31/01/2011
31/01/2011

"Wohnen einfach anders", Diskussionsrunde (v.li): DI Karin Wallmüller (Architektin, Graz, Arge W:A:B Wohnbau:Alternative:Baugruppen),
Doris Eisenriegler (Obfrau der Grünen 50+ Österreich), Mag. Alexander Daum (ENW – Gemeinnützige Wohnungsges.m.b.H.),
Birgit Meinhard-Schiebel (Moderation),
LAbg. Sabine Jungwirth (Bauplanerin), DI Hans Stumpfl (Architekt)

Doris Eisenriegler, Mag. Alexander Daum, Birgit Meinhard-Schiebel (Moderation), LAbg. Sabine Jungwirth

Projekt ro*sa Wien-Donaustadt (2009), Planung: Arch. DI Sabine Pollack

Doris Eisenriegler, Obfrau der Grünen 50+ Österreich

DI Karin Wallmüller (Architektin in Graz, Arge W:A:B Wohnbau:Alternative:Baugruppen).

Mag. Alexander Daum (ENW – Gemeinnützige Wohnungsges.m.b.H) Fotos: (c) Knaus

Projekt ro*sa Wien-Donaustadt (2009), Planung: Arch. DI Sabine Pollack

Projekt ro*sa Wien-Donaustadt (2009), Planung: Arch. DI Sabine Pollack. Fotos: Karin Wallmüller

Das Interesse an der Veranstaltung über gemeinschaftliche Wohnformen im Stadtmuseum Graz war überaus groß. Vorbildliche Modelle gibt es viele und wie es geht, weiß man auch schon lange. Trotzdem hat sich bisher in der Steiermark in punkto Umsetzung kaum etwas getan. Das soll sich ändern, hieß es bei der lebhaften Diskussion.

Gemeinsam planen und bauen – generationenübergreifend, barrierefrei, leistbar. Wie können sich Menschen unterschiedlichen Alters, in unterschiedlichen Lebenslagen und mit geringeren finanziellen Mitteln an gemeinschaftlichen Wohnformen beteiligen? Welche Alternativen gibt es zum Altersheim und „Betreuten Wohnen“ und wie kann der Wunsch nach selbstbestimmtem Wohnen verwirklicht werden? Bei der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Wohnen einfach anders!“ von den „Grünen SeniorInnen“ wurden am 13. Jänner im Stadtmuseum Graz interessante Modelle und innovative Konzepte vorgestellt.

Moderatorin Birgit Meinhard-Schiebel zeigte sich überrascht von dem großen Andrang „quer durch die Generationen“. „Die Überlegungen, wie will ich wohnen und wie kann ich mich verändern, begleiten uns durch alle Lebensphasen. Besonders, wenn es um das Wohnen im Alter geht, kann man nicht früh genug damit beginnen“, so Meinhard-Schiebel einleitend. Dabei tauchen viele Fragen auf – vor allem dann, wenn das selbst gebaute Haus nach der Familienphase zu groß geworden ist und diese Wohnform als nicht mehr passend erscheint. Welche Modelle kommen in Frage? Wie sieht es mit der Umgebungsqualität aus, mit der Barrierefreiheit, was ist, wenn ich im Falle von Krankheit Hilfe benötige? Welche Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten gibt es und wofür genau?

Das Alter beginnt früh
„Das Alter beginnt früh, stellen wir eines Tages fest. Wir brauchen Mut, um uns darauf vorzubereiten. Gefragt sind Alternativen und vor allem ein Kreis von gleichgesinnten Menschen, um mit ihnen gemeinsam weiterzudenken“, sagte Doris Eisenriegler, Obfrau der „Grünen 50+“, OÖ. Eisenriegler wohnt selbst in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt in Oberösterreich (Wilhering). Das Thema gemeinschaftliches Wohnen brennt den Menschen unter den Nägeln. Es sei ein Fehler, dass sich letztlich nur wenige Menschen aktiv damit befassen. „Wenn Kinder fort sind, Freunde und Bekannte sterben und Menschen pflegebedürftig werden und eine barrierefreie Wohnung benötigt wird, bleibt nur mehr das Altersheim“, weiß Eisenriegler. Studien zufolge, würden die meisten Menschen (bis zu 90 Prozent) das nicht wollen. Neue Wohnformen hingegen sind eine Antwort auf veränderte Familienstrukturen (klassische Kleinfamilie ist nicht mehr die einzige Familienform), sie wirken Vereinsamung entgegen, Kinder- und Altenbetreuung lassen sich besser organisieren und bewältigen.

Was gibt es in Österreich?
Am ehesten findet man neue Baugemeinschaften in Wien und Vorarlberg. „Gemeinschaftliches Wohnen war schon einmal ein größeres Thema und ist inzwischen eingeschlafen, jetzt beginnt sich wieder etwas zu formieren“, so Eisenriegler „Konkret haben wir mit der Internet-Plattform www.gemeinsamwohnen.at ein Instrument geschaffen, um Interessierte zu vernetzen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Wohnvorstellung zu verwirklichen.“ Mit der Plattform soll die Nachfrage gebündelt werden, um die Entstehung von Projekten auch von politischer Seite her anzukurbeln. Bürgernahe Diskussionsveranstaltungen sollen entsprechende Informationen und die Möglichkeit der Vernetzung bieten.

Noch am Anfang
Deutschen Vorreiterstädte wie Berlin (z. B. Beginenhof), Tübingen oder Freiburg schreiben in punkto Baugemeinschaften eine bis zu 15jährige Erfolgsgeschichte. Als besonders vorteilhaft haben sich soziale, ökologische und ökonomische Aspekte herauskristallisiert. Baugemeinschaften gehen äußerst schonend mit zunehmend knapp werdenden Ressourcen, wie Energie und Raum, um und außerdem verhelfen sie Städte zu originellen Nutzungen (wie etwa Fußwegenetze).
In Österreich ist man im Vergleich zu Deutschland in Sachen Baugemeinschaften noch ziemlich am Anfang. Derzeit wohnen in der Bundeshauptstadt etwa 600 BewohnerInnen in fast zwölf Baugemeinschaften. Die Gemeinde Wien beginnt erst in letzter Zeit damit, Baugemeinschaften in die Stadtplanung mit einzubeziehen.
Karin Wallmüller, Architektin in Graz und Mitglied der Arge W:A:B(Wohnbau:Alternative:Baugruppen) stellte realisierte Projekte des gemeinschaftlichen Wohnens als Alternativen zu Angeboten des Wohnungsmarktes und zu privaten Einfamilienhäusern vor, wie etwa die Wiener Projekte "Sargfabrik", die Frauenwohnprojekte ro*sa Donaustadt und ro*sa Kalypso im Kabelwerk sowie Orasteig. Weitere Projekte sind im Stadterweiterungsgebiet Aspern ("B.R.O.T-Aspern", "Seestern-Aspern" und "Ja:spern"), in der Grundsteingasse (Sanierung) und am Nordbahnhofgelände ("Wohnen mit uns") geplant. Dort soll bis 2013 ein Projekt in Form eines mehrstöckigen Wohnhauses entstehen. Am Dach sind Sauna und Gästeapartments vorgesehen, im Erdgeschoß ein Café und Gemeinschaftsräume.

Subjektförderung ist wichtig
„In der Steiermark ist es nicht möglich, dass Personengruppen zur Tat schreiten, außer man findet eine Genossenschaft“, beschreibt LAbg. Sabine Jungwirth, Bauplanerin, und kritisiert, dass es mit der Steirischen Wohnbauförderung diesbezüglich schlecht aussehe. Der Fokus wird noch auf den Einfamilienhausbau mit einem großen Ressourcenverschleiß statt auf attraktive Zukunfts-Wohnformen gelegt. Das einzige Modell, das für neue Wohnformen am Markt ist, sei die „umfassenden Sanierung“. Hier können sich Privatpersonen zusammentun, ein Projekt erwerben und um Förderungen ansuchen. Jungwirth will im Landtag daran arbeiten, dass die Subjektförderung in den Vordergrund gestellt wird, damit sich neue Möglichkeiten auftun.

Exotisches Modell
„In der Steiermark ist die Wohngruppe ein exotisches Modell und wir mussten viel Überzeugungsarbeit leisten, sagte Alexander Daum, ENW – Gemeinnützige Wohnungsges.m.b.H und betonte die Notwendigkeit einer flexibleren Wohnbauförderung. Die „ENW“ plant beispielsweise ein Projekt in Eggenberg, wo „die Wohngruppe einbezogen werden soll.
Auch über das „Wohnen ohne Auto“ wurde heftig diskutiert. Für die meisten Wohnbauträger in der Steiermark sei das kein Thema, obwohl das Interesse der BewohnerInnen daran groß ist. Das Baugesetz schreibt eine Anzahl von Parkplätzen vor (1,5 pro Wohnung) – unabhängig davon, ob tatsächlich ein Auto vorhanden ist. Daum ist von der Notwendigkeit eines von der ENW praktizierten Mobilitätsmanagements überzeugt.

Was läuft in Deutschland anders?
Architekt DI Hans Stumpfl präsentierte ein international anerkanntes Beispiel für den modernen Städtebau: das in den 60er und 70er Jahren geplante und gebaute Städtebauprojekt Wulfen im Ruhrgebiet. Aktuell wohnen dort derzeit etwa 15.000 Menschen. Stumpfl beschrieb den langen Prozess des „anderen Wohnens“ im Städtebau – von der Planung einer ganzen Stadt in einer Problemgegend bis zu den einzigartigen Entwicklungen der gelungenen Synthese von „Fauna und Flora“, wie etwa eines dichten und vorbildlichen Fußwegenetzes in der autofreien Stadt. Die „Traumstadt“ wurde nicht in der ursprünglich geplanten Form realisiert und 2007 mussten einige Häuser abgebrochen werden. Allerdings gelang es, eine einst umweltbelasteten Industrieregion in eine hochwertige Wohnlandschaft umzuwandeln. Architekt Stumpfl hat Pläne für Projekte in der Steiermark entworfen: für Graz Nord und in Großklein. Das Projekt in Großklein wurde vorerst fallen gelassen und ob das zweite in Graz Nord realisiert wird, ist ebenfalls noch offen.

Geld alleine reicht nicht
Die Unterschiede bezüglich Miet- Eigentumsrechte oder Wohnbauförderung seien zwischen Deutschland und Österreich nicht so groß. Stumpfl stellte jedoch Mentalitätsunterschiede fest. Seit etwa zehn Jahren würden die PolitikerInnen Interesse zeigen. Aber das wäre es auch schon gewesen. Einen weiteren Unterschied ortete der Architekt in der Ausbildung. Anders als in Deutschland würde man in Österreich mehr Wert auf Verfahrenswege als auf die Gestaltungsfrage legen. Er untermauerte seine These mit praktischen Beispielen (Nürnberg und Düsseldorf), wo man nahezu paradiesische Zustände in Sachen Gestaltung und damit verbundene „Sonderfinanzierungen“ vorfände.

Keine Frage von Geld allein
„In Österreich ist Partizipation im Wohnbau noch nicht so präsent, während sich in Deutschland die Mitgestaltung am Wohnen zum Normalfall etabliert hat“, erläuterte Architektin Karin Wallmüller. Eine gewisse Trägheit der Wohnungskäufer und Mieter sei bei uns wohl festzustellen, wenn es um die Auseinandersetzung mit der selbstbestimmten Form des Wohnens gehe. Die hohe Beteiligung an der Veranstaltung fand Wallmüller jedoch ermutigend. Es ist wichtig, dass sich eine Gruppe etabliert, die weiß, was sie will und dass sich Menschen gemeinsam stark machen, um Prozesse durchzustehen. Es sei keine Frage des Geldes allein, die Finanzierungsmöglichkeiten sind breit gestreut. Wallmüllers Appell: „Es geht vielmehr um persönliches und gemeinsames Engagement. Wenn sich genügend Leute für gemeinschaftliche Wohnformen interessieren, wird die Politik auf das Thema eingehen und Unterstützungsmodelle entwickeln. Auch in deutschen Städten wie Tübingen oder Freiburg sind die ersten Projekte durch kleine Initiativgruppen entstanden. Lernen wir von diesen Beispielen!“

Parallel zur Diskusssionsveranstaltung wurden einige Wohnmodelle, wie etwa B.R.O.T, RO*SA, Sargfabrik, in einer Ausstellung im Foyer des Stadtmuseums präsentiert.

Plattform für die Vernetzung von InteressentInnen:
www.gemeinsamwohnen.at
gruene-akademie.at

Verfasser/in:
Gerlinde Knaus, Bericht
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16. + 17.11.2023
 
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