07/09/2021

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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07/09/2021
©: Karin Tschavgova

Finde das beste Rezept

MAN NEHME eine Fragestellung, zum Beispiel: In welcher Zubereitung schmeckt Mangold am besten? Was macht die gute Hausfrau? Sie erprobt verschiedene Zubereitungsarten oder lässt sich von Mangold-, oder allgemein, von Kochafficionados, die Experten sind, beraten. Kommen – naturgemäß – mehrere Vorschläge, so vergleicht sie, bildet sich so ein Urteil und macht vielleicht ein Ranking.
Was bei der Zubereitung von Mangold noch spielerisch sein kann – schließlich geht es um nichts – wird bei großen Fragen zur Herausforderung, deren „richtige“ Antwort man nicht einfach aus dem Handgelenk schütteln kann. Eine Fachfrage beantwortet man mit Basisdaten, mit Vergleich und Analyse, um das Außer Acht lassen von wichtigen Parametern, einseitige Betrachtung und Fehleinschätzung zu vermeiden. Kurzum, um die beste Antwort auf ein Problem zu erhalten. Als Architekt*in lernt man das Überprüfen und Vergleichen von Lösungen im Studium. Ich hoffe, werte Leser*innen, soweit können Sie mir zustimmen.
Graz braucht dringend eine Verkehrswende, weg von einem Anteil von mehr als 40% an PKW im Gesamtpool aller Verkehrsmittel (rund 20% der Verkehrsteilnehmer*innen nützt Bus und Straßenbahn) und einer zu hohen Zahl an Ein- und Auspendler*innen (135.000 täglich), von denen 85% im Auto anreisen Das steht außer Diskussion und außer Frage.
Angesichts unumgänglicher Klimaschutzmaßnahmen und besonders hoher Feinstaubbelastung in Graz, aber auch der angespannten finanziellen Lage der Stadt Graz, kann die Fragestellung nur lauten: Wie und mit welchem Rezept kann man den Öffentlichen Verkehr in Graz attraktiver machen, kann zum Umsteigen animieren? So simpel denkt die Hausfrau, will sie die beste Lösung für ihre Frage. Was macht die Stadtregierung in Graz?
MAN geNEHMigE sich mit demokratischer Legitimation (durch die Mehrheit der Koalition) 500.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie (nein, nicht zum Vergleich von Mangoldrezepten, das wäre vermessen) zum Bau einer Mini-Metro. Man lasse diese von Experten köcheln und in einer Pressekonferenz groß öffentlich präsentieren als das Große Grazer Zukunftsprojekt.
Andere Varianten geprüft im Vergleich? Brauch ma net, weil wir wollen, dass das UNSER großer Wurf ist, UNSERE Initiative, auf UNSEREM Mist gewachsen und UNS Wähler*innenstimmen bringend.
Wirklich ärgerlich sind nur diese ewigen Miesmacher*innen und Kritiker*innen, die andere Varianten besser finden und UNS die Freude verderben wollen an dieser so zündenden Idee. Was mach ma? Es ist Vorwahlzeit und die anderen Stimmen kann man nicht so einfach ignorieren. Jeder muss Gehör finden. Also kurzerhand noch ein Expertengremium zusammentrommeln, das jene Konzepte eingehend prüfen soll, die andere Parteien und Initiativen von sich aus „ins Spiel gebracht“ haben, um den ÖV zu verbessern und attraktiver zu machen. Man will doch kein Autokrat sein, der regiert, ohne auf das Volk zu hören.
Die Experten der „ÖV Strategie“, interdisziplinär unter starker Einbindung der Holding-Graz, köcheln also an einem Vergleich, der Tramausbau, S-Bahnlösung und U-Bahn nebeneinanderstellt. Die Basis des Vergleichs muss vage bleiben, denn die Vorschläge/Studien stammen nicht aus einer Hand, haben vermutlich unterschiedliche Basisdaten, sind vielleicht gar nicht vergleichbar. Macht nichts, allgemeine Parameter wie Machbarkeit, Wirtschaftlichkeit, Kochzeit oder „Quick wins“ sind ausreichend. Außerdem geht es doch nur darum, noch vor der Wahl im September einen Bericht zu präsentieren, der UNSERE Variante der U-Bahn als die Beste darstellt.
Gemacht, getan! Ein Zwischenbericht, angeblich von der Holding Graz und städtischen Spitzenbeamten erstellt, wird öffentlich präsentiert, der – Überraschung! – UNSERE Lösung mit U-Bahn präferiert.
Doch halt! – nicht schon wieder diese Spielverderber. Einzelne der Experten sprechen von Vertrauensbruch, sind irritiert, weil der Bericht noch nicht fertig ist, der Zwischenbericht ohne ihr Wissen erstellt wurde. Sie finden, dass er tendenziös ist und nur jene Aussagen enthält, die an der U-Bahn positiv sind. Einer überlegt, auszusteigen, weil er sich nicht instrumentalisieren lassen will, nicht kaufbar ist für UNSERE Zwecke.
Etwas ist faul im Staate Dänemark. Das Mildeste ist, zu befunden, dass das Pferd von hinten aufgezäumt wurde. Denn: handelte (Konj.) man professionell und konsensual, würden zuerst die Rezepte, deren Basis immer das Mangold – pardon der ÖV-Ausbau – ist, miteinander verglichen, ehe man die beste Variante kürt. Und das gemeinsam statt einsam als Autokrat.

Laukhardt

Im Vergleich zur "Metro"-Diskussion ist man beim 100-Millionen-Radweg-Projekt viel, viel schneller. So wird schon in einigen Tagen - rechtzeitig vor der Wahl am 26. September - in der Puchstraße zwischen Sturzgasse (führt zum Puchsteg) und Lauzilgasse ein rund 150 m langer Fuß- und Radweg begonnen. Der baumbestandene Grünstreifen zwischen Straße und Mühlgang kommt weg, dafür werden neue Baumreihen gepflanzt. Das Projektfoto zeigt uns Fußgänger neben dem Randstein der Fahrbahn spazierend, und Radler neben dem Wasserlauf fahrend.... irgenwie seltsam. Kosten: "Der Geh- und Radweg wird im Rahmen der Radoffensive Graz 2030 zwischen dem Land Steiermark und der Stadt Graz geteilt. Dies sind jeweils 1,620 Mio. brutto. Der restliche Straßenausbau wird von der Stadt Graz und der Holding Graz getragen. Gesamtkosten 5,55 Mio. brutto." Die Fortsetzungen dieses Stücks nach Norden und zum Zentralfriedhof sind allerings noch in Planung..... Ist da jetzt alles klar? Ich weiß nicht recht.

Di. 07/09/2021 5:52 Permalink
Anonymous

Versuchen Sie mal ein ÖV Ticket online mit der GrazMobilApp zu kaufen...
Was in vielen anderen Städten dieses Planeten in Sekunden funktioniert wird in Graz zum horror.
Ich kann binnen Sekunden ein Flugticket nach New York am Handy buchen, aber in Graz geht man nach einer Stunde vergeblichen versuchen besser zur trafik und kauft sich ein analoges.
Beim ÖV in Graz gibt es verdammt VIEL Nachholbedarf!

Mi. 08/09/2021 9:42 Permalink
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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