01/03/2024

Filme von Wim Wenders lassen sich grob in drei Gruppen gliedern: jene, die zum Neuen Deutschen Film der Sechzigerjahre gehören – also Autorenfilme, damals oft in Kollaboration mit Peter Handke. Dann auf Genres fokussierte Filme (Dramen, Abenteuer- und Kriminalfilme), denen meist weniger Erfolg beschieden war. Und schließlich Wenders Dokumentationen, wie Buena Vista Social Club; Arbeiten, die Wenders bemerkenswertes Talent zeigen, Stoffe zu (er)finden, „die in der Luft liegen“. Mittlerweile ist das Werk des 82-jährigen Wenders gewaltig, seine Bedeutung zeigt sich daran, dass er u.a. bisher zehnmal in Cannes, der Welthochburg des Autorenfilms, eingeladen war.

Perfect Days, 
JP, 2023, Farbe, 123 Min.
Regie: Wim Wenders

In unregelmäßigen Abständen erscheinen in der Kolumne Filmpalast Filmkritiken von Wilhelm Hengstler auf GAT.

01/03/2024

Perfect Days, Plakat, Regie Wim Wenders, 2023, 

Wenders dreht seine Filme mit der Begeisterung eines Schriftstellers für die eigenen Kinoerlebnisse als imaginäre Fenster auf die Welt. Dazu kommt eine Art Karl-May-Sehnsucht auf die reale weite Welt. Beides hat Wenders auch mit „Perfect Days“ erfüllt, diesen „deutschen Film“, der in Japan gedreht, auch als Japans Wettbewerbsfilm für den Oscar 2024 eingereicht wurde.

In Cannes gewann „Perfect Days“ 2023 den Preis der Ökumenischen Jury, während seinem Hauptdarsteller Kojio Yakusho der Preis als bester Schauspieler verliehen wurde.

In „Perfect Days“ verbindet Wenders seine Fähigkeit, aktuelle Befindlichkeiten aufzuzeigen, mit seiner Vorliebe für leicht kauzige, sanfte Einzelgänger. Mit dokumentarischer Genauigkeit verfolgt er seinen Hauptdarsteller Kojio Yakusho beim Reinigen supergestylter Toiletten; das Dokumentarische ist kein Zufall, hat Wenders doch zuvor einen Werbefilm für die Toilettenfirma gedreht.

Kojio Yakushos immer gleicher Tagesablauf aus Putzen, Mittagspause, klassische Rocksongs auf analogen Kassetten hören, Besuche der Badeanstalt, abendliche Lektüre wird zur Beschwörung der Bedürfnislosigkeit und geradezu meditativen Selbstgenügsamkeit.

„Perfect Days“ balanciert schlafwandlerisch zwischen Feelgood Movie und Autorenfilm, aber nicht ohne damit an einigen Tabus zu rütteln: Schon Kojio Yakosho als attraktives männliches Pendant zur „Klofrau“ ist – jedenfalls in unseren Breiten – eine starke Ansage zur Geschlechtergleichheit. Und der programmatische Konsumverzicht des Helden ist in Zeiten des Konsums als vorherrschende Religion in aller Stille ein revolutionärer Akt.

In „Der Stand der Dinge“, dem Film, mit dem Wenders 1982 den Goldenen Löwen gewann, liest jemand „The Searchers“, das Buch, nach dem der berühmte Western „Der Schwarze Falke“ gedreht wurde. In „Der Stand der Dinge“, in dem der Regisseur seinem Budget vergeblich nachjagt, wird er bei einer Geste nur gespielter Gegenwehr erschossen. War damals der Westernheld ein Gegenmodell zur Hochkultur, ist jetzt ein Bedürfnisloser, am Rande des kapitalistischen Hamsterrades, an seine Stelle getreten. Allerdings hat die Definitionskraft der Hochkultur seither in einer Gesellschaft des Spektakels ihren Sinn verloren.

Wenders ist vielen seiner Motive treu geblieben: noch mehr als Travis in „Paris, Texas“, bleibt Koji Yakusho lange ein Mann mit verborgener Vergangenheit. Und eine Nichte, die ihn besucht, ist eine aus der langen Reihe von Wender`schen Kindfrauen. Und auch die Männer in „Perfect Days“ leiden an der Dysfunktionalität ihrer Beziehungen, sind aus ihren Familien herausgefallen.

Wenders Helden, allesamt Gläubige der Rockmusik, träumende Aficionadas des klassischen Kinos, sind sanfte Außenseiter, die mit einem langsamen Lächeln versuchen, in ihrer Welt zurechtzukommen. Am Ende begegnet Koji Yakusho dem Ex-Mann seiner Lieblingsbarfrau und die beiden Männer betreiben einen spielerischen Kampf, bei dem es darum geht, dass der eine auf den Schatten des anderen steigt.

Wenders Hommage an den nicht nur von ihm verehrten japanischen Regiemeister Ozu, ist dabei aber halbherzig. Weder dreht er ausschließlich mit einer 50 mm Optik wie Ozu, noch stellt er seine Kamera besonders oft auf ein Babystativ. Wirklich großartig ist der Soundtrack für „Perfect Days“. Die Songs von den „Animals“ bis zu „Velvet Underground“ sind das Stärkste an dem Film. Es ist viel Schönes an „Perfect Days“, aber ein großer Film ist er wahrscheinlich nicht. 

Wirklich große Filme wie „Green Border“, dieses Gegenteil eines Feelgood Movies von Agniesza Holland über die Pushbacks an der Grenze zwischen Belarus und Polen bleiben – zumindest in Graz – bisher unsichtbar. Wenn sich jemand doch noch aufrafft, diesen Film zu spielen, werden wir berichten. 

 

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Spielzeiten von „Perfect Days“ in Wien: im Verweis zum Falter
Spielzeiten von „Perfect Days“ in Graz: im Verweis zu Kinofans

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