18/06/2021

Geballtes Architekturerleben

Marion Starzacher zu Architektur und Bildung: Leben Lernen Raum anlässlich des Auftakts der Architekturtage 2021 | 22 vom 11. – 12. Juni 2021.

Der Auftakt der Architekturtage 2021 fand digital als Architekturtage-TV statt. Aus der Steiermark gab es dazu zwei Beiträge, die Positivbeispiele von Schulen zeigen sowie deren Entwicklung durch Architekturwettbwerbe, siehe Link hda-graz.at.

.

18/06/2021

Architekturtage TV: "Vom Wettbewerb bis zum realisierten Projekt: VS Leopoldinum – Smart City Graz". Architektur: Alexa Zahn. Bild: Screenshot Red. GAT, s. Link > hda-graz.at

©: HDA – Haus der Architektur

Architekturtage TV: "Vom Wettbewerb bis zum realisierten Projekt: VS Preding". Architektur: projekt CC. Bild: Screenshot Red. GAT, s. Link > hda-graz.at

©: HDA – Haus der Architektur

Architekturtage 2021 // Architekturtage-TV // viele Stunden geballtes Architekturerleben – virtuell, online, mittelbar, unmittelbar, on demand, zum Nachsehen, zum Genießen, zum Weitergeben

In diesem Jahr präsentierten sich die Architekturtage in einem besonderen Format, welches uns doch schon seit einem Jahr begleitet. Pandemiebedingt haben wir einen Digitalisierungschub erfahren, wir verwenden mit einer Eloquenz Begriffe, die vor einem Jahr noch nicht diese Bedeutung hatten, wie heute: Onlinemeetings, Homeschooling, Homeoffice, synchrone und / oder asynchrone Lehre, Schichtbetrieb in Schule, uvm.
Wir sprechen in professionellem Ton über Vor- und Nachteile der Impfung, protestieren gegen Maskenpflicht und Ausgangsbeschränkung und befinden uns gerade in der Wiederentdeckung des öffentlichen Raums und der uneingeschränkten Bewegungsfreiheit.
In diesem Jahr ist ein anderes Bewusstsein in Bezug auf öffentliche und private Räume entstanden, denn wir haben – ich spreche hier vom europäischen Raum – schon lange oder noch nie Einschränkungen in dieser Form miterlebt. Eingeschränkt auf einen kleinen Bewegungsradius, eingeschränkt auf wenige Wege; Sport, Schule, Arbeit, Studium und Zerstreuung waren nur unter gewissen Rahmenbedingungen möglich. Manche Dinge waren gar nicht möglich. Langsam beginnt sich das Alltagsleben wieder zu entfalten und die öffentlichen Räume füllen sich wieder.
Der private Raum erfuhr einen neuen Stellenwert, private Räume wurden von den Bewohnenden für Funktionen genutzt, wofür diese nicht konzipiert sind. Grenzen wurden sichtbar, ebenfalls Wünsche und Bedürfnisse. Wir haben uns sehr stark damit auseinandergesetzt und versucht, die privaten Räume und die technische Infrastruktur den neuen Bedürfnissen anzupassen.

Doch auch, und jetzt kommen die Architekturtage 2021 ins Spiel, an die Bildungsbauten wurden neue Anforderungen gesetzt: Distance learning, hybrider Unterricht, Schichtbetrieb. Dies sind einige Begriffe, die alle Beteiligten wie auch die Gebäude an ihre Grenzen gebracht haben. Es wurde auch ersichtlich, vor allem im Schichtbetrieb, wie wichtig die Kleingruppenarbeit ist, aber es wurde auch ersichtlich, wieviel und welcher Raum dafür benötigt wird.
Architektur und Bildung, Leben Lernen Raum, so lautet das Motto der diesjährigen Architekturtage, die allerdings von heute (11.06.2021) an, 365 Tage andauern. Ein ganzes Jahr wird den Bildungsbauten gewidmet, es ist ein buntes Programm mit Vorträgen, Exkursionen, Workshops und vielem mehr geplant bis hin zu einem großen Abschlussevent im Juni 2022, wo alle Architekturhäuser synchron das Ende feiern.
An beiden Tagen, dem 11. und dem 12. Juni 2021, konnten Interessierte an den Bildschirmen das vielfältige Programm von allen Architekturhäusern in den Bundesländern synchron verfolgen oder als Nachschau häppchenweise genießen. Die Geschichte des Schulbaus, ausgewählte Schulbauten und Bildungsinstitutionen werden vorgestellt, Diskussionen können verfolgt und Ausstellungen virtuell besucht werden. Es können auch, und dafür eignet sich das gewählte Format hervorragend, Prozesse filmisch mitverfolgt werden. Das ist das Positive, das uns die Pandemie beschert hat. Es gibt keine physischen Distanzen mehr, die für die Teilhabe überwunden werden müssen, doch es gibt auch keine physischen Begegnungen, wie sonst bei den Architekturtagen, das soziale Miteinander hat ein wenig gelitten im letzten Jahr!

Ursula von der Leyen hat das Neue europäische Bauhaus aus der Taufe gehoben. Hier geht es neben der Baukultur um den gesamtheitlichen Zugang zum Planen und Werden, so beschreibt es Georg Pendl, Präsident der Bundeskammer der Architekten und Ingenieurskonsulenten, in seinem Eingangsinterview mit Andreas Jäger. Ein Imagefilm über die Arbeit der Zivitechniker*nnen mit dem Motto Ziviltechniker*innen gestalten Zukunft bildet den Übergang zum Interview mit Christian Kühn, dem Vorsitzenden der Architekturstiftung Österreichs und Professor für Gebäudelehre an der TU Wien, und mit Wolfgang Gleissner, dem Geschäftsführer der Bundesimmobilien Gesellschaft (BIG) und verantwortlich für die Bundesschulen und Universitäten, geführt von Conny Kreuter.
Christian Kühn thematisiert die veränderten Anforderungen an Bildungsbauten, denn so sagt er “Heterogenität ist der Normalfall“. Heute sprechen wir von Lernwelten, die mittels unterschiedlicher Lernsettings hergestellt werden und diese Lernwelten bedingen architektonische Räume, die dies ermöglichen. Ist im 19. Jahrhundert der Typus der Gangschule das zeitgenössische Idealbild, so sind es heute Clusterschulen. Das sind offene, helle Gebäude, deren Raumnutzung durch Multifunktionalität besticht. Zwei dieser Schulen stehen im Mittelpunkt des steirischen Programmes des Architekturtage-TVs: die Volksschule Preding und die Volksschule Leopoldinum in der Smart City Graz.

Es gibt ein Bekenntnis zum Bildungsbau, die spiegelt sich im Award für bessere Lernwelten wider, der in diesem Jahr zum 2. Mal im Herbst verliehen wird. Prämiert werden unter anderem Bildungsbauten, deren Entwicklung partizipativ mit den Lehrenden der betreffenden Schulen durchgeführt worden ist. Gerade in der Wettbewerbsvorbereitung spielen diese partizipativen Beteiligungsprozesse eine große Rolle, funktionale Grundrisse werden in Kooperation zwischen Architektur und Lehrenden als Grundlage für die Ausschreibung der architektonischen Entwürfe entwickelt.

Wolfgang Gleissner, Gechäftsführer BIG, geht auf die aktuellen Herausforderungen im Bildungsbau, mit denen sich die BIG in Bezug auf Bereitstellung von Raum für die Zukunft befasst, ein. Einerseits ist das Investieren in die Jugend Zukunft und wenn es um Gebäude geht, dann muss man sich mit den Anforderungen von morgen, so Gleissner, beschäftigen: die Funktionalität von Bildungsbauten, die durch neue Lehr- und Lernformen und seit dem Beginn der Pandemie im März 2020 durch den digitalen Unterricht geprägt ist. Räume der Begegnung und Räume der Vernetzung sollen geschaffen werden. Es zeichnet sich ein Trend in Richtung multifunktionaler Nutzung von Räumen ab. Als Beispiele nennt Wolfgang Gleissner die Mehrfachnutzung von Schulräumen der Ganztagesschulen oder Schulen mit Nachmittagsbetreuung, Nutzung der Räume im Sommer oder durch die Kommune. Es geht auch darum, die Erwartung an Gebäude mitzudenken und zu planen. Eine Wohlfühlatmosphäre soll geschaffen werden, in dem natürliches Licht, akustische Maßnahmen, das Raumklima und die Oberflächenfarben ein harmonisches Ganzes ergeben.

Um einen kleinen Einblick in das im Live-Einstieg Gesagte zu erhalten, begeben wir uns nun auf den virtuellen Rundgang durch das Programm der Steiermark und besichtigen als Beispiel die Volksschule Leopoldinum in der Smart City Graz:

Was ist eine Clusterschule?
Winfried Ranz-Krainer, Leiter des Geschäftsbereichs Städtische Schulen definiert diesen Begriff wie folgt: “Vier Klassen positionieren sich um eine Lernlandschaft mit anschließenden Kleingruppenräumen und diese ermöglichen unterschiedlichste Lernszenarien.“ (Zitat aus dem Portrait der Volksschule Leopolinum – Smart City Graz: Vom Wettbewerb bis zum realisierten Projekt, s. Link hda-graz.at) Ob die Cluster altersübergreifend (1.-4. Klasse) oder im jeweiligen Jahrgang (alle 1., alle 2. alle 3. und alle 4. Klassen) geführt werden, obliegt der Schuldirektion und hat im engeren Sinn keinen Einfluss auf die Architektur.
Die Schulleiterin des Leopoldinums, Andrea Schulte-Andrianakis, beschreibt ihr neues Schulgebäude, womit sich die Schule von acht Klassen auf 12 Klassen (drei Cluster) vergrößert hat, als helles, transparentes Gebäude mit einer Brücke, von der auf den Essbereich der Schüler*innen herabgeschaut werden kann. Die Schule wird als Ganztagesschule geführt, was bedeutet, dass sich die Schüler*innen von 07:30 – 17:00 Uhr im Schulgebäude und am Schulgelände aufhalten. Sie lobt die Weite der Lernlandschaften, die drei Terrassen, wovon eine als Forscherterrasse bezeichnet ist. Es gibt eine Küche, in der für die Schüler*innen gekocht wird und eine Küche, in der die Schüler*innen selbst kochen dürfen. Ein Garten ist in Kooperation mit dem GreenLab angelegt worden.
Das Miteinander zwischen der Bildungsdirektion Steiermark, der Stadt Graz, der Nutzer*innen und der Architektin Alexa Zahn beim Entstehen des Gebäudes, so Andrea Schulte-Andrianakis, ist für die hohe Qualität der neuen Bildungslandschaft verantwortlich.
Ingrid Frisch von der Stadtbaudirektion verweist auf die hohe Verantwortung der Stadt nicht nur in der Mittätigkeit bei der Schulbauentwicklung sondern auch in Bezug auf Erhaltung, Betrieb und Nutzungsqualität. Rainer Wührer, stv. Sektionsvorsitzer der ArchitektInnen, weist in seinen einführenden Worten auf die Qualitätssicherung im Bau aufgrund der Durchführung von Architekturwettbewerben hin. 2015 wurde der Wettbewerb zur Neuerrichtung der Volksschule und Mittelschule EU-weit als zweistufiger Wettbewerb ausgeschrieben und mit der Umsetzung der Volksschule wurde im Jahr 2019 begonnen. Im zweiten Bauabschnitt ist der Bau der Mittelschule geplant.   
Die Besonderheiten des Gebäudes werden von Alexa Zahn von alexa zahn architektur, der Gewinnerin des EU-weit ausgeschriebenen offenen zweistufigen Wettbewerbs, in sehr klaren anschaulichen Worten beschrieben. Hier zeigt sich wieder einer der Vorteile einer digitalen, filmischen Präsentation, die Zuhörenden können anhand der Bilder, die im Hintergrund gezeigt werden, jede Erklärung visuell nachvollziehen. Das ersetzt natürlich nicht das Erleben des Durchschlenderns im Gebäude mit allen Sinnen selbst.
Der Baukörper bildet eine städtebauliche Situation mit der Listhalle und dem Sciencetower, die gegenüber an der anderen Straßenseite situiert sind, durch die Gestaltung eines Vorplatzes, der durch einen Rücksprung im Gebäudekörper erreicht wird. Die der Straße zugewandte östliche Seite ist die urbane und die westliche Seite ist die dem Freiraum zugewandte, terrassierte, dadurch aufgelöste Seite. Durch die städtebaulichen Vorgaben ist ein vertikaler viergeschoßiger Baukörper entstanden, der durch geschickte funktionelle Vorgaben eine Gliederung in eine allgemeine Zone (Erdgeschoß und 1. Obergeschoß) und in eine Clusterzone (2. und 3. Obergeschoß), in der die Unterrichtsräume situiert sind, erhält. Die drei Terrassen sind immer unmittelbar an die Lernlandschaften angedockt. Es gibt die freie Klasse, die Schulterrasse (wird durch die Erweiterung vergrößert) und als letzte Terrasse, die Forscherterrasse mit dem Forschergarten, dies ist eine freie Fläche, die nicht zu betreten ist, sondern als Anschauungsfläche für Natur dient.
Rainer Plösch, Prokurist der GBG, zuständig für den Bereich des Bauens, beschreibt in empathischen Worten die Begleitung des Bauvorhabens und die Volksschule als Dorf im Dorf, da es im Schulraum Bereiche gibt, die aufgrund ihrer Raumqualitäten durchaus Dorfcharakter aufweisen. Auch er benennt die Vorteile des Architekturwettbewerbs durch die Auswahlmöglichkeit eines besten Projektes aus der Projektfülle. Ingrid Frisch hat als Bonuspunkt noch die zeitliche Ersparnis durch diesen Ablauf ins Spiel gebracht.
Apropos Spiel, die letzten Sekunden des Films zeigen Schüler*innen beim Spielen im Garten und somit wird auch abseits des Unterrichts, der Pägagogik, wie es Winfried Ranz-Krainer angesprochen hat, für das Wohnfühlen aller Nutzer*innen gesorgt.

Dieses Beispiel soll neugierig auf das sehr bunte Programm im Architekturtage-TV machen und einladen, weitere Beiträge entweder auf der Webseite der Architekturtage oder auf youtube nachzusehen und den Vorteil genießen, dass eigene Tempo zu wählen, Szenen verlangsamt oder wiederholt abzuspielen. Dieses Beispiel soll uns auch neugierig auf die neuen Bildungsbauten machen. Wir sollen den Wunsch verspüren, diese Bildungsbauten zu besuchen, zu erkunden und diese positiven Erfahrungen mit anderen zu teilen.
Der Auftakt zum Jahresprogramm Architektur und Bildung. Leben Lernen Raum ist als sehr gelungen zu bezeichnen und macht Lust auf mehr!

Terminempfehlungen

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+