29/06/2023

Vom Besseren Leben, 10

Lyriker und Ausdauersportler Christoph Szalay schreibt in regelmäßigen Abständen Notizen aus dem Oberen Ennstal.

29/06/2023
©: Ada Hauser

Nach nicht einmal einem Jahr ist es heute der letzte Tag bzw. die letzte Nacht, die ich in meiner Wohnung in jenem Ort verbringe, an dem ich aufgewachsen bin und an den ich seit langer Zeit wieder zurückwollte. 1100 Meter überm Meer. Luftkurort. Sehnsuchtsort.

Nicht, weil ich wollen würde, ziehe ich um, sondern weil es alternativlos ist, oder scheint. Covid hat Spuren hinterlassen im Dezember 2020. Es gibt ein Davor und ein Danach oder Seitdem. Mein Asthma ist wieder zurückgekehrt, eine chronische Atemwegserkrankung, die sich auswachsen kann, aber lediglich einen Trigger braucht, um wieder ausgelöst zu werden. Zumindest ist es mir so erklärt worden. Oder habe ich es mir selbst versucht zu erklären. Wie alles seitdem. Der Versuch einer Erklärung. Einer Sprache. Für das unregelmäßige, in Schüben kommende Brennen, Ziehen, das sich über, das sich in die Bronchien, die Bronchiolen legt. Zwei Körperstellen (ich denke -felder, Körperfelder oder -speicher, Körperspeicher, und wie weit bin, wie weit weiche ich damit ab von einer Genauigkeit der Benennung, wie weit weiche ich die Begriffe auf, lese später hanggeschrieben statt handgeschrieben in einer zufälligen Notiz), die existenzielle Ängste auslösen, wenn man Probleme an ihnen hat, sagt meine Asthmabetreuerin, die mich als Kind bereits behandelt hat – das Herz und die Lunge. Eines davon trage ich an, trage ich mit mir – das Atmen, das immer wieder anders, das immer wieder irritiert ist. Wie etwa in der Wohnung, im Luftkurort, Sehnsuchtsort. Als ich vergangenen Herbst eine Messung veranlasse, die ich als Mieter selbst trage, schlagen die Werte u.a. der Xylole aus. Zwar nicht stark, aber dennoch etwas über den dafür festgelegten Grenzwerten. Was bleibt, ist vor allem die Frage, wie oder wieso das eine Realität ist, die auszuhalten ist. Wie und wieso werden Gebäude so gebaut. Wie und wieso werden aus Wohn-, Angsträume, (sag doch Angstträume, dear, I remember something from last nite, sending shivvvers down my spine, llet me try to catch a name or an image of it). Wie und wieso scheint diese Tatsache nicht nur konsequenzenlos zu sein, sondern vielmehr nicht weiter überraschend, zumindest, wenn ich an die Gespräche im Anschluss an die Messergebnisse denke. Mit den Verantwortlichen der Büros aus Wien, ebenso mit Ärzt:innen. Auslüften. Ablüften wird mir geraten. In Winter und mehr als zehn Episoden später, in denen ohne Vorwarnung und über unterschiedlich lange Zeiträume ein beständiges Ziehen in den Atemwegen liegt, dieser letzte Abend also hier. 1100 m überm Meer. Luftkurort. Sehnsuchtsort.

Dazwischen liegen Tage am Berg, im Wald, im Gelände, das sich einschreibt in den Körper, ebenso wie die Angst vor der Luft. 1100 m überm Meer. Luftkurort. Sehnsuchtsort. Die Angst, verloren zu gehen, wie auch mit dem steten Blick nach draußen, Dinge verlorengehen – Lebens- und Naturräume, die Parkplätzen, Einfamilienhäusern, einem nächsten, einem neuen Speicherkraftwerk weichen; eine tiefe, eine sehnsuchtsvolle, eine zärtliche Hinwendung an die Umgebung:en, u.a.

Dies zumindest, als Trost. Immer wieder. Der Gang, das Gehen in die Landschaft:en hinein. Die Neugierde, was sich finden, was sich benennen ließe, die Freude, wenn es tatsächlich passiert, in all den Verlorenheit:en. Die grüne Huschspinne an einem Blatt der Ahorne, die den Ort prägen, der Duft einer Waldhyazinthe auf einem Spaziergang am Bach entlang, die Kürbisspinne am Speicherteich, die Schwebfliege nur Momente später, der Schusterbock, Einfarbige Langhornbock, Monochamus sutor an der hölzernen Begrenzung eines Radweges.

Neben mir liegen die letzten beiden Bücher, ungepackt, immer noch als Möglichkeit. SPELLS. 21st century Occult Poetry und Roderick Frazier Nashs' Wilderness & the American Mind – letzteres eine Gabe, ein gift, a giving, Geschenk einer Bekanntschaft, eines Kennenlernens ein Gebirge weiter. Damit vielleicht also aus dieser Wohnung hinaus, in eine andere, weitere (auch dort den Berg im Fenster, im Blick).

From „willed“ came the adjective „wild“ used to convey the idea of being lost, unruly, disordered, or confused. In Old Swedish, for instance, wild derived from the figure of boiling water,; the essential concept was that of being ungoverned or out of control. (...) the Old English „dēor“ (animal) was prefixed with wild to denotate creatures not under the control of man. (1)

_______Quellen
(1) Roderick Frazier Nash: Wilderness and the American Mind. 4. Auflage. New Haven, London: Yale University Press 2001, S.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+