Vor mittlerweile 30 Jahren veröffentlichte der deutsche Soziologe Gerhard Schulze mit seinem Band Die Erlebnisgesellschaft nicht nur eines der zentralen Bücher der 90er, sondern etablierte vor allem einen Begriff, eine Haltung. Schulze definierte eine Gegenwart. Eine Gegenwart und Gesellschaft, die sich vor allem über sich selbst und die Erfüllung und Maximierung der eigenen Bedürfnisse behauptete. Die Suche nach dem Erlebnis definierte Schulze entlang von insgesamt drei Schemata – dem Hochkultur-, dem Trivial-, dem Spannungsschema – aufgegliedert wiederum in fünf soziale Milieus – dem Niveau-, dem Integrations-, dem Harmonie-, dem Selbstverwirklichungs-, dem Unterhaltungsmilieu (1). Das Erlebnisangebot war entsprechend einer kapitalistischen Marktlogik als endlos definiert. Basierend auf der Grundannahme einer wachsenden sozialen Gleichheit, von der Schulze ausging, ließe sich die Frage stellen, wie aktuell diese Konstatierung noch ist. Dazwischen liegen 30 Jahre, Prekarisierung, neue Armut, Verschwinden der Mittelschicht (2), wie die FAZ die beiden Soziologen Jan Delhey und Christian Schneickert in einer Revision der Thesen zitiert. Es ließe sich annehmen, dass der Begriff und die Sehnsucht danach verschwunden sein müssten. Nichts davon ist jedoch der Fall. Er ist immer noch präsent. Auf einem stabilen Niveau, sagen die beiden Wissenschafter.
Blickt man in die Alpen, lässt sich sagen, dass ganze Landschaften ausschließlich darauf aufgebaut sind. 70 Erlebnisse im gesamten Bundesland, über 150 Erlebnisse, jeden Tag ein neues Erlebnis, heißt es dort und ohne ein solches Erlebnis, what's the point even, um draußen zu sein – am Berg, im Wald, am See. So in etwa klingt das. Es sind keine Beziehungen, die aufgebaut werden, es sind Bedürfnisse, die gedeckt, die gestillt werden – am Berg, im Wald, am See. Ohne Rück-, und Umsicht.
Die zur Gänze verschwundene Steinkrebspopulation etwa in einem Waldmoorsee eines kleinen Alpenortes in der Gegend des Oberen Ennstal erzählt davon. Für den vollständigen Verlust reichte ein Pilz, dessen Sporen, eingetragen aus einem der nahegelegenen, großen, vor allem touristisch genutzten Seen, von einem Hund im Wasser, oder einem der unzähligen Erwachsenen und Kinder, die den ganzen Sommer den See, der an ein Europaschutzgebiet angrenzt, als Möglichkeit zum Schwimmen, zur Erholung nutzen.
Der Begriff des Erlebnisses in Verbindung mit Natur und Umwelt taucht jedoch auch anderweitig auf, losgelöst vom selbstreferentiellen und -erfüllenden Versprechen des Alpentourismus. Das Konzept des Naturerlebens stammt aus der Biologiedidaktik und wurde von Willfried Janßen (1988) und Gerhard Trommer geprägt. Die Fixpunkte des Begriffes sind originäre Begegnung mit Natur, sinnliche Wahrnehmung, individuelle Emotionalität, Anregung von Phantasie, nicht determinierbar, widerstreitende Gefühle, enger Zusammenhang mit Naturerkenntnis und Naturverständnis, Basis selbstbestimmten Handelns und sensibel anleitende Didaktik. (3) Erlebnis also als zentrales Mittel von Bildung und Pädagogik, um einen Zugang, eine Beziehung zu schaffen, um an einen Punkt zu gelangen, von Mit-, statt Umwelt zu sprechen, ohne Klettergarten, Sommerrodelbahn, Märchenweg, Treppe ins Nichts, oder
Standing here, looking up at this gaping, ghostly crater, picturing what it used to be, it's a hard feeling to describe. It's beautiful. It's haunting. It makes your stomach sink. It makes you feel infinitely small, and it serves as a visceral reminder of our planet's power to create, to destroy and to create again. (4) wie der amerikanische Filmemacher Aidin Robbins im letzten Shot einer Short Doc über den Ausbruch des Mt. St. Helen, und die daran anschließende, seitdem andauernde und stetig wachsende Rückkehr an Leben und Landschaft:en in das unter strengem Naturschutz stehende Gebiet erzählt.
_____Quellen
1. http://soziologie.soz.uni-linz.ac.at/sozthe/freitour/FreiTour-Wiki/Erleb...
2. https://www.faz.net/aktuell/wissen/gerhard-schulzes-theorie-der-erlebnis...
3. https://www.blogs.uni-mainz.de/fb02-fs-erziehungswissenschaft/files/2015...
4. https://www.youtube.com/watch?v=Ev4msSezWAo
