese unkuratierte und unzensierte Zustandsbeschreibung alle Wege in einen Diskurs offen gelassen, der dann auch im Anschluss an die begleitenden Kurzvorträge und Podiumsdiskussionen, die manchmal durchaus den Charakter von Klassentreffen hatten, geführt wurde.
Auf jeden Fall zeigen auch die Kommentare im Anschluss an den provokanten Artikel von Karin Tschavgova Aber Hallo! 48 im GAT, dass einige Menschen sich tatsächlich Gedanken um die Thematik machen und zumindest anonym kritische Stellungnahmen liefern. Leider blieb die Diskussion in einer Art Generationskonflikt hängen, wobei der Aufruf im Artikel – nach dem Radikalen, Besonderen der Architektur – eigentlich bis heute unbeantwortet, unbesprochen blieb.
Im Rahmen der folgenden zweiten Ausstellung im Hiša Arhitekture Maribor wurde der YOSTAR-Ausstellungskatalog präsentiert, eine dritte Ausstellung wird Ende November in der Architektur Galerie Berlin folgen, eingeleitet am 29.11.2018 von der Neo-Dekanin der TU Graz, Petra Petersson, und Roger Riewe, gemeinsam mit dem YOSTAR-Team.

Das ureigenste Medium der ArchitektInnen ist nicht die Schriftsprache, es ist die Zeichnung, der Plan. Dass es (jedem) guttut, über die eigenen Intentionen nachzudenken, sich die Zeit dafür zu nehmen, steht außer Frage. Gerade diese Gedanken, die sich oftmals zwischen Emotionen und Ideen, zwischen eigenen und externen Ansprüchen verbergen, auch noch verständlich zu formulieren, ohne peinlich persönlich zu werden oder andererseits schale Werbebotschaften zu verbreiten, ist anscheinend vor allem für ArchitektInnen schwierig.
Doch es lohnt sich durchaus, den Ausstellungskatalog zu studieren, der als recht beeindruckender weißer „Ziegel“ daherkommt.
Auf eine kurze Einleitung der InitiatorInnen, die nochmals das Gesamtkonzept erläutert, folgen drei Aufsätze, deren innerer Zusammenhang mit dem Ausstellungsinhalt und -konzept von YOSTAR sich auch dem aufmerksamsten Leser nicht immer erschließt – und dies ist NICHT nur dem Schriftbild geschuldet.
Doch auch hier zeigt sich im Übrigen, dass das grafische Auge nicht immer mit dem Schriftbild konformgeht: Formal recht schön, haptisch gut, ist die Lesbarkeit äußerst eingeschränkt. Die Schriftgrößen verschwimmen ineinander, man verwechselt Seitenzahlen mit Fußnoten oder Zahlenangaben, die schmalen Spalten der Essays bieten maximal Platz für vier kurze oder zweieinhalb lange Wörter – ein Lesefluss kann sich kaum einstellen.
Andreas Lechner erzählt im ersten Essay There are a lot of Architects, we`re all good. quasi die Architektur-Vorgeschichte der YOSTARs. Der Blundell Jones folgenden Kategorisierung wären sie die nunmehr fünfte Generation der (zu)vielzitierten Grazer Schule (1). Es sollte aber gerade bei YOSTARs nicht darum gehen, die Asche zu hüten?
Matevz Celik spricht über die Bezüge des Gebauten zum (regionalen?) Raum, von der Topografie, den Erfordernissen der ortsbezogenen Baumaterialien, den vorhandenen Rohstoffen, und wiederum über deren Einflüsse auf die Architektur eines bestimmten Ortes, also über Bauen im geografischen und historischen Kontext. In Slowenien konnte sich, gerade durch die Grenzlage, gerade auch durch die Separation, eine sehr eigenständige Architektur entwickeln, über die Celik eine gute Übersicht bietet. Vielleicht wäre es an der Zeit, die eine oder andere Vorarlberg-Exkursion zugunsten einer sicher ungewöhnlicheren Erkundung der bis dato weniger beachteten Architekturlandschaft in Ptuj oder Maribor zu ersetzen?
Der dritte Essay stammt von Walter M. Chramosta, und stellt die erstaunliche Frage: „Können "Yostars" die Jugend in der Baukunst manifestieren, die über eine ethische Haltung verfügt, um heutzutage Gut und Böse in der Architektur zu trennen?“. Über das Stichwort des entworfenen Selbstbildnisses wird dann auf Ludwig Wittgenstein und dessen Verständnis der Welterzeugung umgeschwenkt – und an dieser Stelle möchte ich allen an Architektur und Philosophie interessierten LeserInnen einfach nur nahelegen, nochmals Jan Turnovskys wunderbare Poetik des Mauervorsprungs zu lesen …

Alle 76 eingereichten Projekte sind nun wie schon in der Ausstellung in knapper Form dokumentiert, ein mehr oder minder „selbstreferenzierender“ Kommentar am Anfang, danach die jeweiligen Kommentare in Form von Foto und Text. Die Eigencharakteristiken bleiben oftmals recht farblos, wirken teilweise kommerziell und konturlos. Gerade hier sind natürlich Ausnahmen spannend:
„Wir wollen Geschichten erzählen…“, „Architektur ist erstarrte Musik“, oder die Sehnsucht, „aus dem Fliegenglas zu entkommen“?
Dem „Wir sollten uns nicht zu ernst nehmen“ kann man vorbehaltlos zustimmen, allerdings sollten Neurochirurginnen wie auch Putzmänner ernst nehmen, was sie in die Welt legen/setzen/stellen …so wie eben ArchitektInnen auch.

Ähnlich ist es mit den Antworten auf die drei Fragen an die YOSTARs:
Welches vernakuläre Gebäude oder welche räumliche Situation in „Styria“ findest Du inspirierend und wegweisend für deine Architekturauffassung?
Welches aktuelle Projekt einer anderen Architektin/ eines anderen Architekten in „Styria“ findest du wegweisend?
Welches deiner eigenen Projekte findest du für die aktuelle Architekturproduktion am relevantesten?

Das wesentliche findet sich auch hier zwischen den Zeilen, und oftmals im Vergleich zwischen den Beiträgen: Gerade bei den „vorbildlichen“ räumlichen Situationen finden sich (allengötternseidank!) auch einige logische Ausreißer, unscheinbare Selbstverständlichkeiten, alltägliche Ausnahmen – umso wesentlicher, sie zu benennen: die Raumerfahrung eines Hopfengartens (vom Auto aus, wenn man in Urlaub fährt?), der Erinnerungsraum im „Haus der Vorfahren“, der Naturraum, den der Ausblick auf ein Tal gewährt, der Stadtraum, der sich um eine historische Wehrmauer bildet, der Wissensraum, den die Bücher einer Bibliothek aufzuspannen vermögen, oder die gleichzeitige Verhandlung von sozialen und gebaut-gedachten Räumen, wie sie in Architekturzeichensälen möglich ist.
Den Award der „steirischen Vorbildprojekte“ räumt wohl Pentaplan ab; aber es finden sich auch die anderen „üblichen Verdächtigen“…
Aufschlussreich ist dann vor allem die Verbindung zum eigenen Projekt, was und wieviel der genannten/ zugegebenen oder erwünschten Prägung findet sich dort wieder? Ist in den Aussagen, in der Atmosphäre der Fotos ein roter Faden, eine kohärente Linie erkennbar? Wie und in welcher Form halten die Projekte die Versprechen, die die Vorbilder gaben?
Und vielleicht – zumindest zu erahnen - wäre als Ergebnis auch „etwas Anderes“ als Architektur denkbar gewesen?

YOSTAR bleibt als Ausstellung wie auch als Buch im Prozesshaften. Diese Ansätze einer „Leistungsschau“ sind nicht sauber geglättet, liefern bei näherer Betrachtung aber durchaus inspirierende Angriffsflächen und Möglichkeitsräume.

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(1) Ich entschuldige mich im Vorhinein bei jeder ungebetenen und extern so eingeschätzten Nachfolgegeneration für den Vergleich, aber er drängt sich nun mal auf: Selbst bei Thomas Mann hatte der Niedergang einer Familie nur vier Generationen gebraucht?

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